21.04.2010

Ausbruch aus dem Werbespot-Ghetto

Das Problem ist alt: Zuschauerzahlen sacken zusammen, sobald der Werbeblock beginnt. Und selbst die erfassten Zuschauer sind oft bloss virtuell, weil bei weiterlaufendem Kanal die Werbepause als Pinkelpause genutzt wird. Wer doch hinschaut, ist häufig verärgert über die lästige Werbebotschaften – keine gute Voraussetzung für die positive Wirksamkeit der Botschaften. Doch an der internationalen Messe für Unterhaltungsinhalte MIPTV, die letzte Woche in Cannes stattfand, hat sich gezeigt, dass TV- und Werbebranche erfolgreich an Konzepten arbeiten, um ihr Zielpublikum direkt in den Programmen zu erreichen. Der Bericht:
Ausbruch aus dem Werbespot-Ghetto

Der Trend zu neuen Werbeformen wurde auch durch die Wirtschaftskrise mit den stark geschrumpften Einnahmen der TV-Stationen begünstigt. Der Rückgang von Erlösen aus den Schaltungen von Werbespots hat bei Fernsehleuten kreatives Potential freigesetzt, um für ihre Projekte andere Finanzierungsquellen zu erschliessen.

Product Placements, die gezielte Platzierung von Markenartikeln in den Programmen kennt man schon lange, sowohl offen deklariert und legal wie auch in einem illegalen Graubereich mit versteckten Zahlungen unter dem Tisch – zum Teil nicht einmal an die Sender sondern an einzelne Mitarbeiter, die ‚ganz zufällig’ dafür sorgen, dass bei Dreharbeiten ein Schriftzug, ein Hotel, ein Konsumprodukt oder ein Fahrzeug möglichst prominent ins Blickfeld der Kamera gerät. Gerade kürzlich wurden die Spielregeln für das Product Placement in vielen Ländern gelockert, so dass diese Ertragsquelle jetzt einfacher zu kontrollieren und zu bewirtschaften ist.

Mehr zu reden gaben an der MIPTV in Cannes neue Projekte von sogenanntem Branded Entertainment, der unterhaltenden Inszenierung von Marken und Produkten in den redaktionellen Inhalten von Fernsehsendungen. Gesucht wird nicht mehr nur ein dramaturgisch begründbares Alibi, um Produkt X oder Y irgendwo auf dem Set hinstellen zu können. Gesucht werden vermehrt Programmideen, deren Storyline so eng mit den Markenprofilen von Produkten verknüpft sind, dass redaktionelle und kommerzielle Botschaften sich im Gleichklang verbreiten.

Das Unternehmen „The Wit“, das systematisch und weltweit die neuen Programme von Fernsehstationen erforscht, stellt einen Anstieg von solchen Shows fest, die durch themenaffine Markenartikler finanziert werden. Eine Urmutter des Branded Entertainment ist die Dessous Show Victoria’s Secret, in den USA ein Strassenfeger mit bis zu 9 Millionen Zuschauern und Starauftritten von Models wie Heidi Klumm und Musikacts wie den Spice Girls oder Seal (im Duett mit Heidi Klum).

(Bild: Die clevere Werberin Heidi Klum - mit Ehemann Seal)

Unterdessen hat sich das Phänomen weltweit verbreitet. Präsentiert wurden von Virginia Mouseler von "The Wit" u.a. folgende Shows:

"La Collection", ein Talentwettbewerb unter jungen Designern in Canada, voll finanziert durch eine Warenhauskette, eine Kreditkartenorganisation und eine Kosmetikfirma.

"Nestlé NZ hottest home baker", ebenfalls ein Talentwettbewerb aus Neuseeland, bei dem bereits im Sendungstitel klar wird, mit welchen Grundstoffen die Backwaren hergestellt werden.

"Fly Girls", eine Dokusoap über Flight Attendants in den USA. Die Fliegergirls arbeiten für Virgin America und der Sponsor ist ebenfalls Virgin America.

"Freak", eine Serie übers erwachsen werden aus Grossbritannien, gesponsert von Red Bull, Tampax und PlayStation.

"The Doctors", die Serie von CBS in New York ist unter allen gezeigten Beispielen das krasseste. Gegenüber The Doctors wirkt sogar die aggressivste heimische Medizinsendung, die dem Bakom wegen Verstössen gegen die Sponsoringrichtlinien bereits massiv Geld abgeben musste, diskret.

Branded Entertainment stärker als Labelsponsoring

Einige der gezeigten Beispiele waren ausgesprochen clever und unterhaltsam gemachtes Fernsehen. Weil die Storyline der Episoden schon thematisch eng mit den Inhalten der Sponsoren korrespondierten, war aufdringliches, plumpes Product Placement gar nicht nötig. Diese Form des Branded Entertainment ist zukunftsträchtiger als das altbekannte Label-Sponsoring, bei dem der Sponsor dafür bezahlt, dass sein Label im Vor- und Abspann und bei zwei-drei Einblendern eines Programmes vorkommt, obwohl dieses mit seinen Produkten wenig gemeinsam hat. Labelsponsoring ist beliebt bei Sportsendungen, weil die Unternehmen hoffen, dass die positiven Emotionen des Sports auf ihre meistens nicht emotionalen Produkte abfärben.

Branded Entertainment Sendungen müssen von den Sponsoren voll finanziert werden. Ihre Kontaktpreise sind deutlich höher als diejenigen von Werbespots und Labelsponsoring. Weil viel Geld im Spiel ist, werden neue Methoden der Wirkungsforschung entwickelt. Diese ebenfalls letzte Woche an der MIPTV in Cannes vorgestellten Methoden und ihre ersten Ergebnisse zeigen, dass Produktebotschaften, die in den Programminhalten inszeniert werden, eine mehrfache Wirkung gegenüber den Kontakten im Werbeblock erzielen.

(Text:Klaus Vieli. Der Fernsehjournalist verfolgt seit vielen Jahren die neuesten Trends in Cannes)


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