26.02.2023

Nachfolge von Deville

Satirikerinnen kritisieren SRF Comedy scharf

Stefan Büsser, Karpi oder Gabriel Vetter soll Nachfolger von «Deville» werden. Warum fehlt eine Frau? Comediennes um Patti Basler und Lara Stoll haben sich am Wochenende an die SRF-Führung gewendet. Das Schreiben umfasst viele Kritikpunkte und zeigt auf strukturellen Sexismus.
Nachfolge von Deville: Satirikerinnen kritisieren SRF Comedy scharf
Patti Basler bei einem Auftritt in der SRF-Sendung «Deville». (Bild: SRF/Gian Vaitl)
von Michèle Widmer

In zwei Wochen geht die SRF-Sendung «Deville» in die letzte Runde. Der Satiriker hatte im November angekündigt, dass die Frühlingsstaffel 2023 nach sieben Jahren seine letzte sein soll (persoenlich.com berichtete). Die Comedy-Programmierung ab Herbst 2023 sei noch offen und werde zu gegebener Zeit bekannt gegeben, hiess es bei SRF damals dazu.

Nun ist man offenbar einen Schritt weiter. Wie der Blick am Freitag berichtete, steht SRF diesbezüglich kurz vor einer Entscheidung. Demnach soll Stefan Büsser der Favorit als Nachfolger von Dominic Deville werden. Auch berücksichtigt wird laut dem Bericht Patrick «Karpi» Karpiczenko, der das Format «Deville» mitentwickelt und bis 2020 als Mitautor, Regisseur und Sidekick zur Crew zählte. Als Dritter im Rennen sei Gabriel Vetter, der regelmässig in der Sendung auftritt und beim Schweizer Radio SRF 1 als Satiriker mit «Vetters Töne» zu hören ist. 

Diese Gerüchte bestätigt SRF auf Anfrage der Schweizer Illustrierten, die ebenfalls am Freitag über die Deville-Nachfolge berichtete, nicht. «Wir entwickeln und testen derzeit verschiedene Konzepte sowie Künstlerinnen und Künstler. Zu den Konzepten und/oder den Künstlerinnen und Künstlern selbst geben wir aktuell keine Auskunft», sagt Tom Schmidlin, Leiter Comedy & Satire, gegenüber der SI.

Warum keine Comedienne?

Überraschend ist, dass sich unter den drei Favoriten keine Frau befindet. Dazu melden sich nun mehrere Comediennes aus der Schweiz in einer Mitteilung zu Wort. In den letzten Tagen seien einige Komikerinnen und Satirikerinnen angefragt worden, warum sie nicht als mögliche Nachfolge von Deville gehandelt würden und warum sie sich nicht dazu äussern würden. Im Schreiben haben Lara Stoll und Patti Basler dazu Stimmen von verschiedenen Frauen aus der Branche zusammengetragen, die einen «allgemeinen Tenor» abbilden sollen. Weitere Namen sowie die Angaben, wie viele Comediennes die Zeile unterstützen, fehlen. Adressiert ist das Schreiben, das persoenlich.com vorliegt, an SRF-Direktorin Nathalie Wappler, SRF-Kulturchefin Susanne Wille, die SRF-Comedy-Abteilung und die Presse.

Generell sei es schwierig für Frauen, sich diesbezüglich zu äussern und Kritik zu üben, da das SRF in seiner Funktion als öffentlich-rechtlicher Sender immer noch der einzige Player sei, der den Künstlerinnen im grösseren medialen Rahmen Aufträge zusprechen könne, heisst es zu Beginn des Schreibens. Im Zusammenhang mit Satire sei ein gebührenfinanzierter Sender auch der einzige, welcher wirklich eine politisch unabhängige Plattform darstelle. Die Comediennes schreiben weiter: «Wer es sich verscherzt, wird noch weniger attraktive Möglichkeiten finden, fürs SRF zu arbeiten.»

