02.11.2009

HALLER MICHAEL, November 2009

Momentan warten vier grosse Schweizer Zeitungen mit einem Relaunch auf. Ist dies das Wundermittel gegen die Krise? Nein, sagt der Leipziger Journalistikprofessor Michael Haller. Vor allem nicht, wenn er falsch gemacht wird.

Herr Haller, wie beurteilen Sie den Relaunch der drei grossen Tageszeitungen NZZ, Tages-Anzeiger und Blick?

Unterschiedlich. Der Blick versucht mit seinem Relaunch das Rad zurückzudrehen und wieder boulevardiger zu werden. Vor allem muss er sich deutlicher abgrenzen von den Gratiszeitungen – deshalb zurück zum grösseren Format und zu zwei Bünden. Ob es ihm gelingt, mit exklusiven Geschichten und überraschenden Themenzugriffen wieder eine «wertige» Kaufzeitung zu werden, wissen wir in einem halben Jahr. Etwa so viel Zeit geben auch die Käufer und Abonnenten einem radikal veränderten Produkt.

Hat die NZZ alles richtig gemacht?

Sie hat mit ihrem Relaunch ihr Alleinstellungsmerkmal als analytisches Medium betont und wirkt heute auf mich hintergründiger als vorher, auch wenn sie den Stoff in drei Bünde verdichtet hat und die Seiten nun fünfspaltig sind. Interessant ist für mich die Integration des Lokalteils in den Politikteil. Ich sehe darin ein Indiz, dass die NZZ vermutlich aus Kostengründen ihre lokale Kompetenz abbaut, ihre Rolle als überregionale betonen und sich als nationaler Werbeträger stärker positionieren will – ein kühnes Unternehmen. Störend sind kleine Details: Warum ist das Feuilleton im Gegensatz zum restlichen Blatt vierspaltig? Ein Feuilletonleser liest die Zeitung nicht anders als ein Sportleser. Auch ist nicht ersichtlich, warum über dem Aufmacher Leerzeilen stehen. Aber wie gesagt, solche Dinge sind Details.

Und der «Tagi»?

Der Tages-Anzeiger konnte trotz seiner regionalen Differenzierung den Auflagerückgang während den letzten drei, vier Jahren nicht stoppen. Dies war sicherlich auch einer der Gründe für den Relaunch. Allerdings kann ich beim neu gestalteten Tages-Anzeiger die Richtung, in welche die Zeitung sich stärker profilieren und von den Wettbewerbern abgrenzen möchte, nicht erkennen. Welche Kompetenzen will sie denn nun stärken? Zweifelsohne ist mit der Modernisierung des Layouts eine Anpassung an den Zeitgeist verbunden, doch manche Neuerung wirkt verspielt und ohne Funktion. Ob dies langfristig genügt, um die Reichweite zu verteidigen, steht in Frage. Auf mich wirkt dieser Relaunch in gewisser Weise unfertig.



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