28.10.2022

Die Beschatter

«Eine Serie zu drehen, ist ein Marathon»

Der Regisseur Michael Steiner hat mit der SRF-Krimikomödie «Die Beschatter» erstmals eine Serie gedreht. Ein Gespräch über seine Premiere, spontane Ideen am Set, Kritik der Medien am Film «Und morgen seid ihr tot» – und seinen ersten Netflixfilm.
Die Beschatter: «Eine Serie zu drehen, ist ein Marathon»
«Ich war sehr dafür, die Serie ‹Die Beschatter› zu nennen», sagt Fimregisseur Michael Steiner. (Bild: SRF/Pascal Mora)
von Tim Frei

Herr Steiner*, wenn Sie auswählen könnten – welche Person würden Sie gerne einmal beschatten?
Eigentlich niemanden, ich habe ja schon einen voyeuristischen Beruf, somit beschattet meine Fantasie die imaginären Figuren meiner Filme.

Beim Beschatten in der neuen SRF-Serie «Die Beschatter»** stellen sich angehende Detektive nicht nur geschickt an. Wie viel Drehbuch und wie viel Michael-Steiner-Humor ist das?
Wir haben auf dem Set viel improvisiert, auch was die humoristischen Einlagen betrifft.

Gewährten Ihnen die Drehbuchverantwortlichen Simone Schmid und ihr Mann, der Regisseur Francesco Rizzi, demnach viele Freiheiten? Oder mussten Sie darum ringen?
Wir haben die Drehbücher als Guidelines für die Handlung benutzt, somit war ich frei, um mit den Schauspielern Figuren und Dialoge zu entwickeln. Daraus ist ein Ensemblestück entstanden. Das hat uns allen sehr viel Spass gemacht, viele Ideen entstanden spontan am Set.

Zum Beispiel?
Im Drehbuch waren zum Beispiel in der dritten Folge nur schemenhafte Hooligans erwähnt, die an Fenster klopfen und Lärm machen, als Henning und François alleine in der Akademie sind. Mir kam die Idee, dass die aufgebrachten Fans eine Rauchpetarde in den Raum werfen, was dazu führt, dass Henning, der deutsche Detektiv, den französischen Zoowärter François durch den vernebelten Raum führen muss und dabei unweigerlich an den ersten Weltkrieg denkt. Am Ende der Szene singen die beiden dann die Marseillaise auf die deutsch-französische Freundschaft. Solche Momente, die nicht im Drehbuch standen, gibt es zuhauf in der Serie. Sie dienen immer der Empathie der Charaktere und tragen dazu bei, die Figuren emotional spürbar zu machen.

«Der Ansatz, Spannung und Komik zu mischen, kann schnell schiefgehen»

SRF möchte im Fiktionsbereich «den Mut haben, Experimente zu wagen», wie Fiktionsleiter Baptiste Planache gegenüber persoenlich.com gesagt hat. Inwiefern trifft das aus Ihrer Sicht für «Die Beschatter» zu?
Das trifft sehr auf unsere Serie zu. Es war mutig, eine Serie zu entwickeln, die Spannung und Humor verbindet. Ich fand das Konzept von Beginn weg innovativ, und darum habe ich auch zugesagt.

Inwiefern war das Konzept innovativ? Der doppelte Boden der Serie von Krimikomödie und düsterem Thriller im Hintergrund habe Sie gereizt, wie es in einer SRF-Mitteilung hiess …
Der Ansatz, Spannung und Komik zu mischen, kann schnell schiefgehen, denn der Zuschauer muss diese Wendungen mitmachen. Und wenn eine Ebene zu stark wird, besteht die Gefahr, dass der Zuschauer abhängt und eine Ebene als langweilig empfindet. Die Balance dafür braucht Fingerspitzengefühl.

