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Marke Schweiz: Wenn übertriebene Stärken zu Schwächen werden

Punkto Selbstbestimmung ist die Schweiz weltweite Spitze. Ganz Europa blickte teils bewundernd, teils entsetzt auf den unbekannten Nachbarn in seiner Mitte, der sich vor einigen Wochen mit einer hauchdünnen Mehrheit für die Zuwanderungsinitiative der SVP entschied. Und während die Umsetzung der umstrittenen Migrationsinitiative noch nicht einmal im Ansatz geklärt ist, steht mit der Ecopop-Initiative ("Stopp der Überbevölkerung") bereits die nächste Grundsatzdiskussion über die Grenzen der Zuwanderung bevor, die noch weit schärfere Restriktionen fordert. Was bedeutet dies für die Marke Schweiz? Ganz klar sind die gehäuften "Schicksalsschlachten" über die zukünftige Ausrichtung der Schweiz ein starker Beweis für die Selbstbestimmung und die direkte Demokratie, welche den Markenkern der Schweiz ausmacht. Zugleich führt die hohe Kadenz an fundamentalen Weichenstellungen, die vom Volk entschieden werden müssen, zu einer grossen Verunsicherung. Wie steht es um die vielgelobte politische Stabilität der Schweiz? Im Lärm der politischen Extreme und der parteipolitischen Profilierung drohen die besonnenen, gemässigten Positionen zunehmend unterzugehen. Der Blick von aussen zeigt, dass sich die Schweiz in einem tiefgreifenden Veränderungsprozess befindet. Versteht sie sich noch immer als wehrhaftes Alpenvolk oder eher als erfolgreiches, mitunter am stärksten globalisiertes Land der Welt? Wie weit kann die traditionelle Identität bewahrt werden, welche Anpassungen sind nötig, um als Kleinstaat im 21. Jahrhundert bestehen zu können? Selbst in kleineren Schweizer Städten ist der hohe Anteil an Ausländern spürbar, in grösseren wird Multikulti weitgehend erfolgreich gelebt. Eine Tatsache sind auch die hochgradige Exportfokussierung und der damit einhergehende, einmalige hohe Wohlstandslevel. Auffällig ist, wie das Geschäftsmodell der Schweiz ins Wanken geraten ist. Die Finanzbranche als wesentlicher Wohlstandstreiber hat kein Geschäftsmodell mehr, sucht verzweifelt nach einem neuen, entlässt derweil Tausende von Mitarbeitenden und findet keines das auch nur annähernd an die alten Zeiten anknüpfen kann. Die Start-up-Kultur in der Schweiz liegt darnieder, weil die Festangestellten-Gehälter bei den Grosskonzernen schlicht zu hoch sind. Es fehlt die Motivation und die Risikobereitschaft, ein Unternehmen zu gründen. Der Schweizer Staat gibt Milliarden für die Stützung des Wechselkurses des Frankens aus, um die Wettbewerbsfähigkeit der Exportnation zu halten und den Tourismus zu stützen. Das Land liegt mitten in Europa ist von der EU wirtschaftlich und fachkräftemässig abhängig und aufgrund der Währungseingriffe quasi dem Euro angebunden – bekennen will es sich aber nicht dazu. Aus markenstrategischer Sicht steht fest, dass jede Stärke zu einer Schwäche wird, wenn sie übertrieben wird. Genau dies geschieht derzeit mit der Selbstbestimmung. Denn es gibt noch einen zweiten zentralen Markenwert der Schweiz: die Zukunftssicherheit. Dieser leidet in diesen Tagen, ist doch das hektische politische Hin und Her wenig geeignet, die Rahmenbedingungen für eine global stark vernetzte Wirtschaft zu definieren und das Vertrauen in den Nation Brand zu stärken.  Die Schweizer Bevölkerung oszilliert seit Jahren – und besonders seit der Einführung des Euro – zwischen diesen beiden Polen ihres Selbstverständnisses hin und her, und das, wie mir scheint, mit zunehmender Geschwindigkeit. Um eine Chance auf Erhalt des derzeitigen Wohlstands zu haben, wird sich die Schweiz weiter öffnen und assoziieren müssen. Einwanderer auch aus Armutsländern müssen den notwendigen Kontrast und die Reibungsflächen zu den durchdesignten ETH- und HSG-Karrieren liefern. Die Botschaft der Swissness muss weiter in alle Welt getragen werden, um das Preis-Premium für die landestypischen Produkte kassieren zu können. Aber dann darf man sich nicht wundern, wenn die Welt auch in die Schweiz kommt – sei es als Tourist, als Expat oder als Asylbewerberin. Die Angst vor allem vor Fremden und die zwanghafte Überregulierung des öffentlichen und teilweise auch privaten Lebens bilden den Anker der schweizerischen Identität. Starke Marken haben starke Grenzen und genau deshalb ist dieser Anker so wichtig für die Identität der Schweizer. Würde man ihnen diesen Anker nehmen, wäre es auch um die Anziehungskraft der Marke Schweiz geschehen. Es gibt kaum ein Land mit einem so starken Kontrast im eigenen Identitätsverständnis. Es gibt aber auch kaum ein Land, das eine so starke und vor allem profilierte Marke mit so breiten Kompetenzen darstellt. Dieser Kontrast zwischen Selbstbestimmung und Zukunftssicherheit in einer sich immer schneller ändernden Innen- und Aussenwelt zu managen und dem Stimmvolk zu vermitteln, wird die zentrale Zukunftsaufgabe der Schweizer Politiker, Wirtschaftsführer und Meinungsbildner sein.   Klaus-Dieter Koch ist Managing Partner und Gründer von Brand Trust, der führenden Managementberatung für markenzentrierte Unternehmensführung im deutschsprachigen Raum. Er berät namhafte Schweizer Unternehmen, ist ein gefragter Referent und hat mehrere Fachbücher zum Thema Markenstrategie verfasst, zuletzt "No.1 Brands – Die Erfolgsgeheimnisse starker Marken" (erschienen 2013, Orell Füssli). Bild: Keystone
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