15.11.2001

"Sei direkt!"

Lester Wunderman (Bild) gilt als Erfinder des Direct Marketing. 1920 in New York geboren, erlebte er – aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen – die Panik der Grossen Depression Ende der Zwanzigerjahre hautnah. Dieser Zeitpunkt, meint Wunderman, habe ihn entscheidend geprägt. "persoenlich.com" befragte den Pionier auf seiner Stippvisite in Zürich über die Entwicklung von Werbung und Marketing und über die Bedeutung des Direct Marketing in der heutigen Zeit. Was der "Gentleman des Direct Marketing" sonst noch alles zu sagen hat, können Sie sich auf "persoenlich.com" unter dem Button WEB TV "live" ansehen.
"Sei direkt!"

Lester Wunderman, wann haben Sie sich das erste Mal für direktere Kundenbeziehungen interessiert?

Nun, das begann Mitte der Fünfzigerjahre. Ich verliess gerade die Firma Maxwell Sackheim und gründete mit meinem Bruder Irving zusammen eine neue Agentur mit den beiden Partnern Ed Ricotta und Harry Kline (WR&K). Wir hatten mit dem Columbia Record Club, den Time-Life-Books und American Express gute Aufträge an Land gezogen. Mit direkt adressierten Werbesendungen hatten wir schnell Erfolg. Bald wuchsen wir zu einer der führenden Direct-Marketing-Firmen in den USA heran. Die Firma fusionierte 1973 mit Young und Rubicam. Ich glaubte, die Firma habe mit dem Zusammenschluss bessere Wachstumschancen, zumal Young und Rubicam über einen exzellenten Kundenstamm verfügte.

Wie hat sich das Direct Marketing in den letzten Jahrzehnten entwickelt?

Die Entwicklung des Direct Marketing können Sie nicht isoliert von der wirtschaftlichen Entwicklung betrachten, weil die Bedürfnisse der Kunden die entscheidenden Faktoren sind. In den Fünfzier- und Sechzigerjahren entstand die eigentliche Blüte der Massenproduktion. Produkte wurden für eine breite Masse entwickelt, und dementsprechend wurde für diese geworben. Das wohl beste Beispiel hierfür liefert die Automobilindustrie, aber auch andere Hersteller versuchten, mit der Masse gleicher Produkte ihre Profite zu steigern. Der Trend entwickelte sich dann immer mehr in die umgekehrte Richtung. Kunden wollen heutzutage individuelle Angebote. Früher sagten die Firmen: "Das ist es, was wir machen. Wollen Sie es nicht haben?" Heute sagt der Kunde: "Das ist es, was ich möchte, können Sie es machen?". Ein sehr gutes Beispiel, das diesen Trend verdeutlicht, ist der Computerhersteller Dell. Vor nicht allzu langer Zeit begann Dell, Computer anzubieten, die individuell konfiguriert werden können. Mittlerweile ist Dell der grösste Computerhersteller der Welt. Dieser Trend, individuelle Angebote zu machen, entspricht exakt dem Direct-Marketing-Gedanken, weil der direkte Austausch mit dem Kunden gesucht wird.

Galt in den Fünfziger- und Sechzigerjahren das Direct Marketing als revolutionär?

Werbung und Marketing waren damals eigentlich nichts Neues. Bereits seit 1890 wurde mittels Katalogen geworben und Kundenbeziehungen wurden aufgebaut. Die Massenmedien existierten schon und haben sich bestens etabliert. Fernsehen Radio, Zeitschriften und Zeitungen – alles war schon da. Es blieb allerdings die Frage, wie Kundenbeziehungen über den ersten Kontakt hinaus gepflegt werden konnten. Revolutionär – wenn Sie so wollen – war also einzig die Art und Weise, wie das Marketing in der Werbung umgesetzt wurde. Ich war damals – und bin es heute noch – felsenfest überzeugt, dass personalisierte Werbung viel grösseren Erfolg habe als Werbebotschaften auf Plakaten oder Zeitungsinseraten. Möglichen Kunden musste das Gefühl vermittelt werden, dass sie direkt angesprochen würden.

