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So lügt man sich in die eigene Tasche

Roger Schawinski

Discounterangebote, Bordellinserate und Todesanzeigen haben etwas Wichtiges gemeinsam: Sie sind weitgehend krisenresistent. Denn die primären Mechanismen des Menschen lassen sich nicht so leicht wegknipsen wie das Bedürfnis nach Luxusartikeln, für die es auch in geräumigen Wohnungen kaum mehr Stauraum gibt. Ja, liebe Freunde, die Lage ist wahrlich ernst, wenn sich Zeitungsmanager an bezahlten Daten über Nutten, Abdankungen und Ravioli-Aktionen laben müssen, um die immer schwindsüchtigeren Bünde aufzupeppen. Mit Siebenmeilenstiefeln nähern sich Zeitungen und Zeitschriften dem Abgrund, wie es nicht nur ideenlose, zynische Untergangspropheten überzeugend voraussagen. Selbst der clevere Rupert Murdoch verliert mit seinen Zeitungen so viel Geld, dass er seine ganze News Corporation gefährdet. Und mit welchen Argumenten halten die Herren der alten Ordnung dagegen? Sie beschwören die unvergleichlichen Vorteile der Qualitätszeitung gegenüber allen anderen Medien. Sie verweisen auf die Tiefe der Recherche und die differenzierte Kommentierung, welche ihnen das Überleben auch in einer verwirrend neuen Medienwelt sichern sollen. Mit diesem USP wollen sie sich bis zur nächsten Konjunktur hinüberretten, die irgendwann kommen wird – hoffentlich. Die Realität ist anders. Ich erkenne genau in diesen Bereichen ein weitgehendes Versagen vieler Presseorgane. Diese Finanzkrise und ihre spezifischen nationalen Komponenten haben das Interesse weiter Kreise an Informationen, Erklärungen und Hintergründen mehr geweckt als jedes andere Ereignis seit ganz langer Zeit. Man dürstet danach zu verstehen, was sich vor unseren Augen abspielt, man will wissen, wie man selbst betroffen ist, als Mieter, Aktionär, Arbeitnehmer oder Arbeitgeber. Und man will wissen, wer in welchem Masse für diesen Finanz-Tsunami verantwortlich ist. Für Journalisten heisst dies: Ihre wichtigste Fähigkeit ist gefragt, nämlich die des Recherchierens. Denn alle spannenden Fakten werden von einem verunsicherten Publikum gierig aufgesogen. Okay, ich weiss, Recherchieren ist anstrengend, aufwendig und oft auch unangenehm. Es stört den geruhsamen Büroalltag, bei dem man sich durch die internationalen Internetseiten klickt und nur hie und da den Telefonhörer in die Hand nimmt. Augenfällig wird dies besonders bei der schweizerischen Qualitätszeitung par excellence, dem Weltblatt von der Falkenstrasse. Dort gilt die Wirtschaft neben dem Ausland als Paradedisziplin. Doch bei der Aufarbeitung des grössten Wirtschaftsthemas seit Menschengedenken hat die Redaktion der NZZ kläglich versagt. Kein einziger Primeur ist mir in Erinnerung geblieben, kein einziger Artikel mit selbst recherchierten Fakten, keine echt neuen Einsichten. Hansjörg Abts brillante Recherchen zum Fall Bally-Rey sind ein singuläres Ereignis geblieben – und das war 1976! Die NZZ hat ihren Kompetenzvorsprung auf fahrlässige Weise weggegeben, und dies ausgerechnet in einer Phase, wo sie am besten und eindrücklichsten hätte punkten können. So wird meist verspätet vermeldet, was man an anderer Stelle schon lesen konnte. Und es wird aus dem Lehnstuhl kommentiert, was andere erarbeitet haben. Es ist vor allem die kleine Redaktion der Zeitung Sonntag, die sich seit über einem Jahr Woche für Woche die Themenhoheit im Fall UBS gesichert hat, einfach weil dort die journalistischen Tugenden ernst genommen werden. Jeden Sonntagmorgen müssen die Internetdienste die Exklusivstorys vom Sonntag aufnehmen. Und am Montag hinkt die NZZ mit blossen Agenturmeldungen hinterher. So hiess es da vor Kurzem: “Mehrere Medien deuteten an, Verwaltungspräsident Peter Kurer und Konzernchef Marcel Rohner seien über Fälle von Steuerbetrug in den amerikanischen Filialen der Bank informiert gewesen.“ Nein, so geht es nicht. Die Qualitätszeitung wird nur überleben, wenn sie journalistisches Feuer und Engagement einbringt. Und einen echten Mehrwert. Alles andere ist zu wenig. Und es ist eben nicht eine Frage der Redaktionsgrösse, wie dieses Beispiel beweist. Die anderen Sonntags- und Tageszeitungen mit viel grösseren Budgets hinken ebenfalls hinterher, weil sie ihren Job in diesem Fall eben weniger gut machen als Arthur Rutishauser und sein kleines Wirtschafts-Team in Baden. Denn nur mit “excellence” wird die Qualitätszeitung überleben, und dies nicht mit einer vornehm vorgeschobenen, sondern einer, die vom Leser genau als solche erlebt wird. Sonst werden die Journalisten irgendwann und irgendwo eine weitere Todesanzeige lesen können. Die für die eigene Zeitung.
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