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So nicht, Familie Lebrument!

Das Medienunternehmen Somedia in Chur hat mitgeteilt, dass es jetzt eine Ombudsstelle für sein Publikum einrichtet (persoenlich.com berichtete). Das ist positiv. Und das Unternehmen hat ferner mitgeteilt, dass als Ombudsfrau Susanne Lebrument amten wird, die Vizepräsidentin des Verwaltungsrates von Somedia. Das ist total daneben.

Bei den Medien setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass das Publikum die Möglichkeit haben muss, sich unkompliziert zu beschweren, falls Journalistinnen und Journalisten Fakten verdrehen, einseitig berichten, gegen religiöse und sittliche Gefühle verstossen oder die Privatsphäre missachten. Es gibt daher in vielen Ländern Presseräte und Rundfunk-Beschwerdestellen auf nationaler Ebene sowie Ombudsstellen bei den einzelnen Medienhäusern.

Die Ombudsstellen breiteten sich zuerst in den USA aus, werden inzwischen aber auch in Europa immer populärer. So kennen in Deutschland bereits 14 Medienhäuser eine Ombudsstelle. In der Schweiz sind Ombudsstellen im Rundfunkbereich obligatorisch, im Bereich der privaten Medien aber freiwillig. Bei den privaten Medien sind mittlerweile vier Ombudsleute bei zwei Medienhäusern am Werk, nämlich bei der TX Group (Tages-Anzeiger usw.) Ignaz Staub für die deutschsprachigen Tamedia-Produkte, Denis Etienne für jene der Westschweiz, und bei CH Media (Aargauer Zeitung usw.) Hans Fahrländer für die Medien in der Nordwestschweiz und Rudolf Mayr von Baldegg für jene in der Zentralschweiz. Dazu kommen die fünf Ombudsmänner und die vier Ombudsfrauen für Radio und Fernsehen. Es gibt also bereits viel Erfahrung mit Medien-Ombudsleuten in der Schweiz.

Ombudsleute nehmen Klagen des Publikums entgegen. Sie vermitteln zwischen jenen, die sich beschweren, und der betroffenen Redaktion, oder sie nehmen Stellung. Dabei können sie auch Empfehlungen an die Redaktionen richten, wie man etwas besser machen könnte. Ombudsleute müssen einerseits die Medien, das Medienrecht und die Medienethik gut kennen, andererseits glaubwürdig sein.

Glaubwürdig sind sie nur, wenn sie von den Medien, die sie zu beurteilen haben, unabhängig sind. Deshalb kommen für die Funktion von Ombudsleuten vor allem ehemalige Journalistinnen und Journalisten anderer Medien und der eigenen Medien oder medienaffine Juristinnen und Juristen infrage. Beispiele für ehemalige Medienleute sind Ignaz Staub (Tamedia Deutschschweiz), Daniel Cornu (Tamedia romande), Esther Girsberger (SRG Deutschschweiz) oder Hans Fahrländer (CH Media). Beispiele für medienaffine Juristen sind Rudolf Mayr von Baldegg (CH Media), René Rhinow (CH Media), Arthur Hänsenberger (SRG Deutschschweiz) oder Otto Schoch (SRG Deutschschweiz). Sie alle waren und sind nicht in die Linienverantwortung des entsprechenden Medienhauses eingebunden. Das versetzt sie in die Lage, unabhängig zu werten und sowohl gegenüber dem Publikum als auch gegenüber den Redaktionen glaubwürdig zu argumentieren.

Gehört aber eine Ombudsfrau wie Susanne Lebrument nicht nur dem obersten Führungs- und Aufsichtsgremium des Medienhauses, sondern sogar noch der Verleger- und Eigentümerfamilie an, dann sind weder Unabhängigkeit noch Glaubwürdigkeit gegeben. Der Status einer Miteigentümerin lässt sich nicht einfach abstreifen, und vor allem: Das Publikum betrachtet ein Mitglied der Verlegerfamilie von vornherein als parteiisch, selbst wenn sich die Person im Einzelfall anders verhalten sollte. Eine auf diese Weise besetzte Ombudsstelle ist keinen Pfifferling wert, deshalb kann man nur nach Chur rufen: So nicht, Familie Lebrument! Diese Personalie fügt der Institution Medien-Ombudsstelle in der Schweiz insgesamt Schaden zu.



