26.08.2022

SRF

«Exzellenz gehört aufs Podest»

Baptiste Planche ist seit rund vier Monaten neuer Leiter Fiktion bei SRF. Ein Gespräch über seine Vision, seine unschweizerische Seite, die Rückkehr des «Bestatters», die neue Serie «Emma lügt» und die Bedeutung internationaler Koproduktionen.
SRF: «Exzellenz gehört aufs Podest»
«Dieses Fahren auf zwei Schienen ist selbstredend ein Seiltanz, aber genau das macht meine Aufgabe als Leiter Fiktion interessant», so Baptiste Planche. (Bild: SRF/Matthias Willi)
von Tim Frei

Herr Planche*, Sie hatten am Donnerstag anlässlich eines Medienfrühstücks von SRF Kultur Ihren ersten öffentlichen Auftritt als Leiter Fiktion. Von Nervosität war Ihnen nichts anzumerken. Täuscht dieser Eindruck?
Dass es sich beim Leiter Fiktion um eine Funktion handelt, die exponiert ist, war ich mir bewusst. Doch der Anlass am Donnerstag mit Mike Müller und Susanne Wille war in der Tat eine neue Situation für mich. Insofern ist es klar, dass das ein wenig nervös macht.

Ihr Vorgänger Urs Fitze wollte «intelligente Unterhaltung für ein breites Publikum» machen. Wie lautet Ihre Vision?
Meine Vision knüpft stark an jene von Urs Fitze an. Ich kann mich mit seiner Formulierung gut identifizieren. Es ist unser Auftrag, ein breites Publikum zu erreichen. Aber nicht mit irgendwelchen Inhalten, sondern mit Themen, denen eine gewisse Sinnhaftigkeit und Intelligenz inhärent ist, die wir fiktional verarbeiten. Das bedeutet, dass wir an die Lebenswelten, Realitäten, Fragen der Bevölkerung anknüpfen. Unter dem Strich müssen unsere Geschichten relevant für die Deutschschweizer Bevölkerung sein. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass wir Unterhaltung machen. Beide Aspekte lassen sich aber gut miteinander verbinden.

Nochmals: Wo möchten Sie dem Bereich Fiktion Ihren Stempel aufdrücken?
Einerseits ist für uns die erwähnte Breite wichtig, die wir mit unseren Formaten erreichen müssen. Andererseits müssen wir auch den Mut haben, Neues respektive Experimente zu wagen, um das jüngere Publikum zu erreichen – mit dem Risiko, dass wir nicht immer ganz jene Breite erreichen. Dieses Fahren auf zwei Schienen ist selbstredend ein Seiltanz, aber genau das macht meine Aufgabe als Leiter Fiktion interessant. Ich bin nicht der Typ, der im Schwarz-Weiss-Muster denkt. Ich will Innovationen vorantreiben, gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass es unser Basisauftrag gemäss Konzession ist, die breite Bevölkerung zu erreichen. Zwischen Mainstream und Innovation den goldenen Pfad zu finden, ist meine Vision. 

Apropos Experimente: Inwiefern handelt es sich bei der neuen Serie «Emma lügt» um ein Experiment?
Bei «Emma lügt» können wir von einer völlig neuen Herangehensweise sprechen. Wenn wir immer drei bis vier Jahre brauchen bis zur Realisation eines Projekts, ist das schade, weil man sich die Chance vergibt, aktuelle Themen in nützlicher Frist fiktional zu erzählen. «Emma lügt» haben wir in der kurzen Zeit von weniger als einem Jahr entwickelt und umgesetzt. So konnten wir auf aktuelle Ereignisse, wie zum Beispiel den Ukraine-Krieg, eingehen. Es handelt sich bei dieser Serie um das erste Fast-Fiction-Projekt von SRF, das heisst: ein aktuelles Thema so schnell zu entwickeln und zu realisieren, dass das Thema bei der Ausstrahlung noch genügend aktuell ist.

«Ein Kinofilm erlaubt es, die Geschichte des Bestatters auf eine andere Art und Weise fortzuschreiben»

Mit der sechsteiligen Krimireihe «Die Beschatter» präsentiert SRF diesen Herbst eine weitere neue Serie. Sie feiert am 30. Oktober Premiere und wird innerhalb von nur drei Wochen ausgestrahlt. Weshalb diese Eile?
Es gibt zwei Gründe. Einerseits sind die Sendeplätze nicht mehr derart fix wie früher. Bereits bei «Neumatt» haben wir sehr kompakt im TV ausgestrahlt und online publiziert, was sehr gut funktioniert hat. Das hat uns darin bestärkt, dies auch bei «Die Beschatter» zu versuchen. Andererseits beginnt Mitte November die Fussball-WM – und wir wollten die Serie noch im Herbst ausstrahlen. 

Regie bei «Die Beschatter» führt Michael Steiner, womit er erstmals Regisseur einer SRF-Serie ist. Mussten Sie viel Überzeugungsarbeit leisten?
Michael Steiner hat sich von Anfang an sehr darauf gefreut. Da er noch nie eine Serie gemacht hat, wollte er das unbedingt. Ich finde es toll, dass wir eine Persönlichkeit wie Michael Steiner, der ein Ausnahmetalent in der Schweiz ist, gewinnen konnten. Ich bin in dieser Beziehung absolut unschweizerisch: Exzellenz muss gefördert werden, sie gehört aufs Podest. Und das soll mir jetzt niemand so auslegen, dass es als Votum gegen andere Regisseurinnen und Regisseure ausgelegt wird, mit denen wir gearbeitet haben oder arbeiten. Ich schätze sie alle sehr. Mein Plädoyer für Exzellenz gilt übrigens auch bei den Schauspielerinnen und Schauspielern: Für sie muss es sexy sein, bei unseren Projekten mitzutun.

