Die Geschichte beginnt unspektakulär: Das deutsche Studentenpaar Anne und Jörn unternimmt im Frühsommer eine Reise in das entlegene Val Cama, einem Seitental des Misox. In der unberührten Natur filmen sie sich selbst und die Landschaft. Nach der Rückkehr nach Deutschland stellen sie die Clips aus dem Kurzurlaub ins Internet und berichten über ihre Erlebnisse in einem Reiseblog.
Ein Video der Beiden sorgt wenig später im Internet für Aufruhr. Die stark verwackelten Aufnahmen zeigen in einem Waldstück über einem Bergsee ein wildes weisses Pferd. Unscharf und nur ganz kurz ist auf der Stirn des Pferdes ein Horn zu sehen. Fortan dreht sich auf dem Blog alles nur noch um die Frage: Haben Anne und Jörn mit ihrer Kamera ein lebendes Einhorn eingefangen?
Der Clip taucht auf Videoplattformen wie Metacafé, Yahoo!, APé-Video und YouTube auf. Insgesamt wird er eine Viertelmillion Mal heruntergeladen. In Blogs und Foren wird weltweit über die Echtheit des Beitrags gerätselt. Im Herbst werden schliesslich die Medien auf das Thema aufmerksam. So auch in der Schweiz: Die Südostschweiz berichtet über das ominöse Einhorn im Misox, das Schweizer Fernsehen bringt ebenso einen Beitrag wie der SRG-Sender TSI.
Doch was hatte es mit dem Einhorn auf sich? Hinter dem Märchen stehen die Werbeagentur Publicis und der Schokoladenhersteller Chocolat Frey. Vor wenigen Tagen haben sie das Rätsel aufgelöst. "Unser Ziel war es, mit den Möglichkeiten des Web 2.0 das Markenzeichen von Chocolat Frey lebendig werden zu lassen und für ein breites Publikum erlebbar zu machen", sagt die Kampagnenverantwortliche Marion Marxer von der Publicis gegenüber "persoenlich.com". Ausserdem sollte das Einhorn auch in den USA und Asien zu reden geben -- in jenen Ländern also, die Chocolat Frey in Zukunft erschliessen will.
Anne und Jörn wurden von zwei jungen Laiendarstellern aus dem norddeutschen Kiel gespielt. Ein kleines Produktionsteam begleitete die beiden Schauspieler in die Schweizer Bergwelt. Um eine möglichst grosse Authentizität zu erzielen, wurde ausschliesslich mit Digitalkamera gefilmt. Das Einhorn -- ein in Zürich vor Bluescreen gefilmtes Pferd mit Papphorn -- wurde nachträglich in den entsprechenden Film hineinmontiert.
Der Blog von Anne und Jörn.
Publicis rückte das Einhorn ins Zentrum ihrer Viralkampagne, weil die Symbolik des Fabeltiers auch im Ausland, und insbesondere in Asien verstanden wird. Der Schoggi-Hersteller Chocolat Frey trägt seit der Firmengründung 1887 ein Einhorn im Logo. In der Schweiz wurde mit dem Fabeltier bereits in Kampagne der vergangenen Jahre geworben. Mit Hilfe von Blogs, Videoportalen und Social Networking Sites sollte das Einhorn in einem medienübergreifendes Märchen nun auch international einen reichweitenstarken Auftritt erhalten.
Dieses Ziel wurde laut Marxer erreicht: "Unser Clip wurde vor allem in den USA aufgenommen. Aber auch in China wurde in Blogs über die Echtheit des Einhorns diskutiert", freut sich die Werberin. Nach der viralen Kampagne will Chocolat Frey nun in der Schweiz mit einer TV- und Printkampagne Präsenz markieren. Offenbar hat die Kampagne die Erwartungen der Agentur übertroffen. Die Werbeagentur hatte sich ursprünglich die Marke gesetzt, mit der viralen Werbung zwischen 10'000 und 100'000 Personen zu erreichen.
Ob eine Viralkampagne ein Publikum findet -- dafür gibt es nie eine Garantie. "Es ist immer auch möglich, dass überhaupt nichts passiert", sagt Marxer. Die Agentur habe bloss die Möglichkeit Ihren Clip geschickt zu streuen. Ob sich danach eine Eigendynamik einstelle, die für ein Millionenpublikum sorgt, sei kaum vorherzusagen. Publicis riet Chocolat Frey deshalb, nicht ausschliesslich auf virale Werbung zu setzen. Zumal die Agentur nicht die totale Kontrolle darüber hat, welchen Verlauf die Einhorn-Debatte nimmt.
Zwar steuerte Publicis den Weblog von Anne und Jörn sehr stark und schuf eine Handvoll Persönlichkeiten, welche der Diskussion die Richtung vorgab. Was in anderen Weblogs und Foren lief, konnte die Agentur jedoch nicht beeinflussen. So wurde Chocolat Frey schon vor der Auflösung des Rätsels von findigen Usern gefragt, ob sie hinter dem Einhorn-Clip stehe. .
Das Online-Märchen mit dem Schweizer Einhorn ist laut Publicis noch nicht zu Ende erzählt. "Wir haben die Geschichte im Ausland noch nicht aufgelöst", sagt Marxer. Sie hofft, dass die Auflösung nicht von allen akzeptiert werde und zählt darauf, dass sich auch in Zukunft Fantasy-Fans und Mystiker im Internet fragen werden, ob sich das alles wirklich eine Werbeagentur ausgedacht haben kann.
Verantwortlich bei Chocolat Frey: Nadja Muggli Leiterin Product Management, verantwortlich beim Migros Genossenschafts Bund: Claudia Haueter Leitung, Werbung Super-/Verbrauchermarkt, Sarah Trümpy, Kategorie Management; verantwortlich bei der Publicis: Jean-Etienne Aebi (CD), Tom Zürcher (Text), Ralf Kostgeld (AD), Barbara Staub (Grafik), Marion Marxer (Gesamtverantwortung), Bojana Taraba / Deborah Herzig (Projektleitung), Suzana Kovacevic (Art Buying); PR: Vibrio, Patrick Hofer; Film- und Postproduktion: Wiseguys, Beni Lehmann, Jyri Pasanen, Patrick Durst; Second Life-Auftritt: Pedro Meya Marty, Bruno Mettler