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Nichts ist schneller als jetzt

Wie viele andere habe ich den Blogbeitrag von Thomas Wildberger gelesen und auch die Replik. Ich hoffe, dass daraus eine Schweizer Diskussion entsteht, weshalb ich jetzt ausnahmsweise auch mal meinen Senf dazu gebe. Als jemand, der in verschiedenen Strukturen und Modellen schon kreativ gearbeitet hat, will ich deshalb erstmal grundsätzlich antworten, dass die Suche nach dem richtigen, dem einzigen, dem besten Weg zur (grossen) Idee so alt wie müssig ist. Es wird im KI-Zeitalter, genau wie bisher, verschiedene Ansätze sowie unterschiedliche Kreationsprozesse geben. Und die werden zu ebenso unterschiedlichen Ergebnissen führen – aus meiner Sicht vor allem in Sachen Qualität und der damit einhergehenden kreativen Kraft, Menschen wirklich zu berühren und sie nicht nur kurz abzulenken von dem, was sie eigentlich viel lieber angucken würden. Die Art Ideen, die im Wohnzimmer für funkelnde Augen sorgen, im Büro von CMOs und in den Juryräumen. Sozusagen überall von Schübelbach über Basel bis Cannes.  

Und ich verstehe die teuflische (um in Thomas Wildbergers Bildsprache zu bleiben) Verlockung und vielleicht sogar den Spass, sich gemeinsam mit KI etwas auszudenken, eine Idee zu spiegeln, finden oder weiterzuentwickeln. Denn überträgt man dieses «Ausdenken» mit KI als Sparringspartner auf einen «Mensch only»-Prozess, landet man im Idealfall bei «CD denkt mit Junior-Team aus», und das ist ein sehr fruchtbarer Prozess. Der ganz sicher Spass macht und die neue Generation beflügelt.

Aber ich mag den romantischen Gedanken von der «rohen» puren Idee sehr, die man aus sich selbst heraus erschafft. Mit grosser Betonung auf dem «Ur» von Urheberschaft. Natürlich ist die bewusst oder unbewusst inspiriert von der Summe unserer Wahrnehmung, unserem (Er)Leben, unserer Erfahrung und letztlich von allen Ideen, über die wir auf dem ein oder anderen Weg mal gestolpert sind.

Da traue ich mich sogar zu behaupten, dass dieser Weg zur Idee schneller ist als gemeinsames Ausdenken – egal ob mit Maschine oder Menschen. Denn diese Art Idee taucht einfach auf. Sie trifft einen plötzlich, als käme sie aus dem Nichts. Sie wird geboren und nicht erarbeitet oder entwickelt. Sie ist neu. Das mag kitschig klingen, gilt aber absolut zeitlos, wie es Kreativität eben tut. Wer sich auf so eine Fähigkeit verlassen kann, wird nie ein Problem haben, Ideen jeglicher Art zu generieren – von Werbung bis hin zu kreativen Lösungen ganz ausserhalb von (Marken-)Kommunikation und trotzdem mit kommerziellem Nutzen. Von Postern über Markenerlebnisse bis hin zu innovativen Produkten und Services.

Ich gehe auch mit Thomas d’accord, dass KI unseren Alltag und unsere Zukunft mitbestimmt. Meine Sorge, aber zugleich meine Hoffnung liegt darin, dass der Sea of Sameness noch grösser und trüber wird. Ein gutes Beispiel dafür sind die kürzlich «viral» gegangenen Actionfiguren. Die Hoffnung, die ich aus dem massenhaften Einerlei ziehe: dass es für Marken noch wichtiger werden wird, anders aufzutreten, herauszustechen und mit ein bisschen Disruption so wirklich wahrgenommen und gemocht anstatt gelikt zu werden.

Die Disruption durch KI wird viel grösser sein, als dass es unsere Branche nur direkt betreffen würde. Mit schnelleren Prozessen, günstigeren Umsetzungen und und und.  Der grössere KI-Impact auf unsere Branche wird gar nicht in Agenturen entstehen, sondern von aussen kommen. Von den Menschen, die Werbung und die beworbenen Produkte und Services nutzen. Denn durch die Tatsache, dass sich jetzt jede Person kreativ ausdrücken kann, wird jeder zum «Creator» und künftig unsere Kampagnen ganz anders anschauen und bewerten. Sie gleichen sich in der Hinsicht ein bisschen uns aus der Kreativindustrie an, die wir Kampagnen generationenlang anders anschauen als Konsumentinnen und Konsumenten und nun gefordert sind.

Welche Rolle also die pure «human made»-Idee in Zukunft spielen wird, weiss ich nicht. Aber es liegt an uns, ihr weiterhin die Hauptrolle zu geben. Mit KI als Supporting Act. 



Manuel Wenzel ist Chief Creative Officer bei TBWA Switzerland.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

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