21.04.2023

Edit-a-thon

Schweizer Frauen-Nati spielt auf Wiki mit

Die Frauenquote auf Wikipedia steigt – wenn auch nur langsam. Neu hinzugekommen sind Einträge von Schweizer Fussballerinnen. Erfasst wurden diese am neunten Editiermarathon von 45 Frauen. Dabei gab es auch einen Rekord. Ein Augenschein vor Ort.
Edit-a-thon: Schweizer Frauen-Nati spielt auf Wiki mit
Am Mittwoch sind beim neunten Edit-a-thon im Ringier Pressehaus weitere Frauen auf Wikipedia sichtbar gemacht worden. (Bilder: Zamir Loshi)

Es ist Edit-a-thon im Ringier Pressehaus. Am Mittwochnachmittag hat der Editiermarathon von SRF, Ringier und Wikimedia zum neunten Mal stattgefunden. Über 45 Frauen unterschiedlichsten Alters und Berufsgruppen haben sich versammelt, um ehrenamtlich Wikipedia-Artikel von und im Zusammenhang mit Schweizer Frauen zu erstellen, redigieren oder übersetzen.

Der Raum füllt sich langsam. Vom Bistro riecht es nach Essen, vom Arbeitsraum steigt ein süsslicher Parfümduft in die Nase. Nach einer kurzen Begrüssung untereinander verschwinden die Frauen dann hinter ihren Laptop-Monitoren. Die Stimmung ist freudig, aber auch angespannt, denn für die Menge an Leuten ist es ungewöhnlich ruhig.

Das übergeordnete Ziel des Edit-a-thons ist es, mehr Frauen auf Wikipedia sichtbar zu machen und auch mehr Frauen dazu zu bringen, als Wikipedia-Autorinnen tätig zu werden. Wieder mit dabei sind die Organisatorinnen des Editiermarathons, Medienunternehmerin Patrizia Laeri, SRF-Geschäftsleitungsmitglied Susanne Wille und Wikimedia-Präsidentin Muriel Staub. Die ehemalige Blick-Führungsfrau Katia Murmann konnte dieses Mal nicht dabei sein und liess sich entschuldigen.

Während der Begrüssung hat die Co-Organisatorin Patrizia Laeri die Teilnehmerinnen gebeten, an der Wikipedia-Bewegung weiterzumachen, «bis sie 99 sind». Denn es brauche den Hivemind, damit die Repräsentation der Frauen steige. Susanne Wille erwähnt, dass die Frauenquote auf Wikipedia von 16 Prozent auf 17,3 Prozent gesteigert werden konnte.

Zudem betont Wille die Signifikanz von Gleichstellung bei SRF: Neben der Verankerung von Gleichstellung in den publizistischen Leitrichtlinien von SRF, konzentrieren sich die Bemühungen auch auf Fiktion. Das Ziel sei, mehr Frauen und Diversität in den fiktionalen Medien abzubilden. Die Co-Organisatorin Muriel Staub freut sich über das zahlreiche Erscheinen der Teilnehmerinnen und erwähnt, dass dank der Edit-a-thon-Bewegung schon mehr als 400 Artikel editiert wurden, und dass seit Beginn über 350 Menschen an den Events teilgenommen haben. Auch der positive Impact von «Equal Voice», dem Gleichstellungs-Algorithmus von Ringier, wird betont.

Regula Bührer Fecker, Gründungspartnerin von Rod und Autorin des Buches «#Frauenarbeit», tritt als Gastsprecherin auf. Sie betont, dass gerade, wenn es so scheint, als ob bei einem so wichtigen Thema wie Gleichstellung eine Sättigung erreicht wurde, daran weitergearbeitet werden muss. Denn es deutet darauf hin, dass extern erst eine erste «Duftmarke» hinterlassen wurde. Zudem leisten mit dem Edit-a-thon die Teilnehmerinnen eine Grundlagenarbeit für kommende Generationen von Frauen.

Anschliessend erklärt Muriel Staub kurz, wie ein Eintrag erstellt wird und worauf zu achten ist – denn «Quality is Queen». Und sie stellt zudem die langjährige Wikipedia-Autoren Thomas Haemmerli, Diego Hättenschwiler und Ulrich Lantermann vor, die im Laufe der nächsten zwei Stunden den Teilnehmerinnen bei allen möglichen Problemen mit der Erstellung der Einträge hilfreich zur Seite stehen werden.



