13.02.2023

Publicis Zürich

«Ich sehe mich als Anwalt der guten Ideen»

Rob Hartmann verlässt Jung von Matt Limmat und verantwortet neu als Executive Creative Director die Kreation von Publicis Zürich. Der 47-Jährige über die Gründe seines Wechsels, gute kreative Arbeiten und Kinder als Impulsgeber.
Publicis Zürich: «Ich sehe mich als Anwalt der guten Ideen»
«Ich würde gerne eine Kampagne umsetzen, die das Thema Müttergehalt auf das Parkett der Regierungen bringt», so Rob Hartmann, Executive Creative Director und Mitglied der Geschäftsleitung bei Publicis Zürich.
von Christian Beck

Herr Hartmann, sind Sie ein ungeduldiger Mensch?
Nein. Wäre ich ein ungeduldiger Mensch, wäre ich jetzt nicht bei der Publicis. Vor knapp 17 Jahren musste ich mich in Geduld üben. Ich habe fast ein Jahr gebraucht, um in der Werbebranche Fuss zu fassen. Immer und immer wieder musste ich in den Antwortschreiben lesen: «Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass …». Vielen Dank auch. Meine Sammlung mit Absagen umfasst knapp sechzig A4-Seiten. Mein Einstieg in die Werbung war also eine Niederlage nach der anderen. Diese Niederlagen lehrten mich, Geduld zu haben. Man kann bestimmte Sachen einfach nicht erzwingen. Ich habe für mich gelernt, Schritt für Schritt durchs Leben zu gehen.

«Warten war noch nie eine Option», so werden Sie in einer Medienmitteilung zitiert, die Ihren Wechsel zu Publicis Zürich verkündet (persoenlich.com berichtete). Konnten Sie auch kaum warten, Jung von Matt Limmat zu verlassen?
Meine Schritte bei Jung von Matt sind gemacht. Für mich persönlich ist der Wechsel zu Publicis der nächste konsequente Schritt auf meinem Weg durch die Werbewelt, der von Tiefen und Höhen geprägt war. Eine Stelle wie die Leitung einer Kreation ist definitiv ein Hoch. Bei so einer Gelegenheit sollte man nicht zu lange warten.

Was reizte Sie ausserdem an der Stelle als Executive Creative Director (ECD)?
Mein erstes Treffen mit Matthias Koller war sicher entscheidend. Es kam mir vor, als ob wir uns schon ewig kennen würden. Es hatte etwas Vertrautes. Vertrauen ist wichtig in einer Position wie dieser. Ohne Vertrauen kann nichts Neues entstehen. Es ist das Neue, was mich reizte.

«Arbeiten sind immer nur so gut wie das Team»

Was nehmen Sie aus Ihrer Zeit bei Jung von Matt Limmat mit?
Alles, was es braucht, um die Publicis zur neuen Kreativadresse der Schweiz zu machen. Verrückt? Durchaus. Und genau deswegen so spannend.

Auf welche Ihrer Arbeiten sind Sie besonders stolz?
Arbeiten sind immer nur so gut wie das Team. Es spielt keine Rolle, was ich gemacht habe. Ohne meine Gang wäre ich jetzt sicher nicht da, wo ich jetzt bin. Deswegen bin ich erstmal besonders stolz auf die Menschen, die Lust hatten, mit mir das Neuland zu betreten und keinen Aufwand und Extrameilen scheuten. Kommunikatives Neuland war sicher der Instasitter für Ibis. Mit dem Service «Relax we post» konnten Millennials ihren Social-Media-Stress einem Social-Media-Sitter überlassen. Dieser betreute ihr Instagram-Profil, während sie ihren Städtetrip geniessen konnten. Hier konnten wir auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen. Es gab absolut nichts Vergleichbares. Dass wir diesen ungewöhnlichen Service launchen konnten, erfüllte uns sehr mit Stolz. Eigentlich wollten wir diesen Service weltweit einführen, scheiterten dann aber an technischen Herausforderungen.

Und auf welche bekannte Arbeit sind Sie neidisch und hätten diese am liebsten selber kreiert?
Ich bewundere Menschen, die keine Kosten und Herzblut scheuen, um etwas zu kreieren, das grösser ist als sie selbst. Sheltersuit ist so ein Konzept. Hier handelt es sich um eine wind- und wasserfeste Jacke, die sich leicht in einen Ganzkörperschutzanzug verwandeln lässt. Für die Produktion werden Menschen eingestellt, die entweder selbst geflüchtet sind oder aus anderen Gründen auf dem klassischen Arbeitsmarkt keine Chancen mehr haben. Zur Herstellung wird dabei recyceltes Material wie gebrauchte Schlafsäcke oder Zeltplanen genutzt. So ist der Sheltersuit nicht nur ein soziales, sondern gleichzeitig auch ein nachhaltiges Projekt.

