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Laientheater im Äther

Stefan Millius

Nachrichten auf Radio SRF 1. Der Nahost-Korrespondent wird zugeschaltet, um aus Beirut zu berichten, und zwar in Form eines Interviews. Die Moderatorin befragt ihn routiniert und mit Sachkenntnis. Auf jede Antwort weiss sie spontan eine originelle Anschlussfrage, oft angereichert mit erstaunlichen Details. Die Frau muss offenbar selbst auf einem Korrespondentenstand sein, so zielgerichtet und mit Hintergrundwissen ausgestattet sind die Fragen.

Nein, natürlich nicht. Der Mann, der für SRF den Nahen Osten bewirtschaftet, hat der Moderatorin zuvor gesagt, was er gefragt werden will. Beziehungsweise: Gefragt werden muss, damit er alle Informationen an die Hörer bringen kann. Die Frau am Mikrofon in Zürich hat möglicherweise keine Ahnung, wo Beirut liegt, auch wenn sie klingt wie eine Insiderin. Das Ganze ist abgesprochen von A bis Z und in etwa so spontan wie der Ablauf der Innerrhoder Landsgemeinde. Kein Wunder, die Frau am Mikrofon muss schliesslich eine Vielzahl von Themen abhandeln, wie will sie da auf dem neuesten Stand zur Lage in Beirut sein?

Das Beschriebene ist tägliche Praxis bei SRF: Das Moderationsgespräch. Es ist verständlich, dass man zu diesem Mittel greift, es sorgt für Abwechslung. Damit die Korrespondenten aus aller Welt nicht dauernd einfach ihre sorgfältig vorbereiteten Texte ab Blatt monologartig ablesen müssen, werden sie stattdessen befragt. Und auf die Fragen liefern sie dann eben ihre sorgfältig vorbereiteten Antworten ab Blatt. Der Unterschied liegt eigentlich nur darin, dass zwei Stimmen im Spiel sind. Der Informationsgehalt ist derselbe, es wird einfach etwas dazwischen geschoben.

So üblich das sein mag, so furchtbar ist es. Vor allem, wenn man sich als halbwegs gebildeter Hörer auf den Leim geführt fühlt. Dann zum Beispiel, wenn der Korrespondent auf eine scheinbar besonders knifflige Frage hin kurz gespielt zögert und seine Antwort beginnt mit einem langgedehnten «Nun ja, das ist natürlich eine gute Frage…» Natürlich ist sie das, der Korrespondent hat sie sich ja selbst ausgedacht und sie der Moderatorin bei der Vorbereitung übermittelt. Das hört man auch heraus, wenn man gerade im Brüttiseller Kreuz im Stau hört. Radiohörer sind nicht generell doof. Und pardon, aber Schauspiel ist ein Beruf, das ist nicht jedem gegeben.

Im Grunde ist das Laientheater. Man will uns vorgaukeln, dass beim Schweizer Radio selbst der hinterletzte Moderator ein Experte für den Nahen Osten, Südostasien oder Russland und in der Lage ist, aus dem Stand ein erhellendes Gespräch mit einem Experten vor Ort zu führen. Dabei erwartet das ja kein Mensch. Vor allem aber glaubt es kein Mensch. Die Informationen mögen korrekt sein, aber es grenzt an Fake News: Man spielt uns etwas vor.

Ungekrönter König dieser Disziplin auf Korrespondentenseite ist Fredy Gsteiger, diplomatischer Korrespondent. Nur schon, dass es diesen Begriff überhaupt gibt, ist erstaunlich. Wenn sich Gsteiger zu harzigen Verhandlungen bei der Uno befragen lässt, wirkt das wie eine Komposition eines alten Meisters. Nahtlos fügt sich jeder noch so komplexen Antwort eine schlüssige Frage an, und das ohne eine Sekunde des Zögerns. Das Skript, das Gsteiger wohl jeweils nach Zürich liefert, ist punkto Ausgefeiltheit im Dialog vermutlich auf Tarantino-Niveau – inklusive Betonungsangaben.

Man wünscht sich fast die alten Beromünster-Zeiten zurück, bei denen man vor lauter Rauschen gut hinhören musste, aber doch immer wusste, dass das, was da erzählt wird, authentisch ist – aus dem Mund des Manns vor Ort. Stattdessen müssen wir Abend für Abend eine «Abfrööglete» erleben unter erwachsenen Leuten. Und wir sollen ernsthaft glauben, das sei ein echtes Gespräch.

Es lässt sich einfach lösen. Die Moderation führt künftig jedes Gespräch ein mit den Worten: «Bei mir am Telefon nun XY, ich stelle ihm nun die Fragen, die er mir zur Verfügung gestellt hat.» Das wäre ehrlich. Aber das erlebe ich wohl leider nicht mehr.



Stefan Millius ist geschäftsführender Partner der Kommunikationsagentur Insomnia GmbH und der Ostschweizer Medien GmbH in St. Gallen.

Der Autor vertritt seine eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

 

 

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Kommentare

  • Victor Brunner, 25.10.2019 17:39 Uhr
    Da greift jetzt Stefan Milliu böse daneben. Es ist sinnvoll Gespräche die in den Nachrichten gesendet werden vorzubereiten, garantiert Struktur und hoher Informationswert. Nachrichten auf SRF 1 haben eine hohe Qualität. Höher als die Schreibe von Stefan zu diesem Thema. Wahrscheinlich hat er sich nicht vorbereitet und einfach in die Tasten gehauen!
  • Oliver Brunner, 25.10.2019 16:49 Uhr
    Was diese Plaudereien dem Zuschauer in langen Minuten beibringen wollen, könnte dieser in wenigen Sekunden in geschriebener Sprache erfassen. Aber heute sind ja alle zu faul zum Lesen. Besonders mühsam wird es jeweils, wenn der Moderator z.B. Honegger selbst die Zuschauer auch noch belehren will (ohne Fakten).
  • Barbara Ryffel, 25.10.2019 08:34 Uhr
    Wenigstens bietet Radio SRF mit seinen Infomationssendungen solides Journalisten-Handwerk mit guten Recherchen und relativ objektiven Berichten. Dieser Qualitätsjournalismus bietet zwar keine Show, ist meiner Meinung jedoch der Fels in der Brandung in Zeiten von Sensationsschreiberlingen und Fake News.
  • Laurence Sauthier, 24.10.2019 17:09 Uhr
    Chez les Romands genau gleich. P. ex. in "Forum" auf RSR1 ab 18 h mindestens eine halbe Stunde lang.
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