12.08.2023

Locarno Film Festival

Iranischer Film «Mantagheye bohrani» gewinnt

Mit dem Goldenen Leoparden für einen ohne Erlaubnis der Behörden im Iran gedrehten Film hat die 76. Ausgabe des Filmfestivals Locarno am Samstag ihren Abschluss gefunden. Der einzige Schweizer Beitrag im Internationalen Wettbewerb ging leer aus.
Locarno Film Festival: Iranischer Film «Mantagheye bohrani» gewinnt
Ali Ahmadzadeh erhält den goldenen Leoparden für einen im Versteckten gedrehten Film aus dem Iran. (Bild: Keystone/Jean-Christophe Bott)

Die Internationale Jury leitete in diesem Jahr der französische Schauspieler Lambert Wilson. Das Locarno Film Festival gab die Preisträger am Samstagnachmittag bekannt. Überreicht werden die Leoparden am Abend auf der Piazza Grande in Locarno.

Mit «Mantagheye bohrani» von Ali Ahmadzadeh prämiert die Jury einen im Versteckten gedrehten Film aus dem Iran. Das ausschliesslich bei Nacht auf den Strassen Teherans entstandene Werk zeigt den Protagonisten Amir, wie er im Auto seinem GPS folgt. Amir ist Dealer und tröstet «die verstörten Seelen der Nacht», wie es im offiziellen Festivaltext heisst. Obwohl das sich im Untergrund Teherans abspielende Roadmovie düstere Seiten hat, zeigt es auch Momente grosser zwischenmenschlicher Nähe.

Bereits frühere Filme Ahmadzadehs handelten von der Rebellion junger Menschen im Iran, darunter «Madar-e ghalb atomi» («Atomic Heart») von 2015. Das 2019 am Zurich Film Festival gezeigte Werk ist ebenfalls eine Art Roadmovie, in dem sich zwei aufmüpfige Frauen auf dem Rückweg von einer Party über die Behörden lustig machen und allerlei seltsame Gestalten treffen.

Offiziell darf der 1986 geborene Ali Ahmadzadeh im Iran nicht als Filmemacher arbeiten. Eine Ausreise zur Preisverleihung nach Locarno sei nicht möglich gewesen, teilte das Festival auf Anfrage mit.

Regiepreis an Ukrainerin

Der Leopard für die beste Regie geht in diesem Jahr an die ukrainische Regisseurin Maryna Vroda für ihren Film «Stepne». Der noch vor Beginn des russischen Angriffskrieges gedrehte Streifen spielt in einem abgelegenen Dorf in der Ukraine. In dieses kehrt der Protagonist des Films zurück, um sich um seine sterbende Mutter zu kümmern.

Die zur 76. Ausgabe des Filmfestivals neu eingeführten genderneutralen Preise für die besten Schausspielleistungen gehen an Dimitra Vlagopoulou («Animal»), Renée Soutendijk («Sweet Drams»), Clara Schwinning («Ein schöner Ort») sowie an das Duo Isold Halldórudóttir und Stavros Zafeiris («Touched»).

Eine lobende Erwähnung erhielt «Nuit obscure - Au revoir ici, n’importe où» von Sylvain George. Der Film rückt die spanische Enklave Melilla in Marokko ins Zentrum. Hier, an der Grenze zwischen Afrika und Europa, warten Minderjährige auf die Weiterreise. Diesen Moment hält George fest und lässt durch seine Bildsprache erahnen, wie sich die Zeit für die Wartenden dehnt.

Im Wettbewerb «Pardi di Domani» erhielt «Been There» der Schweizerin Corina Schwingruber Ilić eine lobende Erwähnung. Der Film wurde für eine Kandidatur für den europäischen Filmpreis ausgewählt.

Der Publikumspreis der UBS ging an den britischen Regisseur Ken Loach für «The Old Oak». Der Film spielt in einem ehemaligen Grubendorf in der Grafschaft Durham im Nordosten Englands und in dem titelgebenden letzten Pub. Der Film feierte im Mai 2023 bei den Filmfestspielen in Cannes seine Premiere.

Durchzogene Bilanz der Piazza Grande

Während der Wettbewerb der 76. Ausgabe bei den Filmkritikern auf viel Zuspruch stiess, überzeugte das Programm auf der Piazza Grande nicht restlos. Manche der gezeigten Filme blieben an der Oberfläche, so «La bella Estate» von Laura Luchetti oder «Première Affaire» von Victoria Musiedlak. Überzeugend waren das neue Werk von Ken Loach («The Old Oak») und der Cannes-Sieger «Anatomie d'une chute» von Justine Triet.

Bis und mit Freitagabend verzeichnete das Festival einen Zuschauerzuwachs von zehn Prozent. Insbesondere die Kinosäle zogen mehr Zuschauende an (plus 19 Prozent), während die Piazza Grande mit minus 1,7 Prozent Publikum leicht unter den Vorjahreszahlen blieb. Dies dürfte unter anderem dem in der ersten Festivalhälfte unsteten Wetter geschuldet sein.

Nicht nur die Zahlen zeigten in den Festivaltagen am Lago Maggiore nach oben, die Stimmung tat dasselbe. Im ersten richtig unbeschwerten Sommer nach der Coronavirus-Pandemie schien neben der Reise- auch die Festivallust so richtig zurückgekehrt zu sein.

Überraschungsfilm von Marco Solari

Der zweite Film am Schlussabend auf der Piazza Grande wird vom abtretenden Präsidenten Marco Solari ausgewählt und ist für das Publikum eine Überraschung. Mit seinem Wunschfilm verabschiedet sich Solari nach 23-jähriger Amtszeit vom Locarno Film Festival.

Ende Juli hatten die Verantwortlichen den Medien Maja Hoffmann als designierte Präsidentin des Filmfestivals vorgestellt. Die Basler Kunstsammlerin und Gründerin der Luma-Stiftung soll die Nachfolge von Solari antreten. Die ausserordentliche Generalversammlung, die für den 20. September geplant ist, soll ihre Kandidatur als Mitglied und Präsidentin des Aufsichtsgremiums bestätigen. (sda/nil)


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