06.10.2009

Ein M verwirrter

Gestartet wie ein Tiger, gelandet wie ein Bettvorleger. So beschreibt Dr. Cary Steinmann den neuen Werbeauftritt der Migros. Die Strategie des orangen Riesen irritiere mehr, als das sie führe. "Als halbwegs erfahrener Stratege kann ich wirklich nicht erkennen, was M mir sagen will", lautet Steinmanns Urteil. "persoenlich.com" gibt dem ehemaligen Werber und heutigen Hochschuldozenten für Marketing an der ZHAW eine Carte Blanche, um den Fall Migros zu analysieren. Der Kommentar:
Ein M verwirrter

Der neueste Werbespot des orangen Riesen bringt es genau nicht auf den Punkt: Komödiantenhafte Skizzen und Episödchen jagen sich, Frisbees und Bälle fallen von Bäumen (wie Fragezeichen aus der Strategieabteilung von M), eine Ente kommt angewatschelt und trägt irgend etwas wohl Essbares im Schnabel und überreicht es der stilisierten Migros-Konsumentin (oder ist das das gute Lohas-Gewissen?), die dieses Essbare dann - wie ekelhaft - aus dem Entenschnabel in den Mund nimmt, Vogelgrippe hin, Schweinepandemie her. Wo und wie die grossen Zusammenhänge zum Riesen-Retailer sind, bleibt schleierhaft, kafkaesk und grotesk zugleich.

Als halbwegs erfahrener Stratege kann ich wirklich nicht erkennen, was M mir sagen will. Ach so, vielleicht ist dieses ja die "Strategie": den Konsumenten verwirren um ihn so zu mehr Aufmerksamkeit zu zwingen?! Im Geiste Benettons und der damaligen Aufrüttelstrategie, Politik und Gesellschaft inklusive? Wohl kaum.

Wenn wir in die M-Läden gehen, dann wundern wir uns, wo denn das bessere M geblieben ist: Aha, das neue Auffangbecken für alles unsauber Positionierte namens "M-Classic" fällt auf: Unschönes Design, keine Aura, keine Kraft. Der Name "Classic" klingt alt und verbraucht und wird immer dann gerne eingesetzt, wenn keine Idee vorhanden ist. Kleinliche Typo, pastellige und saftlose Farben. Daneben sehen die “alten“ feschen und knalligen Linien wie "Potz" oder "Total" in ihrem duttweiligen copy-paste-DDR-Look geradezu jugendlich und frech aus; der Smart-Shopper freute sich.

Der Ego-Claim von M hat in den drei nationalen Sprachanwendungen eine unterschiedliche Konnotation: Deutsch ist M ein M besser, französisch nur besser und italienisch das Beste. So oder so keine runde Sache, aber eben: vielleicht ist das Absicht der Verwirrstrategie.

Die jüngste Preisoffensive ("Wir geben der Schweiz etwas zurück") irritiert durch selbstgefälligen Pathos. Da wird nichts zurückgegeben, sondern unter dem Druck der neuen Herausforderer aus deutschen Landen reduziert, was jahrelang zu teuer verkauft wurde. Es braucht offensichtlich den Druck von Aldi & Co. damit die Preise endlich kundenfreundlich werden und die Abschöpfungen auf der Hochpreisinsel Europas aufhören.

Die Abteilung "Schweinebauch" ist so sehr mit M & M & M zugestellt, dass man vor lauter M die Migros nicht mehr erkennen mag. Der bisherige Tiefpunkt stellte eine Doppelseite dar, die die (unlecker) abgebildeten Leckerli mit der Schlagzeile "MMMMMMMMMMMM" verzierten. Da verschlägt es einem die Sprache.

Nochmals und von vorne: Wie lautet die Strategie von M? Was will mir die Marke sagen, wie lauten die Kernwerte? Man erkennt einen Ratatouille voller M und versteht die Welt nicht mehr. Vielleicht wäre es tatsächlich besser gewesen die angekündigte Konzentration auf eine Agentur durchzuziehen. Aber vielleicht ist das Durcheinander ohne Tiefe ja auch hausgemacht, wer weiss.

Und dann noch dieses: Es ist Anfang Oktober, und bereits wird in den M-Filialen das Weihnachtsgeschäft hochgefahren, erste Adventskalender bieten sich offensiv an. Das versteht nun gar keiner mehr.

(Text: Dr. Cary Steinmann)



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