16.06.2025

Family

«Unterhaltung verankert Botschaften stärker»

Family hat das Mandat des Fonds für Verkehrssicherheit gewonnen – und setzt auf einen unkonventionellen Weg: Statt mit dem erhobenen Zeigefinger zu mahnen, bekämpft eine interaktive Gameshow die «Kontrollillusion». CEO und CCO Claudio Catrambone erklärt, warum Entertainment wirksamer ist als Verbote.
Family: «Unterhaltung verankert Botschaften stärker»
«Statt mit Verboten oder Regeln belehren zu wollen, unterhalten wir – und damit bleiben wir im Gedächtnis», so Claudio Catrambone CEO und CCO von Family. (Bilder: zVg)

Claudio Catrambone, in welchen Situationen fühlen Sie sich manchmal zu sicher?
Guter Einstieg. Ich glaube, es gibt viele Situationen, in welchen Menschen sich zu sicher fühlen. Ich bin da keine Ausnahme. Beim Thema Strassenverkehr fällt mir spontan die eine oder andere Situation ein, in der auch ich mir zu sicher war. Beim letzten Mal so sicher, dass ich einen Fahrradunfall hatte.

Die neue Kampagne von Family für den Fonds für Verkehrssicherheit (FVS) thematisiert die «Kontrollillusion» (persoenlich.com berichtete). Was ist das?
Das Wichtigste: Kontrollillusion betrifft alle Verkehrsteilnehmenden, ist aber bei den vulnerablen Gruppen besonders relevant. Dazu zählen nun mal Velo- und E-Bike-Fahrende. Die Kontrollillusion kommt in allen Lebensbelangen vor und ist ein psychologisches Phänomen, bei dem Menschen glauben, mehr Kontrolle über ihre Umwelt zu haben, als tatsächlich möglich ist. Sie führt dazu, dass Schutzmassnahmen ignoriert und Risiken verdrängt werden. Oft mit fatalen Folgen.

Herzstück der Kampagne ist eine interaktive Gameshow. Warum das?
Es ist ungesehen als Präventionskampagne und doch vertraut aus Film und Fernsehen. Wir schaffen Parallelen und überraschen.

Verkehrssicherheit ist ein Thema, bei dem schon viel kommuniziert wurde. Was macht Ihre Herangehensweise anders als bisherige Präventionskampagnen?
«Das Spiel deines Lebens» setzt bewusst nicht auf den erhobenen Zeigefinger. Statt mit Verboten oder Regeln belehren zu wollen, unterhalten wir – und damit bleiben wir im Gedächtnis. Unterhaltung verankert Botschaften stärker. Wir sprechen nicht die Regelbefolgung an, sondern zielen auf die intrinsische Motivation der Menschen: Wer sich selbst und andere schützen will, trifft bessere Entscheidungen – aus Überzeugung, nicht aus Zwang.

Sie arbeiten mit Hunderten von Assets – von TV-Spots bis zu Social Media. Wie stellen Sie sicher, dass die Botschaft über alle Kanäle hinweg konsistent bleibt, ohne langweilig zu werden?
Anfang des Jahres haben wir unsere eigene Media Unit FaMe gegründet. Gemeinsam haben wir eine Mediastrategie entwickelt, die sicherstellt, dass die Hauptbotschaft kanalspezifisch und wirkungsvoll ankommt. Im Zentrum steht: Wer sich zu sicher fühlt: verliert. Jeder Kanal wurde anhand seines Nutzerverhaltens analysiert und mit massgeschneiderten Assets bespielt. Die Botschaftenhierarchie wird über die Kampagnenlaufzeit hinweg dynamisch angepasst.

Sie haben ein Wirkungsmodell entwickelt für diese dreijährige Initiative. Können Sie konkret sagen: Was muss am Ende der drei Jahre messbar anders sein, damit Sie die Kampagne als Erfolg bewerten?
Das übergeordnete Ziel ist klar: Die Reduktion selbstverursachter Velo- und E-Bike-Unfälle. Gemäss der Astra-Verkehrsunfallstatistik 2024 gab es über 1000 Unfälle, 45 davon tödlich. Der häufigste Unfalltyp: Schleuder- und Selbstunfälle. Die Herausforderung besteht darin, die Kontrollillusion ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und verständlich zu machen, wie sie wirkt und wie man ihr begegnet. Ein jährlicher Posttest, basierend auf unserem Wirkungsmodell und in Zusammenarbeit mit einem Marktforschungsinstitut, sichert die gezielte Weiterentwicklung der Initiative. Die Kampagne ist dabei nur ein Teil einer ganzheitlichen Initiative. Sie ist eingebettet in eine umfassende Präventionsstrategie, die wir gezielt durch edukative Massnahmen ergänzen – mit Erklärfilmen, strategischen Partnerschaften und der Integration in bestehende Programme.

«Das Konzept ist darauf ausgelegt, dynamisch zu bleiben»

Die Kampagne wird jährlich evaluiert. Was passiert, wenn die Evaluation zeigt, dass bestimmte Massnahmen nicht wirken? Wie flexibel können Sie nachjustieren?
Sehr gute Frage – und die Antwort ist: sehr flexibel. Die Botschaften werden über die gesamte Laufzeit hinweg kontinuierlich angepasst. Das Konzept ist darauf ausgelegt, dynamisch zu bleiben.