Dann zählen die Frauen aus der Branche verschiedene Punkte auf, die die Zusammenarbeit erschwerten und dafür sorgten, dass von ihrer Seite «zeitweise wenig Lust herrscht, mit der Comedy-Abteilung zusammenzuarbeiten». Die Frauen weisen im Brief darauf hin, dass sich diese Punkte nur auf die SRF-Comedy-Abteilung der TV-Unterhaltungsredaktion beziehen.

Im Schreiben steht: SRF Comedy würde sie beständig vor vollendete Tatsachen stellen. Es werde extrem kurzfristig informiert. Und es würden Sachen versprochen, die nicht eingehalten werden. Und, so die Kritik weiter: «Man lässt Leute arbeiten, Ideen und Konzepte entwickeln, versucht dann, Löhne zu dumpen, bis es im besten Falle ganz gratis ist.» Oder: «Es werden Ideen von Künstler:innen in Teilen oder ganz ‹geklaut›.» Die Verantwortlichen würden sich teils einfach nicht mehr melden und allgemein fehle die Transparenz. 

Danach folgen 16 Punkte, die laut den Comediennes den strukturellen Sexismus zeigen. «Frauen wurden in Formate gesetzt, die ihnen nicht entsprochen haben, und wurden dabei verheizt», heisst es hier. Plane eine Frau eine Sendung, sei sie der Entscheidungshoheit von Männern ausgesetzt. Und man setze bei vielen Anliegen in erster Linie auf (ältere) Männer. Weiter die Kritik: «Oft werden gecastete Frauen schliesslich durch Männer ersetzt.» Und: «Wer als Frau mitarbeitet, darf mitdenken, wird bei der Umsetzung aber ausgebremst.» Zudem: «Die Comedy-Abteilung hat nie explizit geäussert, dass sie Frauen als Host will.»

Nur Patti Basler äussert sich

Mit dieser Auflistung wollen die Comediennes in der Schweiz ihre Gründe darlegen, warum «von unserer Seite immer mehr Funkstille herrscht im Zusammenhang mit der Comedy-Abteilung», heisst es am Rande des Briefes. Und: «Im Rahmen der Berichterstattung im Zusammenhang mit den durchwegs männlich besetzten Nachfolge-Produktionen um die Deville-Nachfolge wollten wir Stellung beziehen, damit es nicht einfach heisst, wir Frauen hätten nichts angeboten, seien nicht vorhanden gewesen oder nicht erfahren genug für eine solche Aufgabe.»

Am Freitag äusserte sich SRF gegenüber der SI dazu, warum keine Frauennamen unter den Favoriten zu finden sind: «Wir haben für die Nachfolge eine ganze Reihe von Künstlerinnen und Künstler für verschiedene Rollen diskutiert und gecastet. Auch darüber hinaus setzen wir uns im Bereich Comedy intensiv für Talentförderung ein und bieten Workshops und Auftrittsmöglichkeiten – und wir begleiten junge Talente auf ihrem Weg, wie zum Beispiel Reena Krishnaraja, die im letzten Jahr den Nachwuchspreis ‹SRF 3 Best Talent Comedy› an den Swiss Comedy Awards gewinnen konnte. Oder wie im Vorjahr Caro Knaack, die ebenfalls diese Auszeichnung erhalten hat. Beide sind ein Versprechen für die Zukunft.»

Dieses Zitat scheint bei Patti Basler sauer aufgestossen zu sein. Sie äussert sich am Rande des Briefs der Comediennes als Einzige mit einem Zitat und nimmt wie folgt darauf Bezug: «Frauen sind ein ‹Versprechen für die Zukunft›, sie müssen sich nur noch etwas gedulden. Wenn der kränkelnde Patient SRF auf dem letzten Sterbebett liegt, wird man sie vielleicht holen. Die Palliativ-Pflege hat man schon immer gerne Frauen überlassen. Ich habe noch Hoffnung für den Sender».



