Frau Horber, am Donnerstag ist das Referendum gegen das neue Filmgesetz eingereicht worden (persoenlich.com berichtete). Wie geht es Ihnen?
Grundsätzlich gut, wir haben erwartet, dass das Referendumskomitee die erforderlichen Unterschriften zusammenbekommt – die Hürde ist ja nicht sehr hoch. Und wir haben uns entsprechend vorbereitet. Aber natürlich wäre es uns lieber gewesen, alle hätten den Sinn dieser Gesetzesrevision begriffen und keine Notwendigkeit gesehen, hierzu ein Referendum zu ergreifen.
70'000 Unterschriften kamen innert kürzester Zeit zusammen. Was denken Sie, welches Argument des Nein-Komitees hat gut funktioniert?
Wie uns mehrfach berichtet wurde, wurden auch mit falschen und trügerischen Argumenten Unterschriften generiert. Wir wissen von einer Person, die unterzeichnet hat, weil man ihr erklärt hat, sie unterstütze damit das Schweizer Filmschaffen. Dass es genau um das Gegenteil geht, wurde dieser Person erst im Nachhinein bewusst. Sicherlich hat auch das Argument der Mehrkosten für die Konsumentinnen und Konsumenten sehr gut funktioniert.
«Die ‹Lex Netflix› ist ein Frontalangriff auf unser Portemonnaie», sagte Matthias Müller, Präsident des Referendumskomitees «Filmsteuer Nein», in einem persoenlich.com-Interview. Das Geldargument scheint bei Unterschriftensammlungen zu ziehen.
Dieses Argument funktioniert immer. Auch wenn die Behauptung der Mehrkosten im vorliegenden Fall nicht wahr ist und die Referendumsführerinnen und -führer einer Begründung schuldig bleiben. Es ist nicht ersichtlich, dass Anbieterinnen wie Netflix durch die Investitionspflicht Mehrkosten entstehen.
Warum nicht?
Das Geschäftsmodell von Netflix und Co besteht darin, Filme anzubieten. Dafür müssen sie Filme (ko-)produzieren, in Auftrag geben und ankaufen. Wenn sie einen Teil ihres Katalogs mit Schweizer Filmen bestücken, bedeutet das keine Mehrkosten, zumal Schweizer Produktionen im Ankauf im Schnitt günstiger sind als Filme aus unseren Nachbarländern wie Deutschland und Frankreich. Wenn also keine Mehrkosten entstehen, ist auch nicht ersichtlich, weshalb irgendetwas auf die Konsumentinnen und Konsumenten überwälzt werden sollte.
«Ich weiss nicht, wer auf die Idee von teureren Abonnementspreisen gekommen ist»
Sie sind also sicher, dass es deswegen keine Preisaufschläge bei den Abos geben wird?
Wie gesagt, wenn man vier Prozent statt in den USA in der Schweiz in einen Film investiert, entstehen keine Mehrkosten. Ich weiss nicht, wer auf die Idee von teureren Abonnementspreisen gekommen ist. Das ist frei erfunden.
Konkret: Weshalb sollen Netflix und Co vier Prozent ihrer Einnahmen in der Schweiz reinvestieren?
Netflix und andere Anbieterinnen verdienen in der kaufkräftigen Schweiz sehr viel Geld. Dieses Geld fliesst heute gänzlich ins Ausland. Wir wollen, dass ein Anteil – und mit vier Prozent sprechen wir von einem sehr geringen Anteil – davon in der Schweiz bleibt und hier investiert wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schweizer Bevölkerung das anders sieht und der Meinung ist, all das in der Schweiz verdiente Geld soll in den USA investiert werden.
Vier Prozent der Einnahmen ist etwas schwer vorzustellen. Wissen Sie, wie viel Geld zusätzlich in den Schweizer Produktionsstandort fliessen könnte?
Es ist in der Tat nicht einfach, zu genauen Zahlen zu gelangen, da hier natürlich Geschäftsgeheimnisse der Unternehmen betroffen sind. Wir gehen aber davon aus, dass es sich um ungefähr 18 Millionen Franken handeln wird. Zu diesem Schluss kommt auch das Bundesamt für Kultur.
«Das Schweizer Filmschaffen würde an Vielfalt gewinnen, da neue Akteurinnen mitmischen»
Wie könnten dann solche Filme und Serien für insgesamt 18 Millionen Franken aussehen? Was schwebt Ihnen vor?
Ein aktuelles Beispiel, die Serie «Tschugger» von David Constantin und Leandor Russo, zeigt, dass sehr innovative und erfolgreiche Produktionen so möglich sind. Die Serie wurde in Zusammenarbeit mit Sky Switzerland hergestellt. Das Schweizer Filmschaffen würde an Vielfalt gewinnen, da neue Akteurinnen mitmischen. Das kommt schlussendlich den Konsumentinnen und Konsumenten zugute.
Gibt es auch Beispiele aus dem Ausland?
Die erfolgreichsten Netflix-Serien wie «Haus des Geldes» aus Spanien und «Lupin» aus Frankreich hat Netflix in diesen Ländern produziert, weil diese Länder eine Investitionspflicht kennen. Wir sind überzeugt, dass lokale Produktionen schlussendlich auch für Netflix und Co ein Erfolgsrezept sind. Und die Schweiz muss schauen, dass sie hier mit im Spiel bleibt. Das geht nur mit einer Investitionsverpflichtung, wie es unsere Nachbarländer und etliche andere europäische Länder bereits heute kennen.
Wollen Schweizerinnen und Schweizer überhaupt Schweizer Produktionen? Laut Müller schaut die heutige Gesellschaft zunehmend ausländische Serien und Filme.
Ich weiss nicht, auf welchen Erhebungen Müllers Behauptung fusst. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schweizer Bevölkerung ein Desinteresse an Inhalten hat, die nahe an ihren Leben, ihrer Kultur und ihrem Land sind. Die Einschaltquoten von «Wilder» und «Tschugger» jedenfalls beweisen das Gegenteil.
Ist das Referendum gültig, gibt es am 15. Mai eine Volksabstimmung. Wie steigen Sie in den Abstimmungskampf? Haben Sie Mittel dafür?
Im Hintergrund laufen die Arbeiten natürlich seit Wochen und das mit Elan. Die Schweizer Film- und Audiovisionsbranche ist sehr aktiv und engagiert. Und wir wissen viele bekannte Politikerinnen und Politiker, gerade auch von bürgerlicher Seite, von der FDP und von der Mitte, auf unserer Seite. Kein Geheimnis ist hingegen, dass unsere Gegnerschaft über viel Geld zu verfügen scheint. Hier sind wir sicherlich bescheidener unterwegs.
KOMMENTARE
22.01.2022 10:02 Uhr
21.01.2022 14:18 Uhr
21.01.2022 10:38 Uhr