Als ECD verantworten Sie nun also bei Publicis Zürich die Kreation. Kann man in dieser Führungsposition selbst überhaupt noch kreativ sein?
Als Excel Creative Director bestimme ich jetzt über Farben und Schriftgrössen in Excel-Tabellen. Kreativsein, Fehlanzeige. Quatsch, Spass beiseite. Gute Ideen und ein kreativer Geist brachten mich dorthin, wo ich jetzt stehe. Das Kreative ist ein Teil meiner DNA. Und diese DNA bestimmt täglich mein Denken und Handeln. Bei allem, was ich tue. Aber die kreative Bühne gehört ganz klar den Kreativen bei Publicis. Ich sehe mich mehr als Anwalt der guten Ideen. Diese mit dem Team auf den Boden zu bringen oder ihnen den Weg zu ebnen, ist meine Aufgabe.

Sie sind passionierter Snowboarder. Kommen Ihnen auf dem Brett die besten Ideen?
Beim Snowboarden kommen mir gar keine Ideen. Aber die Idee vom Snowboarden hat mich vom ersten Moment an gepackt. Das Snowboard war für mich immer ein Weg, um aus dem Gewohnten auszubrechen. Eine Möglichkeit, mich auszudrücken und mich Ängsten zu stellen. Und ein Türöffner für unglaubliche Erfahrungen mit Freunden – und Fremden. Fast wie in der Werbung.

«Zeit mit meinen Kindern zu verbringen, heisst für mich, am Puls der Zeit zu sein»

Sie sind auch Vater von drei Kindern. Inwiefern profitieren Sie von der Kreativität Ihres Nachwuchses?
Drei Kinder zu haben, heisst die Kontrolle zu verlieren. Kinder folgen ihrem Spieltrieb. Ihr Kompass ist Spass, Neugierde und das Entdecken. Sie sind unaufhaltbar, wenn sie etwas wollen. Ihnen ist es egal, was ich will. Ich profitiere von ihrem Kompass. Ein ständiges Improvisieren ist alltäglich. Freestylen. Jetzt gerade kam mein Ältester und meinte «Papa, hör dir mal SDP an.»

«Wie, macht die SPD jetzt Musik?» – «Neeeeinn, S D P, nicht SPD.» Ganz ehrlich, habe ich nicht gekannt. Aber der Titel «Tanz aus der Reihe» ist ganz nach meinem Geschmack. Meine Kinder sind ständige Impulsgeber. Zeit mit meinen Kindern zu verbringen, heisst für mich, am Puls der Zeit zu sein.

Was macht für Sie eine gute Idee aus?
Eine gute Idee sollte eine gute Story sein. Menschen erzählen und teilen gerne gute Geschichten. Auch am digitalen Lagerfeuer.

Ihnen wird eine «unkonventionelle Denke» nachgesagt. Wie zeichnet sich diese aus? 
Das freut mich zu hören. Unkonventionelles Denken heisst für mich, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und anderen Perspektiven und Ideen Raum zu geben. Das führt zu Brüchen mit traditionellen und üblichen Denkmustern. Es ist wichtig, statt Mauern die Türen zu sehen. Ohne eine offene Geisteshaltung geht das nicht.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Für welchen Brand würden Sie sehr gerne mal eine Kampagne umsetzen?
Mütter sind die grossen Verlierer der Nation. Sie sorgen sich um unsere Kinder, die Zukunft des Landes also, damit wir den Anschluss nicht verlieren. Sie selbst aber verlieren dadurch oft den Anschluss und gehen am Ende leer aus. Finanziell und beruflich. Ich würde gerne eine Kampagne umsetzen, die das Thema Müttergehalt auf das Parkett der Regierungen bringt. Das Pendant zum Kindergeld.

Nun spricht man immer mehr von künstlicher Intelligenz. Haben Sie keine Angst, irgendwann einmal Ihren Job zu verlieren?
Einen kleinen Moment bitte. Da frage ich doch kurz die KI: «Wirst du meinen Job als Werber überflüssig machen?» ChatGPT: «Es ist unwahrscheinlich, dass KI den Job eines Werbers vollständig ersetzt. Obwohl sie bereits in der Werbung eingesetzt wird, um bestimmte Aufgaben zu automatisieren, kann sie die kreative Vision und das strategische Denken eines erfahrenen Werbers nicht ersetzen. KI kann den Werber jedoch unterstützen, indem sie bestimmte Aufgaben automatisiert und Zeit für kreative und strategische Aufgaben gibt. Werber sollten sich auf ihre Fähigkeiten in Bereichen wie Kreativität und Kundenverständnis konzentrieren, die KI nicht ersetzen kann.» Danke, genau das wollte ich hören. Kann KI jetzt auch meine Gedanken lesen?



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