Gerade eben forderte TX-Group-Verleger Pietro Supino in einem Plädoyer ein «komplementäres Mediensystem» zwischen SRG und privaten Anbietern (persoenlich.com berichtete). Seine Ausführungen offenbaren ein Grundproblem der Mediendebatte: Sie wird geführt wie ein territorialer Grabenkampf zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Medien. Das wirft die Frage auf: Geht es wirklich um journalistische Vielfalt oder schlicht um Marktbereinigung?
Als wäre die Auseinandersetzung zwischen SRG und Verlagen der zentrale Schauplatz der Zukunft des Journalismus und des modernen Medienkonsums.
Ist sie aber nicht.
Warum mische ich mich in diese Debatte ein? Weil wir starke Schweizer Medienhäuser brauchen, um mit gekaufter Werbung unsere Zielgruppen zu erreichen. Doch die Vorstellung, es ginge den privaten Medien besser, wenn man die SRG in ihre Schranken weist, ist ebenso unplausibel wie gefährlich. Wer glaubt, dass eine geschwächte SRG automatisch zu florierenden Verlagen führt, ignoriert, dass der journalistische Wettbewerb längst global ist.
Ich habe grossen Respekt vor der Arbeit, die Journalisten jeden Tag leisten. Ihre Recherchen, ihre Sorgfalt und ihr kritisches Denken sind unverzichtbar für eine gesunde Gesellschaft und eine starke Medienlandschaft. Doch genau deshalb brauchen wir eine Debatte, die nicht von Abwehrkämpfen, sondern von Zukunftsvisionen geprägt ist. Eine Debatte, die den Journalismus stärkt, statt ihn in alten Geschäftsmodellen gefangen zu halten.
Die Aufmerksamkeit der Schweizer wird nicht zwischen Tamedia und SRG aufgeteilt. Sie folgt relevanten Inhalten in interessanten Formaten, unabhängig vom Absender. Die Form eines Mediums muss an den Konsummoment und die gewünschte Tiefe angepasst werden – nicht umgekehrt.
Wie gut der Journalismus ist, lässt sich nicht an der Länge eines Textes messen. Im Gegenteil. Arte hat mit dem Format «Mit offenen Karten» ein brillantes Konzept, das komplexe geopolitische Themen wie «Putsch in Niger» oder «G20-Indien» und «China im Clinch» in wenigen Minuten tiefgründig und klar erklärt. Einflussreiche YouTuber wie LeFloid oder MrWissen2go broadcasten mit jeweils über 2,5 Millionen deutschsprachigen Abonnenten fast täglich über Antisemitismus, Indien vs. Pakistan oder «Die Wahrheit über Soja». Ihre Community beteiligt sich mit Hunderten von Kommentaren am öffentlichen Diskurs. Solche Communities sind für Werbetreibende interessant.
Nicht, dass ein paar Videos den Schweizer Journalismus retten können. Doch solche Formate, zum Beispiel auf tagi.ch, würden ein Medienökosystem aufwerten und starke Communities aufbauen, die wir als Werber genauso erreichen wollen. Erst recht mit dem Qualitätssiegel Tages-Anzeiger, das hier ein Preispremium einfordern kann.
Die traditionellen Medienhäuser optimieren eine Wertschöpfungskette von gestern. Sie denken in Produktkategorien – gedruckte Zeitung, Website, App – während die journalistische Wertschöpfung längst in Daten, Communities und personalisierten Erlebnissen liegt. Erfolgreiche Medienangebote schaffen keine isolierten Produkte mehr, sondern digitale Heimaten, die den Alltag ihrer Nutzer begleiten.
Hier geht es nicht um kosmetische Anpassungen an digitale Trends, sondern um eine grundlegende unternehmerische Weichenstellung.
In einem echten Medienökosystem denken wir nicht in isolierten Kanälen, sondern in integrierten Informationswelten. Nicht in Konkurrenzkämpfen, sondern in komplementären Stärken. Die Vorstellung, man könne Journalismus in Schubladen sortieren – Text hier, Audio dort, Video da – ignoriert, wie Menschen heute Medien konsumieren.
