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Musk-Beitrag als Weckruf nutzen, nicht als Brandsatz

Das Positive an dem als Gastbeitrag getarnten Wahlaufruf von Elon Musk in der Welt am Sonntag ist, dass professionell-kritische Journalisten und Journalistinnen aus dem Welt-/Springer-Kosmos gegen die Publikation protestierten. Das verdient Lob. Und das muss zum Weckruf werden: Journalismus darf sich nicht für Wahlwerbung, Autokraten und antidemokratische Positionen instrumentalisieren lassen. Wir dürfen das nicht hinnehmen.

Darum geht es: Der einflussreiche US-amerikanische Unternehmer und Politiker Elon Musk warb auf seiner Plattform X für die deutsche AfD und empfahl sich damit offenbar als Autor eines Gastbeitrags in der aktuellen Ausgabe der Welt am Sonntag. Darin durfte er – wenige Wochen vor der Bundestagswahl – die AfD als einzige und letzte Hoffnung für Deutschland darstellen (persoenlich.com berichtete).

Warum ist das problematisch?

Erstens: Ein Gastbeitrag ist nicht einfach eine Meinungsäusserung auf einem Social-Media-Kanal, sondern erhält durch den Rahmen einer journalistischen Plattform im redaktionellen Bereich quasi das Etikett, ein besonderer Diskursbeitrag zu sein. Ein Gastbeitrag ist kein Wahlaufruf. Es muss nicht zwingend die Positionen der Redaktion oder des Medienhauses wiedergeben. Ein Gastbeitrag kann Impuls für eine weitere Auseinandersetzung sein. Deshalb bietet sich häufig an, einen solchen Beitrag im Kontext zum Beispiel mit einer Gegenrede zu veröffentlichen. Das hat die Welt-Redaktion gemacht in Form der parallel publizierten Gegenrede des designierten Chefredaktors Jan Philipp Burgard (und einer späteren weiteren Kritik von Ressortleiterin Franziska Zimmerer an der Veröffentlichung des Musk-Beitrags).

Doch damit sind die Spiesse im Diskurs keinesfalls wieder gleich lang. In Summe hat Musk sich durch das massenmediale Forum nun nochmals mehr Reichweite verschafft für seine recht schlichte AfD-Wahlpropaganda, die ganz und gar nicht das Etikett einer Art Ehrentribüne für vertieften Diskurs verdient, die Gastbeiträgen zukommen kann. Mal positiv angenommen, die, die den Beitrag bestellt haben, hätten sich mehr erwünscht, etwa tatsächlich eine Auseinandersetzung mit AfD-Positionen, dann hätte spätestens bei Durchsicht des Beitrags, den Musk tatsächlich einreichte, die Ablehnung der Publikation folgen müssen.

Zweitens: Professioneller Journalismus in deutscher Tradition lässt sich nicht einfach als Instrument für Wahlwerbung benutzen oder in den Dienst einer Partei stellen, sondern hält zu allen eine gewisse Distanz hält und äussert sich differenziert. Er analysiert Wahlprogramme, zeigt also dem Publikum, was es etwa für Deutschland hiesse, wenn dies oder jenes aus einem Programm wirklich umgesetzt werden würde. Journalistinnen werben allenfalls für ein Grundprinzip, also etwa dafür, sein Wahlrecht wahrzunehmen.

Drittens: die Art, wie hier im Haus Springer/Welt offenbar entschieden wurde, höhlt die innere Pressefreiheit aus und beschädigt die Glaubwürdigkeit eines systemrelevanten Berufs.

Redaktionen können von aussen unter Druck gesetzt werden, aber auch von innen. Letztere sogenannte «innere Pressefreiheit», also das vom Management inhaltlich unabhängige journalistische Arbeiten, wird bei Axel Springer nicht zum ersten Mal gefährlich ausgehöhlt. Dieses Mal scheint die Dimension ein nahezu historisches Ausmass zu erreichen, zumal alle Vorkehrungen und kritischen Stimmen offenbar bewusst ignoriert werden.

