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Lokal geht global

Christian Beck

Rainer ist Korrektor. Er stammt ursprünglich aus Deutschland. Sitzt in einem kleinen Raum und liest. Den ganzen Tag lang. Ich bin oft bei Rainer. Mehrmals täglich. Nicht etwa, weil ich Rainer Texte zum Gegenlesen übergebe. Sondern, weil dort im kleinen Raum das Faxgerät steht.

Das war zwischen 1998 und 2002, als ich als Lokaljournalist beim «Höfner Volksblatt» in Wollerau arbeitete. Unser Verlag leistete sich damals zwar einen Korrektor. Rainer las aber Todesanzeigen und Inserate. Bezahlten Content also. Für journalistische Texte galt das Vier-Augen-Prinzip.

Auf dieses Vier-Augen-Prinzip will man beim «St. Galler Tagblatt» und der «Luzerner Zeitung» nicht vertrauen. Trotz Sparzwang. Also wird das Korrektorat ausgelagert. Nach Banja Luka in Bosnien-Herzegowina (persoenlich.com berichtete). Bei der Firma Tool-e-byte gibt es solche Dienstleistungen laut Website bereits ab 13.50 Euro pro Stunde. Er sei vor der Wahl gestanden, das Korrektorat ins Ausland zu verlagern oder ganz darauf zu verzichten, sagte Pascal Hollenstein, publizistischer Leiter der NZZ Regionalmedien.

Die Twitter-Gemeinde reagierte mit Spott und Häme auf diese News. «An Absurdität nicht mehr zu überbieten», hiess es etwa. Oder: «Wir fordern stattdessen: Verwaltungsrat und Geschäftsleitung nach Bangladesch!» Ein anderer gab einen Buchtipp für das neue Korrektorat in Bosnien: «Duden Schweizerhochdeutsch».

Was machen eigentlich andere grosse Medienhäuser? «Die Blick-Gruppe verfügt über ein zentrales Korrektorat an der Dufourstrasse in Zürich. Es bestehen derzeit keine Pläne zur Auslagerung dieser Tätigkeiten», heisst es auf Anfrage bei Ringer. Ähnlich der Wortlaut bei Ringer Axel Springer, Tamedia und AZ Medien. Alle haben ihr Korrektorat in der Schweiz. Und: «NZZ, NZZaS und Magazine werden von unseren Korrektoren in Zürich gelesen», betont Sprecherin Myriam Käser.

Auslagern – auch ins Ausland – kann gerade in der heutigen Zeit durchaus Sinn machen. Es spielt durch die komplette Vernetzung wirklich keine Rolle mehr, wenn bestimmte Arbeiten von irgendwo auf der Welt erledigt werden. So beschäftigen 20min.ch Deutschschweiz und heute.at gemeinsam ein Team von zehn festangestellten Kommentar-Freischaltern in Österreich. Und nicht nur das. «Um den unbeliebten Nachtdienst in der Schweiz zu vermeiden, wird die Nachtschicht von Newsexpress von drei freien Mitarbeitenden in Thailand, den Philippinen und Neuseeland betreut», sagt Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer gegenüber persoenlich.com.

Wenn man in Kauf nimmt, dass gewisse lokale Eigenheiten nicht korrigiert werden können, spricht nichts gegen eine Auslagerung des Korrektorats ins Ausland. Die Mitarbeiterinnen in Bosnien können vielleicht sogar besser Deutsch als so mancher Journalist in der Schweiz. Und dann gibt es ja auch noch technische Hilfsmittel, wie die Rechtschreibeprüfung und Google. Auch auf Helvetismen würden die Mitarbeiterinnen jetzt gezielt geschult, hiess es. Und bei den NZZ Regionalmedien hat es weiterhin Korrektoren, welche für den Mantel zuständig sind. Die geben dann den Bosnierinnen sicher gerne Auskunft, wenn sie bei «rüüdig» oder «geeggele» anstehen sollten.

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