Thomas Haemmerli war früher Journalist und ist derzeit als Dokumentarfilmer, Regisseur und Fotograf tätig. Er hat vor 15 Jahren als Wikipedia-Autor angefangen, weil es sich einerseits über die schlechtgeschriebenen Artikel geärgert hat, die er dann automatisch redigieren musste. Andererseits hatte es praktische Gründe: Falls er beim Recherchieren als Journalist auf Wikipedia etwas nicht fand, fügte er die eigenen Recherche-Ergebnisse ein, um diese später wiederzufinden. «Früher ist es ein Kick gewesen, wenn ich für ein Magazin wie NZZ Folio geschrieben habe. Heute ist es interessanter, wenn jemand meinen Artikel abkupfert», sagt er zu persoenlich.com.

Für Haemmerli ist Wikipedia als Enzyklopädie ausgesprochen wichtig, und er findet es auch wichtig, dass es mehr Autorinnen und Artikel zu Frauen gibt. Es sollte aber auch nicht vergessen werden, dass Wikipedia kein normatives, sondern ein deskriptives Medium ist. Das heisst, dass es die aktuell bestehenden Rollenverhältnisse und Ungleichheiten in der Welt widerspiegelt. Ihm gefällt das Ziel des Edit-a-thons, unter anderem, weil der Event am Anfang an Medienschafende gerichtet war, welche aufgrund ihres Berufs wissen, wie ein Artikel recherchiert, geschrieben und redigiert wird.

Einige der Artikel, die während der Edit-a-thons erstellt wurden, fielen in der der Vergangenheit der Löschung zum Opfer. Für Haemmerli ist die Löschdiskussion schwierig: Zum einen gebe es ungeheuer viel «Schrott», der tagtäglich auf Wikipedia landet. Zum anderen aber werden wichtige Artikel gelöscht, da die Relevanzkriterien nicht ganz klar sind. Die Artikel können erst nach langen Diskussionen vielleicht wieder aufgeschaltet werden. Trotz Problemen und Diskussionen funktioniere aber unter dem Strich das System «wahnsinnig gut», so Haemmerli.

Ein Selbstversuch

Das Erstellen eines Wikipedia-Artikels während des Edit-a-thons ist leichter gesagt als getan. Das Einrichten des Kontos ist schnell gemacht, doch um einen Artikel zu erstellen, muss erst einmal eine Frau oder ein Thema aus einer von den Organisatorinnen zur Verfügung gestellten Liste ausgewählt werden. Die Vorschläge für die Liste konnten während der zwei Wochen vor dem Event über ein Formular eingereicht werden.

Ein Blick auf die Liste zeigt, wie emsig die Teilnehmerinnen schon waren: Die meisten Artikel sind schon vergeben; viele sind in (Nach-)Bearbeitung. Im Bereich «Journalismus & Literatur» werden unter anderem Einträge zu Gisela Blau, Rita Flubacher und Monika Bolliger bearbeitet. Ich habe mir eine Fussballspielerin der Schweizer Nationalmannschaft ausgewählt und stehe vor der grossen Frage: Wie finde ich Informationen zu ihr?

Die Recherche ist mühsam und zeitaufwendig. Es gibt einige Wikipedia-Einträge in anderen Sprachen, aber diese sind unvollständig oder veraltet. Googeln ergibt Unmengen an Informationsfetzen, die erst geordnet und zusammengesetzt werden müssen. Manche Quellen widersprechen sich. Zudem ist es schwierig zu sagen, welche Quellen ernstzunehmend sind. Erst da verstehe ich, wieso so viele schon Vorarbeit geleistet haben. Zwischendurch erklingt eine Glocke: Als Motivation darf die Teilnehmerin beim Fertigstellen eines Eintrags die Glocke läuten, den Namen der Person an die Wandtafel anpinnen und ein «Team Editathon»-Cap mitnehmen.

Sport ist untervertreten

Die Rechtsanwältin Eva-Maria Strobel ist zum ersten Mal am Edit-a-thon. Sie empfindet den Event als eine Initiative, die unterstützt werden muss, da die Sichtbarkeit von Frauen und Gleichstellung noch viel zu wenig ist. Sie sehe es gerade in ihrer Branche: Über die Hälfte aller Jus-Studierenden sind Frauen, die mit den benötigten Kenntnissen und Fähigkeiten das Studium absolvieren. Aber nur ein sehr kleiner Teil von ihnen ist nachher in Kanzleien und juristischen Unternehmen in Leitpositionen zu finden.

