Ein Grossteil der Schweizer Bevölkerung trifft lebensprägende Entscheidungen, ohne die finanziellen Konsequenzen zu kennen. Dies kann zu prekären Einkommenssituationen und Altersarmut führen. Die Frauendachorganisation Alliance F lanciert deshalb gemeinsam mit einem breiten Netzwerk an Partnerorganisationen «die erste Entscheidungskampagne der Schweiz», wie es in einer Mitteilung heisst. Vom 13. November 2024 bis am 3. März 2025 sollen unter dem Motto #JedeEntscheidungZählt mindestens 111'111 Menschen zu fundierteren finanziellen Entscheiden bewegt werden.
Kernstück der Kampagne ist das Onlinetool «Cash or Crash», das bereits seit Herbst 2023 als Betaversion verfügbar war und von über 20'000 Personen getestet wurde. Co-Projektleiter Simon Preisig zieht gegenüber persoenlich.com Bilanz: «Mich hat überrascht, wie krass unterschiedlich das Interesse an den verschiedenen Entscheidungsmodulen war. So haben alle Menschen Teilzeitfolgen berechnet, haben geschaut, was Kinder sie kosten, und auch der Heiratsrechner war sehr beliebt. Fast niemand, also nur circa 500 der 20'000, hat leider das Modul gespielt, wo es um die strukturellen Probleme geht, also dass Frauen schlechter bezahlte Jobs haben, zum Beispiel.»
Die neue Version des Onlinetools bietet nach über 100 Nutzer-Rückmeldungen eine einfachere Navigation durch die Module, besser eingeordnete und erklärte Resultate sowie ein verbessertes Design für mehr visuelle Attraktivität und klarere Struktur.
Symbolträchtiger Start in der Heiliggeistkirche
Der Kampagnenstart erfolgt am Mittwoch symbolträchtig in der Berner Heiliggeistkirche. Die Schweizer Meisterin im Poetry Slam 2023, Moët Liechti, führt durch mögliche Lebenswege, während die Arbeitsmarktökonomin Michaela Slotwinski von der Universität Zürich ihre neue Studie präsentiert. Ein Vorsorgeberatungs-Speed-Dating soll zudem aufzeigen, wie auch Laien ihre Finanzplanung verbessern können.
Zur Wahl des Kampagnenzeitraums erklärt Preisig: «Die Weihnachtszeit passt sehr gut zur Kampagne, der 11. Dezember ist der Tag, an dem sich leider statistisch am meisten Menschen trennen. Über die Weihnachtszeit wiederum kommts zu den meisten Verlobungen. Und gute Vorsätze sind ja sowieso ein guter Anlass, um mal zu berechnen, was mir noch eine Ausbildung bringen würde. Und dann kommt ja noch der Valentinstag kurz vor Kampagnenende.»
Freiwillige als zentrale Multiplikatoren
Die Kampagne baut stark auf Freiwillige, die als «Cash-or-Crash-Botschafterinnen und -Botschafter» in ihrem Umfeld aktiv werden. Auf einer speziellen Kampagnenwebsite zeigt Alliance F verschiedene Möglichkeiten auf, wie Freundinnen und Freunde, Bekannte, Kinder und Enkelkinder zu fundierteren Entscheidungen bewegt werden können. Die berechneten Entscheidungen werden live und anonymisiert in einem Counter gezählt.
Besonders ältere Menschen sollen als Botschafterinnen und Botschafter gewonnen werden. Auch wenn sie ihre wichtigsten Lebensentscheidungen bereits getroffen haben, können sie ihre Töchter oder Enkel motivieren, Entscheidungen besser informiert zu treffen.
Um möglichst viele Menschen zu erreichen, setzt Alliance F auf einen Mix aus digitalen und physischen Kanälen. Neben täglicher Social-Media-Werbung auf Plattformen wie Instagram und Pinterest wird beispielsweise in Zusammenarbeit mit Medical Women Switzerland ein «Cash-or-Crash-Pocketguide» in Wartezimmern von interessierten Ärztinnen und Ärzten ausgelegt. Für die Umsetzung arbeitet Alliance F mit dem Zürcher Studio Subito für Social Media, dem Grafikbüro Kabeljau und den Webspezialisten Diluno zusammen.
Wissenschaftlich begleitete Wirkungsmessung
Die Berner Fachhochschule wird die Kampagne wissenschaftlich evaluieren. «Die Berner Fachhochschule wird Personen befragen, ob von den Informationen und Erkenntnissen auch was hängen bleibt», so Preisig auf Anfrage. «Aber finanziell gesehen ist eine langfristige Wirkung relativ einfach zu erreichen. Auch wenn man zusammen mit der Toolentwicklung grosszügig mit Kosten von einer Million Franken rechnet, reicht es bereits, wenn fünf Personen im Alter keine Ergänzungsleistungen beziehen, und die Gesellschaft profitiert.» Bei 111'111 zusätzlich berechneten Entscheidungen scheine dies im Bereich des Möglichen.
Die kürzlich veröffentlichte Studie der Universität Zürich unterstreicht die Relevanz der Kampagne: Bei einer 30-jährigen Person mit durchschnittlichem Lohn entspricht die durchschnittliche Pensumserhöhung von sechs Prozent bis zur Pensionierung einem Mehrverdienst von rund 200'000 Franken.
Finanziert wird die Initiative durch Finanzhilfen des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann sowie Förderbeiträge verschiedener Stiftungen und Organisationen.