Als ich das erste Mal von «Die Beschatter» gehört habe, dachte ich aufgrund der Ähnlichkeit zur früheren SRF-Serie «Der Bestatter», dass ich falsch hingehört hätte und dass es um die Fortsetzung der Serie mit Mike Müller gehe. Hand aufs Herz: Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie erstmals mit dem Namen der neuen Serie konfrontiert wurden?
Ich war sehr dafür, die Serie «Die Beschatter» zu nennen. Weil der Name am besten für die Serie ist und die Namensähnlichkeit mit der Vorgängerserie sicher kein Nachteil ist an diesem Sendeplatz.

Für die NZZ ist klar, welche Serie besser ist: «‹Die Beschatter› schlägt den Bestatter.» Gleich sieht es CH Media: «Die neue SRF-Serie ist um Welten besser als ihre Vorgängerin aus dem Aargau.» Da kann eigentlich nichts mehr schiefgehen? Oder rechnen Sie doch noch mit kritischen Voten?
Es gibt immer kritische Voten, ich freue mich aber sehr über die gute Resonanz.

Der SRF-Fiktionsleiter Baptiste Planche wollte unbedingt Sie als Regisseur. In einem persoenlich.com-Interview sagte er, dass Sie ein Ausnahmetalent seien und dass «Exzellenz aufs Podest gehört». Was haben diese Worte bei Ihnen ausgelöst?
Es freut mich natürlich sehr, wenn meine Arbeit geschätzt wird und dass ich nach «Spital in Angst» im Jahre 2001 wieder mal mit dem SRF zusammenarbeiten kann.

«Meine Messlatte ist immer das Publikum, wenn das Feuilleton meine Werke mag, umso schöner»

Auch Medien loben Ihre Arbeit und nennen Sie aufgrund Ihrer erfolgreichen Filme wie «Mein Name ist Eugen», «Grounding» oder «Wolkenbruch» oftmals «Starregisseur». Es gab aber auch kritische Stimmen – etwa bei «Und morgen seid ihr tot». Wie wichtig ist Ihnen, wie Journalistinnen und Journalisten Ihre Filme bewerten?
Meine Messlatte ist immer das Publikum, wenn das Feuilleton meine Werke mag, umso schöner. Bei «Und morgen seid ihr tot» reagierten nur die betroffenen Schweizer Zeitungen ablehnend, was angesichts deren Versäumnisse im Fall Widmer/Och eher stossend ist. Im Ausland stiess der Film nur auf gutes Feedback, er läuft darum nun auch auf Sky. 

«Versäumnisse» im Fall der von den Taliban als Geisel genommenen Daniela Widmer und David Och: Was meinen Sie damit konkret, beziehungsweise was bemängeln Sie rückblickend?
«Und morgen seid ihr tot» zitiert am Ende Artikel grosser Schweizer Verlagshäuser, die den Geiseln die Geschichte der Flucht von den Taliban nicht glaubten und sie sogar verhöhnten, was dazu führte, dass Daniela Widmer und David Och jahrelang angefeindet wurden. Drei grosse Zeitungen verzichteten darum auf eine Kritik des Filmes, um nicht eingestehen zu müssen, dass sie falsch lagen und eigentliche Helden zu Versager stempelten, ohne genau zu recherchieren, was eigentlich ihre Aufgabe wäre. Dass ihr verantwortungsloses Verhalten den beiden massiv geschadet hat, scheint ihnen bis dato weniger wichtiger zu sein, als ihre Fassade aufrechtzuhalten. Dabei handelt es sich um einen Fehler, zu dem man als seriöse Publikation stehen müsste.

Zurück zu «Die Beschatter»: Die Serie wird innert drei Wochen auf SRF ausgestrahlt – unter anderem wegen der bevorstehenden Fussball-WM. Erfolgten die Dreharbeiten ebenfalls in kurzer Zeit?
Die Dreharbeiten für alle Serien sind ein Marathon, man muss sechs Minuten pro Tag drehen, was eine gute Vorbereitung und eine exzellente Logistik erfordert.