Gemäss Strobel ist es ein kulturelles Problem, welches durch aktive Events wie dem Edit-a-thon mit der Erhöhung der Visibilität und der Schaffung von Vorbildern viel mehr bewirken kann als eine weitere Gleichstellungs-Diskussion oder das nächste Frauenförderprogramm. Sie hat sich eine Fussballspielerin ausgesucht, da Fussball im Speziellen und Sport im Allgemeinen einer der Bereiche ist, wo die Ungleichheit besonders offensichtlich ist. Strobel ist begeistert, dass so viele Frauen, insbesondere auch junge Frauen, beim Event dabei sind. Sie ist der Meinung, dass, «wenn nur schon eine Million Frauen nur einen Artikel schreibt oder bearbeitet, oder nur ein Zehntel von dieser Million, man schon wahnsinnig viel erreichten kann.»

Simona Moretti ist Dozentin an der Fernfachhochschule Schweiz und nimmt schon zum dritten Mal teil, weil sie findet, dass Frauen definitiv untervertreten sind. Sie will helfen, die Gleichstellungslücke zu schliessen. Daher freuen sie die vielen Listeneinträge, unter anderem auch, weil so viele Fussballspielerinnen aufgeführt wurden. Das zeige auch, dass die Förderung von Frauenfussball eine bedeutende Wirkung erzielt.

Moretti schreibt an einem Artikel über Katharina Fromm, eine Chemie-Professorin an der Universität Fribourg. «Ich habe bei ihr Unterricht gehabt, damals, als ich an der Universität Fribourg Biomedizin studiert habe, und sie hat mich von der ersten Vorlesung an begeistert», sagt Moretti. Fromm ist seit einigen Jahren Vizerektorin von der Abteilung «Forschung und Innovation» und wird nächstes Jahr die Position der Rektorin der Universität Fribourg übernehmen. Daher sei es für Moretti unverständlich, dass Fromm nicht präsent sei auf Wikipedia. Beim allerersten Edit-a-thon, an dem Moretti teilgenommen hat, ist während Corona digital ausgetragen worden. Umso mehr gefällt es ihr nun, zum zweiten Mal vor Ort zu sein, und zur immer grösser werdenden Anzahl Artikel beizutragen. «Der Teamspirit der Gruppe nimmt einen mit und gibt einen Schwung rein in das Ganze, der zum Mitmachen animiert.»


Alle sehen nach dem Schreibmarathon erschöpft, hungrig, aber auch zufrieden aus. Das dürfen sie auch sein, denn am Schluss ist mit 64 Einträgen, die entweder neu erstellt oder editiert wurden, ein neuer Rekord für die Veranstaltung aufgestellt worden. Und auch Muriel Staub ist zufrieden mit dieser Ausgabe des Edit-a-thon. Seit die Veranstaltung nach Corona wieder physisch stattfindet, ist das Interesse an der Teilnahme gestiegen.

Obwohl das allgemeine Ziel, Frauen auf Wikipedia sichtbar zu machen, gleichgeblieben ist, haben sich seit der ersten Ausgabe einige Bereiche gewandelt. Beim Edit-a-thon nehmen nun nicht nur Medienschaffende teil. Unter den Teilnehmerinnen finden sich unter anderem Studentinnen, Juristinnen, Wissenschafterinnen, Projektmanager und Diplomatinnen. Staub sagt weiter: «Was wir immer mehr pushen, ist nicht mehr nur die Anzahl der Artikel, die neu geschrieben werden, sondern auch deren Qualität.» Ausserdem werden nicht mehr nur einzelne Frauen porträtiert, sondern auch Themen und Bewegungen, die im Zusammenhang mit Schweizer Frauen stehen, wie zum Beispiel die Klimaseniorinnen.

Was geschieht danach mit den Wikipedia-Artikeln? Die Organisatorinnen und einige Freiwillige schauen die Artikel nochmals an, bearbeiten diese und wandeln sie, wo nötig, in eine von der Wikipedia-Community akzeptierte Form um, unter anderem um zu verhindern, dass die Artikel gelöscht werden.

Die Wichtigkeit von Gleichstellungs-Events wie dem Edit-a-thon zeigt sich laut Staub besonders beim Thema Künstlicher Intelligenz. Wikipedia und Wikidata werden oft als Basis für KIs verwendet, wobei durch das Fehlen von Frauen ein Bias entsteht.

Das nächste Edit-a-thon wird ein Jubiläum: Die zehnte Ausgabe findet am 28. November 2023 statt.


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