Roger Blum ist emeritierter Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Bern und ehemaliger Ombudsmann der SRG Deutschschweiz

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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KOMMENTARE

Oliver Hohl
07.02.2024 07:54 Uhr
Sehr geehrter Herr Braun Als Jurist würde ich behaupten, dass es sehr wohl vertretbar ist, sie als Lohnempfänger von ihrer Ombudsfrau Susanne Lebrument zu bezeichnen. Susanne Lebrument ist gemäss ihren Aussagen Mitinhaberin der Unternehmung, bei welcher sie angestellt sind. Zudem ist sie als VR-Präsidentin und Delegierte des Verwaltungsrates in der strategischen Leitung der Unternehmen eingebunden. Wie unser gemeinsames Treffen letzthin gezeigt hat, nimmt sie dabei selbst am Austausch mit Kritikern an der redaktionellen Arbeit Einsitz und nimmt sogar äusserst operative Aufgaben wahr. Wenn sie dies negieren, betreiben sie Augenwischerei gegenüber ihren Kunden. Ich bedaure, dass sie die Kritik eines Fachmanns wie Roger Blum ebenso wie Kritik aus ihrer Leserschaft nie ernsthaft reflektieren, sondern diese einfach wegzuschreiben oder wegzudiskutieren versuchen. In den Worten einer ehemaligen SO-Mitarbeiterin zu internen Verbesserungsvorschlägen: «Jede Idee wurde wortreich zerredet. Das war sehr zermürbend.» Die Rolle der SO ist eigentlich zu wichtig, als dass bei jeder Kritik eitel, dünnhäutig und letztlich gar falsch reagiert würde. Als langjähriger Kunde der SO-Medien bedaure ich dies wirklich zutiefst.
Joachim Braun
06.02.2024 15:37 Uhr
Bei aller Liebe, Herr Hohl, Sie sollten sich als Jurist schon an die Wahrheit halten. Ich bin nicht mal, wenn man das Recht beugt, "Lohnempfänger von Susanne Lebrument", denn sie hat im Verlag keinerlei operative Funktion. Und welche Funktion ich habe, habe ich in meiner Antwort auf Herrn Blum klar dargestellt. Sie wissen ja, Herr Hohl: Getretener Quark wird breit, nicht hart.
Oliver Hohl
06.02.2024 09:41 Uhr
Ihre Feststellungen sind äusserst zutreffend. Dass sie von Herrn Braun als Lohnempfänger von Susanne Lebrument in Frage gestellt wird zeigt einzig seine fehlende Selbstreflexion. Liebe Grüsse aus Chur
Ueli Custer
06.02.2024 08:49 Uhr
Genau, Roger Blum. Bei einer Ombudsstelle gehört das Wort "unabhängig" zwingend dazu. Und das ist bei Susanne Lebrument mit Sicherheit nicht der Fall. Hier der Vollständigkeit halber noch die Definition aus Wikipedia: "Auch Medien wie Zeitungsverlage beschäftigen zunehmend Ombudsleute. Sie sollen zwischen Lesern und Anzeigenkunden auf der einen Seite und Redaktionen und Verlag auf der anderen Seite vermitteln."
Urs Anton Löpfe
06.02.2024 07:30 Uhr
Grüezi Herr Blum Ich kann von der Theorie her ihre Argumentation sehr gut nach vollziehen. Entscheidend ist jedoch, welches Vertrauen und welchen nutzen sehen die Mediennutzer. Hier scheint doch einiges schief zu laufen. Dies zeigt sich vor allem darin, dass die Halbierungsinitiative und der Vorschlag des Bundesrates. Wir erleben zur Zeit, wic sich die Wirtschafts- und Wissenschaftsredaktion von von Radio SRF weigert mit Experten aus dem Energiebereich zu sprechen, nachdem diese es wagten zu kritisieren, dass die Berichterstattung nicht ausgewogen sei. Ombudsstellen bringen wenig, wenn es nicht gelingt, die Finanzierung einer vielfältigen Medienlandschaft sicher zu stellen und Redaktionen sich weigern ins Gespräch zu gehen.
Michel Bossart
06.02.2024 06:28 Uhr
Als ich von der Ernennung Lebruments gehört habe, habe ich auch gestaunt und mich gefragt, ob das ein verfrühter Aprilscherz sei.
Joachim Braun
05.02.2024 15:43 Uhr
Laut gebrüllt, Herr Blum. Aber gut? Vor allem Ihr letzter Satz ist reiner Popanz. Niemand will bei Susanne Lebrument den Status der Miteigentümerin abstreifen. Und dass unsere Leserinnen und Leser sie als parteiisch betrachten werden, ist erstmal eine nicht belegte Unterstellung. Vielleicht sollten Sie, Herr Blum, die Bestellung von Frau Lebrument als Indiz dafür sehen, dass bei der Somedia AG die Brandmauer zwischen Redaktion und Verlag/Eigentümern weiterhin unversehrt ist, was offensichtlich nicht selbstverständlich ist. Am Ende entscheidet ohnehin das Publikum vor Ort. Joachim Braun, Co-Leiter der Chefredaktion Südostschweiz
Marcus Knill
05.02.2024 10:56 Uhr
Lieber Roger Blum Ich war über 20 Jahre Ombudsmann der Kantonsschule Schaffhausen. Bei uns war die Unabhängigkeit auch eine ganz wichtige Voraussetzung für den Job. Den Beitrag kann ich voll und ganz unterstreichen. Gut gebrüllt, Roger Blum! Marcus Knill, Kommunikationsberater
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