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Qualität, Qualität, Qual...

Roger Schawinski

Ein Genre in der arg gebeutelten Presselandschaft gibt sich weiterhin zuversichtlich: Die Qualitätspresse, wie sie sich selbst nennt, glaubt, das Rezept gegen den Abstieg gepachtet zu haben. Ihr Angebot sei auch in Zukunft unersetzlich und damit Garant für ungebrochene Beachtung und Einnahmen, verkündet man. In der Schweiz ist es die NZZ, die sich ohne zu zögern in eine Reihe mit Weltblättern wie der New York Times oder der Financial Times stellt. Dabei wird das Diktum der Spitzenqualität weder infrage gestellt noch belegt. Und das aus gutem Grund. Zwar liefert die NZZ die scharfsinnigsten und ausführlichsten Analysen zur Lage im Südsudan oder in der Ostukraine. Aber bereits in der früheren Kernkompetenz – der Wirtschaft – liefert man Bedenkliches. So setzte man am 7. Januar folgende Schlagzeile auf Seite 1: «Das Nationalbankgold als Verlustgeschäft.» Natürlich ist diese Formulierung blanker Unsinn. Zu einem Geschäft gehört es, dass man kauft oder verkauft, so entsteht ein Gewinn oder ein Verlust. Nun verkauft oder kauft die Nationalbank seit Jahren kein Gold, sondern hält ihren Bestand stabil, der wegen der Fluktuation des Goldpreises allein Bewertungsschwankungen unterliegt. Punkt. Dass die NZZ die Nationalbanker für ihr Gebaren implizit rügt, obwohl gar kein Geschäft stattgefunden hat, erinnert an die Titelmotzerei, die bei gewissen Online-Portalen üblich ist. Von Qualität keine Bohne. Beispiel Nummer 2, bei dem ich selbst Thema der Berichterstattung war. René Zeller mokierte sich darüber, dass ich wegen meiner Nichteinladung zur «Club»-Sondersendung zum 40.Geburtstag der von mir gegründeten Sendung «Kassensturz» «irritiert, enttäuscht und bestürzt» gewesen sei, um sich dann genüsslich an mir abzuarbeiten. Er schlägt den Bogen bis zur opulenten Ringier- Berichterstattung zum 70. Geburtstag von Frank A. Meyer und bemerkt: «Roger Schawinski soll dem Vernehmen nach kaum weniger eitel sein als sein Kollege aus dem Hause Ringier.» Nun habe ich mich tatsächlich öffentlich geäussert, dabei meine Worte aber bewusst gewählt. Gesagt habe ich, dass ich «irritiert und enttäuscht» sei (vgl. z.B. persoenlich.com). Hingegen habe ich tunlichst ein Adjektiv wie «bestürzt» vermieden, weil ich gewusst hatte, dass sich Neider und Kritiker genüsslich darauf stürzen würden. Für den geplanten Hämeartikel von René Zeller war dies natürlich ein mittleres Malheur, und so hat es der unverfrorene Zitatfälscher einfach hinzuerfunden. Nur so konnte er sich im nächsten Satz zum Frotzel-Finale «Wir wehklagen mit» emporschwingen. Das heisst, mit bewusst gefakten Zitaten und dem Verbreiten von Gerüchten («soll dem Vernehmen nach ...») bastelt die NZZ ihre Verrisse. Mit solchen Schludrigkeiten käme man bei jedem journalistisch gemachten Boulevardprodukt brutal unter die Räder. Ich habe René Zeller in einer Mail auf das gefälschte Zitat und weitere locker-flockig hingeworfene Unterstellungen hingewiesen. Ich war dann aber in keiner Weise überrascht, dass er nicht geantwortet hat. Schliesslich arbeitet er in einer Qualitätszeitung, also in einer höheren journalistischen Sphäre, in der man sich von Einwürfen und Hinweisen von aussen nicht verunsichern lässt. Und wahrscheinlich fühlt sich jemand, der sich in solch luftigen Höhen bewegt, dabei weder als unhöflich noch als arrogant. Denn viele Jahrzehnte ist man im NZZ-Elfenbeinturm mit solcher Abgehobenheit gut gefahren. Doch wenn im heutigen Umfeld immer mehr Leute merken sollten, dass die Sache mit der Qualität nur noch ein weitgehend inhaltsleerer Werbespruch ist, dann kann der Niedergang einer hochpreisigen Zeitung wie der NZZ noch schneller und brutaler erfolgen als in den weniger elitären Bereichen der Presselandschaft.    
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