Im April 2023 wurde bekannt, dass CEO Mathias Döpfner in einer geleakten privaten SMS den damaligen Bild-Chefredaktor Julian Reichelt darum gebeten hatte, die FDP durch entsprechende Berichterstattung zu stärken. Daraufhin gründete sich ein Redaktionsausschuss, der sich der Aufgabe verschrieb, die redaktionelle Unabhängigkeit der Welt zu garantieren. Dieser Ausschuss wollte im Musk-Fall nun das Schlimmste verhindern. Denn auch jetzt soll Axel-Springer-CEO Mathias Döpfner, zumindest nach Informationen des Spiegel, der Drahtzieher sein und Musk gebeten haben, seinen Post auf X als Beitrag auszubauen. Laut Branchenportal Medieninsider soll sich der Redaktionsausschuss brieflich von dieser «als Gastbeitrag getarnten Wahlwerbung für die in Teilen gesichert rechtsextreme Partei AfD» distanziert haben. Diesem Schreiben sei eine Liste mit unterstützenden Unterschriften von mehr als 40 Redaktoren und Redaktorinnen beigelegen. Die Publikation des Musk-Beitrags erfolgte auch gegen den Willen der zuständigen Leiterin des Meinungsressorts der Welt und der Welt am Sonntag, Eva Marie Kogel; sie trat daher umgehend zurück.

Damit noch immer nicht genug: ein Teil der Führungsetage drehte gleich mehrmals den Spiess um: Sie setzte sich nicht nur über Bedenken der eigenen Redaktion hinweg, sondern leitete aus dem Vorgehen rund um den Musk-Beitrag ein Zukunftsziel ab: Man wolle Die Welt noch entschiedener zum Forum für solche Debatten entwickeln. Der Gastbeitrag entspreche der Meinungsfreiheit; zu ihr gehöre, sich mit kontroversen und polarisierenden Positionen auseinanderzusetzen und diese journalistisch einzuordnen.

Das stimmt zwar, aber Meinungsfreiheit heisst eben nicht, alles widerspruchslos behaupten zu können, ohne sich an Leitlinien halten zu müssen. Meinungsfreiheit schliesst – erst recht in einer journalistischen Rahmung – nicht den Anspruch darauf ein, dass der eigene Beitrag garantiert veröffentlicht wird. In Redaktionen haben Profis zu prüfen, welche Information öffentlich relevant ist, und wie sie sachgerecht vermittelt werden kann, damit Menschen ihre Bedeutung einordnen und bewerten können.

Viertens. Die Inhalte, denen hier ein Forum gegeben wird, lassen sich als Widerspruch zu den hauseigenen Springer-«Essentials» sehen.

Darin steht unter anderem «Wir treten ein für Freiheit, Rechtsstaat, Demokratie und ein vereinigtes Europa. Wir unterstützen das jüdische Volk und das Existenzrecht des Staates Israel. Wir befürworten das transatlantische Bündnis zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa» und man lehne politischen Extremismus ab. Die AfD aber tritt teils völkisch, fremdenfeindlich und antisemitisch auf und will EU, Euro und Nato verlassen.

Journalismus muss sich mit solchen Positionen inhaltlich auseinandersetzen, also kritisch und sachgerecht, und sollte sich nie als schlichtes Sprachrohr benutzen lassen. Wahlberichterstattung erfordert Sensibilität, der Umgang mit Gastbeiträgen ebenso. Beides war hier nicht der Fall. Und genau das muss uns auffallen.

Und nun?

Der Beitrag erzielte hohe Aufmerksamkeitsprofite – für Musk, für die AfD, für die Springer-Medien und durchaus auch für jeden von uns. Die Empörung und die rege Diskussion rund um den Musk-Werbebeitrag können dessen Brandsatz-Potenzial in ein Weckruf-Potenzial für unsere demokratische Kultur transformieren: Wir müssen politischer werden, uns bewusster machen, was geht, und uns im Klaren darüber sein, wie wichtig Journalismus für uns und unsere Demokratie ist und woran wir ihn erkennen.



Marlis Prinzing ist Professorin für Journalistik an der Hochschule Macromedia in Köln, Moderatorin, Kolumnistin (Der Standard), Buchautorin und Herausgeberin diverser Fachbücher.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

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