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Kommentare

  • Maja Hamlat, 01.03.2023 13:58 Uhr
    Ich kann den offenen Brief von Patty Basler sehr gut verstehen und unterstütze die
  • Erni Fritz, 27.02.2023 09:27 Uhr
    Wenn der Ober-Chef*in eine Frau ist müsste eigentlich gottgewollt eine Frau ihr zu Füssen liegen. Ich lach mich krank, wie Harald. Fritz Erni
  • Andi Neukomm, 27.02.2023 08:05 Uhr
    Basler und Stoll sind schlicht zu langweilig. Das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun.
  • Patti Basler, 26.02.2023 20:50 Uhr
    Die Medienmitteilung war weniger als offener Brief an das SRF gedacht, sondern mehr als unsere gebündelte und transparente Antwort auf die dauernden (Medien-) Anfragen, wo wir Frauen denn seien, ob wir keine Show oder Sendung gepitcht hätten, warum man unsere Stimme in den Medien nicht höre, ob wir halt wirklich einfach nicht lustig seien oder nicht wollen oder nicht können. Wir sind erfolgreiche Komikerinnen, nicht Opfer von Beruf, wollen uns auch nicht als Opfer inszenieren, weshalb die meisten annonym bleiben. Vielmehr wollen wir die Probleme aufzeigen, welche zu strukturellem Sexismus führen: Eine dieser Strukturen ist der Umstand, dass es nur eine einzige Vollzeitstelle in der Comedy-Abteilung gibt, wodurch gar keine Diversität hinter den Kulissen herrschen kann. Die Stelle ist, genau wie die direkte Vorgesetzten-Stelle (Leitung Unterhaltung) männlich besetzt, wäre sie weiblich besetzt, bestünde dasselbe Problem, einfach umgekehrt. Das gilt auch für den Comedy-/Satire-Sendeplatz an sich. Es gibt nur einen einzigen Sendeplatz, sobald dieser mit jemandem besetzt ist, ist das Geschlecht dieser Person automatisch übervertreten. Dadurch schliesst man in jedem Fall gute Talente aus und kann gar nicht anders, als die Perspektive der halben Menschheit zu vernachlässigen. Über allem schwebt der grosse Quotendruck, welcher Experimente wie in den Anfängen von Giacobbo oder Deville nicht mehr zulässt, sondern vielfach Erproptes (Männer) mit viel TV-Erfahrung (Männer), welches die Sehgewohnheiten (Männer) des Publikums bedient und in der Zusammenarbeit hinter den Kulissen ähnlich tickt, wie die Verantwortlichen (Männer) oder zumindest so ähnlich funktioniert, wie das, was man kennt (Männer). Die knappen Ressourcen und die politische Gefahr einer drohenden Unterfinanzierung (erst Gebührenabschaffungs-, nun Halbierungs-Initiative), sinkende Werbeeinnahmen, Digitalisierung & «Netflixisierung», Überalterung und Abwanderung des TV-Publikums münden in einem Klima der Unsicherheit hinter den Kulissen, was Künstlerinnen und Künstler, die mit dem SRF zu tun haben, letzlich als Dumpinglöhne, als leere Versprechungen, strukturellen Sexismus oder als unvorhersehbare Kurswechsel zu spüren bekommen.
  • Thomas Baumann, 26.02.2023 18:44 Uhr
    Die Chefinnen sind alles Frauen: Die SRF-Chefin ist eine Frau, die SRF-Kulturchefin ist ebenfalls eine Frau. Aber auf der Comedy-Abteilung gibt es offenbar noch ein paar Männer. Das ist natürlich ganz schlimm, dass es irgendwo auch noch Männer gibt. Dass die "grossen" Chefs Frauen sind und Männer nur subalterne Chefs sind: Damit, so könnte man naiverweise eigentlich meinen, wären Frauen im SRF (mindestens) gleichberechtigt genug vertreten. Schliesslich kontrollieren ja die "grossen" Chefs üblicherweise die kleinen Chefs. Aber diese kleine Entscheidungsautonomie für Entscheidungsträger männlichen Geschlechts ist offenbar immer noch zu viel. Vielleicht sollte SRF einfach ein neues Gefäss für Realsatire erfinden: Geeignete Darstellerinnen dafür gäbe es genug.
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