Family hat als einzige Agentur direkt das FVS-Mandat gewonnen, während sonst Agenturen als Subunternehmen fungieren. Welche Vorteile bringt Ihnen diese direkte Zusammenarbeit?
Die direkte Zusammenarbeit mit dem FVS ist für uns ein echter Gewinn – fachlich wie operativ. Gerade bei einer Initiative mit diesem Anspruch profitieren wir vom Know-how des FVS, etwa wenn es um wissenschaftliche Grundlagen, Datenlagen oder Präventionsansätze geht. Gleichzeitig ermöglicht uns diese enge Partnerschaft schnelle Abstimmungen, kurze Entscheidungswege und ein gemeinsames Verständnis für Ziel und Wirkung. Das macht die Zusammenarbeit nicht nur effizienter, sondern inhaltlich auch deutlich fundierter.

Drei Jahre sind eine lange Zeit in der schnelllebigen Kommunikationsbranche. Wie entwickeln Sie eine Kampagne weiter, ohne dass sie an Aufmerksamkeit verliert?
Es stimmt: Die Welt dreht sich schnell. Doch das Thema Kontrollillusion ist so tief im menschlichen Verhalten verankert, dass wir es immer wieder – und in unterschiedlichsten Umsetzungen spielen können, ja sogar müssen. Ein umfassender Massnahmenplan liegt bereits vor: von Live-Aktivierungen über Gamification-Ansätze bis hin zu weiteren Formaten. Wir stehen in den Startlöchern – bewusst mit der Haltung, auf die Schweiz reagieren zu können. Denn unser Ziel ist keine starre Umsetzung, sondern eine dynamische Kreation, die auf gesellschaftliche Stimmungen flexibel eingehen kann. Dabei werden wir weiterhin eng mit Prof. Dr. Markus Hackenfort zusammenarbeiten – nicht zuletzt, um selbst nicht in die Falle der Kontrollillusion zu tappen.

«Bis dato haben rund 1000 Menschen ihr digitales Versprechen abgegeben»

Die Website lädt dazu ein, ein «öffentliches Versprechen» abzugeben. Glauben Sie wirklich, dass Menschen ihr Verhalten ändern, nur weil sie online etwas versprochen haben?
Bis dato haben rund 1000 Menschen ihr digitales Versprechen abgegeben – und das, obwohl wir den «Pledge» bislang nicht aktiv kommuniziert haben. Noch nicht. Das ist eine erfreuliche Zahl – und ein starkes Zeichen. Selbst wenn nur ein Bruchteil dieser Menschen sich künftig achtsamer im Strassenverkehr bewegt, ist das bereits ein grosser Gewinn. Mit dem digitalen Versprechen aktivieren wir etwas Tieferes: das Commitment gegenüber dem eigenen Selbstbild. In der Psychologie spricht man von Selbstverpflichtung – sie beschreibt das Phänomen, dass ein persönliches Versprechen – auch wenn es nicht öffentlich oder nur digital abgegeben wird – unser tiefes Bedürfnis nach innerer Konsistenz anspricht. Wer sich selbst zu mehr Achtsamkeit im Strassenverkehr verpflichtet, möchte dieses Selbstbild nicht durch widersprüchliches Verhalten untergraben.

Kontrollillusion betrifft nicht nur den Verkehr, sondern viele Lebensbereiche. Sehen Sie Ihre Kampagne auch als Beitrag zu einer breiteren gesellschaftlichen Diskussion über Risikowahrnehmung?
Nein, bei uns stehen ganz klar die Verkehrsteilnehmenden im Mittelpunkt – das ist unsere Mission. Natürlich lässt sich das Thema Kontrollillusion auch auf andere Lebensbereiche übertragen, aber das wäre dann Stoff für eine eigene Kampagne. Wir freuen uns natürlich über jede Art von Zuschreibung. Aber unser Fokus bleibt auf dem Strassenverkehr und der Wirkung dort, wo sie gebraucht wird.

Hat Sie die Arbeit an dieser Kampagne dazu gebracht, Ihr eigenes Verhalten zu überdenken? Wo fühlen Sie sich heute weniger sicher als zu Beginn des Projekts?
Gerade in den letzten Monaten sind mir im Strassenverkehr immer wieder Menschen aufgefallen, die sich zu sicher fühlen. Das hat mich nachdenklich gemacht. Ich erinnere mich bewusster an Verkehrsregeln, die wir alle einmal gelernt haben – und versuche, die Tipps aus den edukativen Videos ganz konkret anzuwenden. All das macht mich weder unsicherer noch übermässig vorsichtig. Vielmehr bin ich heute einfach aufmerksamer und bewusster unterwegs – mit einem klareren Blick auf mein eigenes Verhalten im Strassenverkehr.

Sie haben letzte Woche ausgewählte Redaktionen mit defekten Velohelmen beliefert. Was war das Ziel der Aktion?
Wir wollten mehr als nur Worte verschicken – wir wollten Wirkung erzeugen. Deshalb gab es keine klassische Pressemappe, sondern ein physisches Statement: zerstörte Velohelme. Nicht willkürlich beschädigt, sondern modelliert auf Basis realer Unfallstatistiken – als greifbares Symbol dafür, was bei einem Aufprall tatsächlich passiert. So erzählt jeder Helm eine reale Geschichte: Wie schnell aus einer Kontrollillusion brutale Realität werden kann.

Hat es eigentlich Spass gemacht, die Velohelme zu zerstören?
Ganz ehrlich – nein: Es war eher beklemmend. Jeder einzelne Helm steht für ein potenziell reales Unfallszenario. Und je tiefer wir uns damit beschäftigt haben, desto deutlicher wurde, wie schnell aus einem normalen Moment bitterer Ernst werden kann.


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