11.03.2024

Fake Out of Home

Wenn Illusionen viral gehen

Hyperrealistische, aber gefälschte Videos gehen viral und werfen Fragen auf. Dabei handelt es sich um Fake Out of Home – ein Hype in der Werbeindustrie. Die Schweizer Marken zeigen sich vorsichtig. Nur wenige Beispiele wurden hierzulande bisher umgesetzt.
Fake Out of Home: Wenn Illusionen viral gehen
Die Aktion sieht täuschend echt aus, ist es aber nicht. (Bild: Screenshot aus TikTok)

Die erfolgreichsten Videos erzielen Millionen von Views. Traumzahlen für jede Marke, die ein Produkt bewirbt. Da sieht man zum Beispiel den Big-Ben-Turm, der mit einer riesigen gelben Daunenjacke von The North Face gekleidet ist. Unten staunen schaulustige Passanten über die Aktion. Oder eine U-Bahn, die mit einer überdimensionierten Wimper versehen ist und an eine Mascara-Bürste von Maybelline heranfährt. Es sieht verblüffend aus. Nur: Die Szenen gab es so nie. Die Clips zeigen hyperrealistische computergenerierte Bilder (CGI), die in ein reales Dekor integriert wurden. Im Jargon heissen diese Videos «Fake (oder Faux) Out of Home», kurz FOOH.

@maybelline ? All aboard the Sky High Mascara Express ✨? After hitting the NYC Streets, we’re taking over London??? We are on the move with #SkyHighMascara elevating your lash game to new heights?️ ? it’s guaranteed to serve limitless lash length ? and full volume? #Maybelline ♬ original sound - Maybelline New York

Die ersten viralen FOOH-Videos sind vor bald einem Jahr in den sozialen Medien publiziert worden. Durch ihren enormen Erfolg sind sie zu einem neuen Trend in der Werbung geworden.

Kingfluencers hat FOOH in seinem Trends Guide vom Dezember an erster Stelle aufgelistet. Auf Anfrage sagt die Zürcher Agentur jedoch, dass sie selbst noch keine solche Kampagne umgesetzt hat.

Glaubwürdigkeit schützen

«Brands in der Schweiz sind oft vorsichtiger im Umgang mit ihrer Marke als in anderen Ländern. Gerade bei Formaten, die an den Grenzen von Wahrheit und Fake spielen», analysiert Dominique Hufschmid, Director of Strategy, Marketing and Innovation bei Kingfluencers. «Glaubwürdigkeit und Reputation sollten nicht aufs Spiel gesetzt werden.»

In der Schweiz kommt der Trend nur langsam an. persoenlich.com hat bisher über drei FOOH-Produktionen berichtet. Die erste ist letzten Dezember erschienen. Sir Mary hatte sie für die Samsung-Smartwatch kreiert. Das Video zeigt eine sommerliche Berglandschaft mit einem Sessellift. Statt einem Sessel fahren aber riesengrosse Hände mit gestreckten Zeigefingern hoch. Beim Vorbeifahren streifen sie den Touchscreen einer gigantischen Samsung-Uhr.

«Das Video hat 2,8 Millionen Views und 93'000 Likes auf dem TikTok-Kanal von Samsung Schweiz generiert», sagt Nicolas Hostettler, Managing Director bei Sir Mary. «Es gehört zu den erfolgreichsten Kampagnen, die wir je für Samsung umgesetzt haben.»



Samsung gehört zu den Marken, die sich nicht vor neuen Wegen in der Werbung scheuen. Sie hatte bereits mehrere FOOHs publiziert, die weltweit für Aufsehen sorgten.
@samsung Have you seen these larger-than-life foldable phones? Do they appear realistic? #GalaxyZFlip5 #GalaxyZFold5 #JoinTheFlipSide #Samsung ♬ original sound - Samsung

«Das Aufwendigste an den Videos ist der fotorealistische Anspruch. Sie funktionieren nur, wenn Fiktion und Realität verschmelzen», sagt Hostettler. «Das ist deutlich einfacher herzustellen als noch vor einigen Jahren. Trotzdem braucht man 3D-Profis und CGI-Artists, die viel Liebe ins Detail stecken.»

«Der Schatten fehlt»

Unter den zahlreichen verwunderten Kommentaren, die sich fragen, ob die Aktion nun echt sei, lassen sich auch einige scharfe Augen nicht täuschen. Einige machen zum Beispiel auf den fehlenden Schatten der ersten Hand und den sesselliftförmigen der zweiten aufmerksam.

Die fotorealistische Täuschung kann aber auch für Irritation sorgen. Bei der Mascara-Werbung von Maybelline fragten sich Zuschauer, ob die grosse Wimper nicht auf die Gleise fallen und eine Gefahr für die U-Bahn darstellen könnte.

«Bei solchen Inhalten besteht die Gefahr eines Backlash», bemerkt Dominique Hufschmid von Kingfluencers. «Wenn ein Video sehr nah an der Realität ist und das Risiko besteht, dass der Inhalt wörtlich genommen wird, dann sollte es als FOOH deklariert werden.»

Keine Kennzeichnungspflicht

Auch rechtlich ist klar: Konsumentinnen und Konsumenten dürfen in der kommerziellen Kommunikation nicht getäuscht oder irregeführt werden. «Solange in den FOOH-Videos also klar ist, dass hier eine Illusion kreiert wird, spricht nichts dagegen», schreibt auf Anfrage Anja Kutter, Medienverantwortliche der Schweizerischen Lauterkeitskommission (SLK).

«Der Einsatz von künstlichen Hilfsmitteln ist kein neues Thema für die SLK», betont sie weiter. «Schon seit vielen Jahren wird zum Beispiel stark mit Photoshop gearbeitet. Im Grundsatz handelt es sich hier um die gleiche Thematik. Bisher existiert keine Kennzeichnungspflicht für mit Computern generierte Bilder.»

Problematische Aneignung

Problematisch wird auch die Aneignung von Kulturgütern und Monumenten wie zum Beispiel Big Ben. «Wie auch sonst im Marketing ist da Zurückhaltung und respektvoller Umgang gefragt. Eine Marke tut sich auch gut daran, geistiges Eigentum wie Kunstwerke im öffentlichen Raum nicht zu zweckentfremden», empfiehlt die Strategie-Expertin.

Der Samsung-Case ist bisher das einzige FOOH von Sir Mary. «Für Samsung war die Vorreiterrolle und die einhergehende Überraschung bei der Zielgruppe besonders spannend», sagt der Verantwortliche Nicolas Hostettler.

Der Überraschungseffekt ist für den Erfolg eines FOOH ein entscheidender Faktor. Je mehr Werber solche Videos umsetzen, desto kleiner wird er. «Wir sehen schon heute einen Abnutzungseffekt bei den Usern», stellt Hostettler fest.

Es könnte also sein, dass der FOOH-Trend schon bald vorbei sein wird, bevor er in der Schweiz richtig angekommen ist. Die Experten sind sich aber einig: Die Vermischung von digitalen mit realen Bildern ist mehr als ein Trend. «Onlinevideos, die reale und virtuelle Elemente vereinen und die Grenzen zwischen digitaler Fantasie und Realität verschwimmen lassen, werden sich sicherlich etablieren und ein integrierter Bestandteil der Content-Produktion bleiben», fasst Dominique Hufschmid zusammen.


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