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Liebe in Zeichen von Corona

Matthias Ackeret

Letzte Woche war Werber Peter Lesch Gast in Roger Schawinskis «Doppelpunkt» auf Radio 1 (persoenlich.com berichtete). Es war eine vergnügliche Reise in die glorreiche Vergangenheit der Werbung, die vor allem durch drei Eckpunkte geprägt war: Status, Honorare und Kronenhalle. Peter Lesch, einer der letzten Grossen, die heute noch aktiv sind, war dabei eher einer der Diskreteren. Doch seine Agentur Lesch + Frei an der Weinbergstrasse gehörte zu den sicheren Adressen in Zürichs Werbekosmos: zuverlässig, kreativ und vor allem bis heute selbstständig. Vielleicht war es ein Fehler, vielleicht auch nicht: Lesch hätte seine Agentur in den Achtzigern für sehr viel Geld verkaufen können. Er tat es nicht.

Der Schawinski-«Doppelpunkt» war ein launiger Talk über diese Zeit, die für die meisten Zuhörenden eine fast schon archäologische Expedition in ein – im besten Sinne des Wortes – goldenes Zeitalter war. Wo die Tauben noch gebraten durch die Luft flogen und die schnelle Ideenskizze auf einer Serviette fast den Wert einer Picassozeichnung erreichte. Das legendäre Atlantis zwischen Bellevue und Blauer Ente.

Wenn man es ganz nüchtern betrachtet, ist diese Zeit gar nicht so lange her. Morgarten und auch Marignano und General Guisan waren früher. Vielleicht waren es fünfzehn, vielleicht zwanzig Jahre. Als ich 2002 bei «persönlich» startete, war der Grundsound der Branche jedenfalls noch zu spüren. Man feierte jeden Sommer an der Croisette und zelebrierte jeden Schweizer Löwen wie einen Sieg von Russi oder Collombin. Motto: «Bodins Leute siegen heute!»

Seither aber ist sehr viel passiert.

Gerade die letzte Woche war beredtes Zeichen für den eruptiven Wandel in unserer Branche:

Mit Digitec-Marketingchef Martin Walthert wird erstmals ein Kreativer «Werber des Jahres», der keine eigene Agentur vertritt, sondern die ganzen Kampagnen inhouse macht – ein Trend, der sich in den nächsten Jahren verstärken wird.

Mit Thomas Wildberger tritt bei Publicis ein bekanntes Gesicht ab, das die grösste Schweizer Agentur mit Erfolg geführt hat, aber – laut Pressemitteilung – für die «Neuordnung» nicht mehr zur Verfügung stehe. Was diese Neuordnung, also der Zusammenschluss der Kommunikations-, Digital- und Mediaagenturen, für die Zukunft bedeutet, kann man momentan noch nicht sagen. Höchstwahrscheinlich soll die Vorzeigeagentur am Zürcher Stadelhofen schlanker, agiler und stärker in das internationale Publicis-Netzwerk eingebunden werden.

Die beiden amerikanischen Technologiegiganten Google und Facebook haben die Schweizer KMUs entdeckt und bieten ihnen so den Einstieg in die digitale Welt an. Corona eignet sich dafür bestens. Geld, das bei der herkömmlichen Werbung abfliesst.

Was klar ist: Wenn es den Medien schlecht geht, kann es der Werbebranche nicht viel besser gehen. Wenn es keine Plakate, Inserate oder TV-Spots gibt, benötigt man auch weniger Personen oder Agenturen, die diese herstellen. Wenn man so will: Ist Patrick Warnking, der Schweizer CEO von Google, der neue Peter Lesch?

Der Kreativbranche muss aber – im Gegensatz zu den Medien – zugutegehalten werden, dass sie trotz Corona ihre Fühler nicht nach den Berner Futter- und Geldtöpfen ausgestreckt haben.

Und der original Peter Lesch? Er macht weiter. Seit einer gefühlten Ewigkeit produziert er brillante Werbung für den Zürcher Zoo. Und er isst weiterhin in der Kronenhalle. Das ist irgendwie tröstlich. Auch wenn es nur noch am Mittag ist.



Matthias Ackeret ist Verleger und Chefredaktor von persönlich und persoenlich.com.

 

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