Sie waren der erste, der für Time-Life Gratis-Telefonnummern für Kundenkontakte einführte, Antwortpostkarten und Werbebroschüren in Zeitschriften legte. Welchen Wert sehen Sie in solchen Kundenkontakten im Vergleich zur klassischen Werbung?

Die Interaktivität mit den Kunden ist das Entscheidende. Ich habe schon vor 25 Jahren, lange bevor das Internet überhaupt nur rudimentär Breitenwirkung erzielte, gesagt, dass der erfolgreichste Kundenkontakt nur interaktiv verlaufen könne. Und zwar aus gutem Grund: Beziehungen haben Wachstumspotenzial – einmalige Begegnungen hingegen nicht, weil die Bedürfnisse der Kunden in einer Einwegkommunikation – wie sie die klassische Werbung darstellt – nicht reflektiert werden. Die klassische Werbung richtet sich an die Masse. Direct Marketing will mit dem Kunden eine Beziehung aufbauen, denn je besser das Verhältnis zwischen Kunde und Verkäufer wird, umso höher der Profit.

Direct-Marketing-Kritiker argumentieren oft, dass Kunden mit Werbung überflutet würden und kein Interesse daran fänden, ihren mit Werbebriefen verstopften Briefkasten dauernd leeren zu müssen. Aus diesem Grund habe Direct Marketing an Glaubwürdigkeit verloren. Wie stehen Sie zu solchen Aussagen?

Ich glaube nicht, dass Direct Marketing seine Glaubwürdigkeit aus diesem Grund verliert. Direct Marketing heisst nicht, nur noch Werbebriefe zu versenden, sondern mittels enger Kundenkontakte herauszufinden, welche Bedürfnisse ein Kunde hat, um diesem dann relevante Informationen zu schicken, die er auch wirklich will. Das Problem haben wir auch im Internet durch so genannte Spam-Mailsendungen, die ausser verärgerten Kunden überhaupt nichts bringen. Seriöse Firmen verschicken ihren Kunden keine Spam-Mails.Das Internet ist im Übrigen ein hervorragendes Medium, um Direct Marketing zu betreiben, weil es ein Höchstmass an Interaktivität zu lässt. Es gibt kein anderes Medium, mit dem Sie so direkt auf den Kunden zugehen können wie übers Internet. Es bietet ungeahnte Möglichkeiten, um Kundendaten zu sammeln. Aus diesem Grund ist es aber auch überaus anfällig für Missbrauch.

Wenn Sie das Internet ansprechen: Seth Godin hat vor etwa drei Jahren den Begriff "Permission Marketing" geprägt. Wäre das nicht eine Möglichkeit, Spam zu verhindern und trotzdem personalisierte Werbebotschaften an den Mann zu bringen?

Voll und ganz. Ich habe Seth Godin vor zwei Jahren kennen gelernt. Und ich muss sagen, ich war fasziniert von diesem Gedanken, die Kunden zuerst zu fragen, ob Sie überhaupt Werbemitteilungen wollen. Die Daten, die Sie mittels "Permission Marketing” erhalten, sind zwar von den Quantität viel geringer als diejenigen Daten, die Sie sonst als Kontakte messen, dafür sind sie von einer hervorragender Qualität, weil die Kunden, die Ihnen die Erlaubnis erteilen, Werbung an sie zu richten, auch bereit sind, eine Beziehung zwischen sich und dem Verkäufer einzugehen. Und das sind letztlich die wertvollen Kontakte.

Welchen Ratschlag würden Sie einer Firma erteilen, wie sie Marketing betreiben sollte?

Eine Firma muss versuchen, mit ihren Produkten so viel Aufmerksamkeit wie möglich bei den Kunden zu erlangen. Und vor allem: So viele Kundenbeziehungen eingehen wie möglich. Ferner soll sie sich nicht von einem "Nein" abschrecken lassen, weil ein "Nein" bedeutet "nicht jetzt". Stimmen die Kundenbeziehungen, wird der Kunde der Firma eines Tages "jetzt" sagen.


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