Besonders für Aufsehen sorgte die Rückkehr vom «Bestatter» und Mike Müller – mit einem 90-minütigen Kinofilm, der von SRF koproduziert wird. Musste man bei SRF über den eigenen Schatten springen?
Den «Bestatter» nach sieben Staffeln zu beenden, war schmerzhaft. Doch es war auch richtig, weshalb wir heute nach wie vor dahinterstehen. Wir wollten auf dem Höhepunkt aufhören – auch im Wissen, dass es schwierig gewesen wäre, die Geschichten im Serienformat mit Erfolg weiterzuerzählen. Weil sich aber so viele Zuschauerinnen und Zuschauer gewünscht haben, dass Mike Müller und der «Bestatter» zurückkehren, haben wir uns entschieden, zusammen mit ihm etwas Attraktives für das Kino zu machen. Ein Kinofilm erlaubt es, die Geschichte des «Bestatters» auf eine andere Art und Weise fortzuschreiben als im Serienformat. Wobei ich betonen möchte, dass es sich um keine Fortsetzung von Staffel sieben handelt. 

Ein weiterer Aspekt Ihrer Vision ist es, Kooperationen und Koproduktionen mit öffentlich-rechtlichen Sendern im deutschsprachigen Raum zu verstärken. Weshalb?
Eine engere Zusammenarbeit ist sinnvoll, weil alle mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert sind: mit dem digitalen Wandel mithalten können und ein junges Zielpublikum erreichen.

«Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, die Initiative würde uns mental nicht beschäftigen»

Mehr Koproduktionen, an denen man sich anhängen will: Fehlen SRF die eigenen Ideen?
Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Wir haben eine volle Entwicklungspipeline. Wir entwickeln bewusst mehr, als wir realisieren können. Denn es ist nun mal so, dass nicht jede Entwicklung zu einem Erfolg geführt werden kann. Wir werden einerseits weiterhin auf minoritäre Koproduktionen setzen, was wir diesen Herbst mit den internationalen Produktionen «Das Netz» und «Riesendinghöhle» tun. Das heisst: Wir beteiligen uns, investieren einen gewissen Betrag für ein kostengünstiges und spannendes Programm mit Schweizer Bezug. Zudem werden wir vermehrt auf majoritäre Koproduktionen setzen. Das heisst von uns initiierte Produktionen aus der Schweiz, die so gut sind, dass wir internationale Koproduktionspartner dafür gewinnen.

Eine Annahme der sogenannten Halbierungsinitiative, die eine Reduktion der SRG-Gebührengelder auf 200 Franken fordert, hätte grosse Auswirkungen auf diese Pläne. Inwiefern beschäftigt Sie die Initiative, für die derzeit Unterschriften gesammelt werden, in der täglichen Arbeit?
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, die Initiative würde uns mental nicht beschäftigen. Gleichzeitig ist es unsere Aufgabe, unseren Job so gut wie möglich zu machen, um das Publikum davon zu überzeugen, dass wir mit unserem Kulturprogramm einen unverzichtbaren Mehrwert schaffen. Im Moment – und solange sich die Initiative nicht konkretisiert hat – machen wir keine Aussagen dazu, was eine Annahme für die Fiktion von SRF bedeuten würde.

Die Abteilung Fiktion gehört zu den elf multimedialen Teams, mit denen sich SRF Kultur ab diesem Herbst neu aufstellt. Was auffällt: Sie sind die einzige Führungsperson, die Angebotsverantwortlicher und Teamcoach ist. Bevorzugen Sie es, die Kontrolle zu haben?
Nein, überhaupt nicht. Da mein Vorgänger Urs Fitze in die wohlverdiente Pension ging, geschah der Besetzungsprozess für seine Nachfolge vor der Konkretisierung der neuen multimedialen Teams. Zudem ist man als Leiter Fiktion von SRF in der Filmbranche sehr exponiert. Dafür braucht es eine Person, welche das Unternehmen gegen aussen repräsentiert. Die Philosophie, die wir in den multimedialen Teams haben, teile ich zu 100 Prozent: Teamarbeit und gemeinsames Führen. Ich bin keiner, der stark kontrolliert. Im Gegenteil: Ich bin ein Verfechter des partizipativen Führungsstils. Ich stehe gerne hin, um SRF in schwierigen Momenten nach aussen zu präsentieren. Wenn wir Erfolg haben, möchte ich, dass meine Kolleginnen und Kollegen hinstehen.

Welche Filme oder Serien schauen Sie ausserhalb des SRF-Universums gerne?
Die Serie «Sex Education», die nun in die vierte Staffel geht, gefällt mir sehr gut. Wenn ich etwas bei Netflix über die ganze Zeit herauspicken müsste, wäre es «The Crown» – ich finde den epischen Erzählcharakter toll. Und als halber Franzose ist «Dix pour cent» (Englisch: «Call my Agent») nach wie vor eine meiner Lieblingsserien.



*Baptiste Planche ist seit Mai 2022 neuer Leiter Fiktion bei SRF. Zuvor trug er als Herstellungsleiter Fiktion seit 2018 die produktionelle Verantwortung für Filme und TV-Serien, die SRF koproduziert, sowie für Auftragsproduktionen, wie den Schweizer «Tatort». Vor seinem Wechsel zu SRF war Planche als selbstständiger Filmproduzent tätig und hat ein Start-up für interaktive Filme aufgebaut. Er hat Sozialwissenschaften studiert und absolviert seit 2021 eine Weiterbildung zum Master in Management und Leadership an der ZHAW.



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