Die Frage lautet nicht mehr: «Welche Zeitung lese ich?», sondern: «Wer ist mein Journalist?» Plattformen wie Ground.news zeigen bereits die Zukunft: Sie aggregieren Nachrichten zu einem Thema und zeigen auf, wie unterschiedlich politisch positionierte Medien darüber berichten. Als Nutzer sehe ich nicht nur eine Perspektive, sondern das volle Spektrum – von links nach rechts, von progressiv bis konservativ. Redet man von objektivem Journalismus, ist es so ein Format, das ich mir vorstelle. Die algorithmische Kuratierung von Qualitätsinhalten verändert grundlegend, wie wir auf Informationen stossen und welche wir konsumieren.
Soll der Staat hier helfen? Wenn die indirekte Presseförderung die Distribution der alten Zeitung unterstützt, warum nicht die digitale Distribution innovativer Inhalte fördern? Sind journalistische Investitionen «schutzwürdig», wie Supino formuliert, dann müssen sie vor allem zukunftsfähig sein. Dann sind auch die Schweizer Werbetreibenden sofort mit dabei.
Kanada zeigt einen Ausweg aus der Förder-Sackgasse. Der «Canada Media Fund» unterstützt gezielt innovative, interaktive digitale Medieninhalte. Anspruchsberechtigt sind Unternehmen aller Grössen – etablierte Häuser ebenso wie Start-ups. Die «Local Journalism Initiative» fördert gezielt unterversorgte Gemeinschaften mit journalistischer Qualität.
Hier zeigt sich das fundamentale Paradox: Schweizer Verlage beklagen den Strukturwandel lautstark, investieren aber kaum in echte Innovation. Sie fordern Schutz für bestehende Geschäftsmodelle, während disruptive Ideen längst ausserhalb der etablierten Medienhäuser entstehen.
Warum experimentieren wir nicht mit einem Schweizer Innovations-Fonds, der journalistische Pionierarbeit belohnt – egal ob von der SRG, etablierten Verlagen oder neuen Playern? Die Förderung könnte an die Bedingung geknüpft werden, dass Erkenntnisse und Technologien geteilt werden – zum Nutzen des gesamten Medienplatzes Schweiz.
Eine zeitgemässe Medienförderung müsste drei Bereiche transformieren:
- Von Format zu Funktion: Nicht mehr Text, Audio oder Video fördern, sondern die journalistische Leistung – unabhängig vom Format und Absender.
- Von Strukturen zu Innovationen: Experimentelle Projekte und neue Erzählformen statt Erhalt bestehender Vertriebswege.
- Von Silos zu Ökosystemen: Plattformen und Technologien fördern, die Schweizer Inhalte im digitalen Raum sichtbar machen.
In einem echten Medienökosystem würden wir nicht in Produktkategorien denken, sondern in Nutzererlebnissen. Nicht in isolierten Kanälen, sondern in integrierten Informationswelten. Nicht in Konkurrenzkämpfen, sondern in gemeinsamer Zukunftsgestaltung. So entstehen Plattformen, die Schweizer Inhalte in den öffentlichen Raum tragen – ohne sich den Regeln der globalen Tech-Giganten unterwerfen zu müssen.
Die Schweiz hat die Innovationskraft, die finanziellen Mittel und das journalistische Talent, um eine Vorreiterrolle in der Medienlandschaft der Zukunft einzunehmen. Die Frage ist nicht, ob wir uns verändern müssen, sondern ob wir den Mut haben, die alten Grabenkämpfe hinter uns zu lassen und gemeinsam Neues zu wagen.
Und Werbebudgets sind wie Wasser: Sie fliessen zu den Plattformen, auf denen ihre Zielgruppen ihre Zeit verbringen.
Achill Prakash war Head of Marketing Communications von Swisscom, Vorstand des Schweizer Werbe-Auftraggeberverbands und Mitglied der Geschäftsleitung von Publicis. Er ist Gründer von Better Studio Zürich und berät Unternehmen in Marken- und Werbestrategie.
Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.
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