«Die Beschatter» ist für Sie die erste Serie. Inwiefern unterscheidet sich die Regie einer Serie zu einem Film?
Eben die Anzahl Minuten pro Tag, die gedreht werden müssen. Und die kreative Freiheit, die man in einer Serie ausleben kann – zusammen mit den Schauspielern.

«Gute Schweizer Filme auf Netflix werden dem Standort Schweiz viel mehr bringen als die meisten Kampagnen der Tourismusbranche»

Haben Sie auch sonst Neues gelernt – zum Beispiel über das Beschatten?
Ja klar, der Beruf des Detektivs war mir im Detail neu. Vieles wusste ich nicht. Die Detektei Ryffel aus Zürich hat uns da gut beraten.

Was zum Beispiel wussten Sie nicht?
Ich hatte keine Ahnung, wie man eine Person in der Öffentlichkeit beschattet, indem man zum Beispiel einen «Löli» als visuellen Schutzschild auswählt, also eine Person, die zufälligerweise in dieselbe Richtung geht wie die Zielperson. Auch wusste ich nicht, dass man beim Beschatten im stehenden Auto auf dem Beifahrersitz Platz nehmen muss, um nicht aufzufallen – et cetera.

Man hört immer wieder von der Konkurrenz Netflix für Filmschaffende. ZFF-Artistic-Director Christian Jungen betonte jedoch in einem persoenlich.com-Interview, dass Netflix der «neue Himmel für Autorenfilmer» sei – und dass sich jene Filmfestivals ins Abseits manövrierten, welche die Streamer links liegenliessen. Wie ist Ihre Haltung zu Netflix?
Ich drehe in einem Monat den ersten Netflix-Film. Das ist eine grosse Chance, denn der Film erscheint zeitgleich international. Gute Schweizer Filme auf Netflix werden dem Standort Schweiz viel mehr bringen als die meisten Kampagnen der Tourismusbranche. Uns als Filmemachern geben Streamingdienste die Möglichkeit, unser Schaffen in direkter Konkurrenz zum Weltmarkt zu sehen. Da gibt es nichts mehr schönzureden – entweder hopp oder flop.

Dass Sie Ihre Premiere auf Netflix feiern werden, wurde am ZFF publik. Klar ist bisher, dass der Film unter anderem in Zürich spielen wird. Können Sie schon weitere Details verraten – zum Beispiel den Namen?
Leider nein, da auch der Name noch zur Diskussion steht. Der erste Schweizer Netflix-Film wird von Netflix finanziert, CH Media und das Bundesamt für Kultur sind die Schweizer Partner, und Ascot Elite wird den Film vor dem Release bei Netflix noch ins Kino bringen. Produziert wird der Film von Christoph Neracher, Hugo Films in Zürich, das Drehbuch wurde von Thomas Ritter geschrieben.

Wenn man die guten Kritiken im Vorfeld des Sendestarts berücksichtigt, dürfte es mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einer Fortsetzung von «Die Beschatter» kommen. Das dürfte sicher in Ihrem Interesse sein, zumal es scheint, dass Sie auf den Serien-Geschmack gekommen sind. Oder ist die Story aus Ihrer Sicht bereits zu Ende erzählt?
Ist sie natürlich nicht, aber über eine Fortsetzung entscheidet das SRF zu gegebener Zeit, also wenn wir wissen, wie das Publikum auf die Serie reagiert.



*Der Regisseur Michael Steiner hat sich unter anderem mit diesen Filmen einen Namen gemacht: «Grounding – Die letzten Tage der Swissair», «Mein Namen ist Eugen»,«Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse», «Und morgen seid ihr tot».

**Sendungsstart der SRF-Krimiserie «Die Beschatter» ist am Sonntag, 30. Oktober, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Und dies mit der Ausstrahlung der ersten zwei Folgen: «Sei nicht naiv», «Halte die richtige Distanz». Die weiteren Folgen werden an diesen Daten zur gleichen Zeit auf SRF 1 ausgestrahlt: 1., 8., 15. und 17. November.



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