05.06.2017

Fotoverbot in Bergün

Sonderbewilligung für alle Fotografen

Das «Herzliche Fotografierverbot» in der Bündner Gemeinde soll schon an der nächsten Gemeindeversammlung wieder aufgehoben werden. Bis dahin erteilt Bergün eine pauschale Ausnahmegenehmigung. Dieses Vorgehen war laut der Agentur Jung von Matt/Limmat von Anfang an so geplant. Auch die Gemeindeversammlung war eingeweiht.
Fotoverbot in Bergün: Sonderbewilligung für alle Fotografen
An der nächsten Gemeindeversammlung soll das «Herzliche Fotografierverbot» wieder aufgehoben werden. Bis es soweit ist, gibt es Sonderbewilligungen. (Bilder: zVg.)

Das gemeindeweite Fotoverbot im Bündner Bergdorf Bergün hat zahllose Reaktionen ausgelöst im In- und Ausland. Nun soll dieses an der nächsten Gemeindeversammlung wieder aufgehoben werden. «Das alles war Teil der gesamten Dramaturgie und von Anfang an geplant», sagt Dennis Lück, Kreativchef bei der federführenden Kommunikationsagentur Jung von Matt/Limmat, gegenüber persoenlich.com. «Ehrlicherweise wurde ja auch niemand gebüsst», so Lück weiter. Die Agentur entwickelte diese Kampagne zusammen mit dem Gemeindevorstand von Bergün, mit Bergün Filisur Tourismus und der kantonalen Organisation Graubünden Ferien.

Dass das alles geplant war, davon zeugt auch ein am Donnerstag veröffentlichtes und professionell produziertes Video auf der Facebook-Seite der Ferienregion Bergün Filisur. Darin verkündet der Gemeindepräsident von Bergün, Peter Nicolay, dass man die negativen Reaktionen auf das «Herzliche Fotografierverbot» verstehen könne. Deshalb «erteilen wir jedem, der eine Kamera hat, eine herzliche Sondergenehmigung», so Nicolay. «Ab sofort ist das Fotografieren wieder frei.»

Das Verbot war am Montagabend von der Gemeindeversammlung nahezu einstimmig verabschiedet worden und trat schon am nächsten Tag in Kraft. Es wurde damit begründet, dass Bilder aus dem pittoresken Bergün Menschen unglücklich machten, die gerade nicht auf 1400 Metern über Meer im schönen Albulatal weilen könnten. Das wolle man verhindern (persoenlich.com berichtete).

Offenbar waren die Stimmberechtigten über die hinter dem Fotoverbot stehenden Absichten und auch dessen geplante Aufhebung informiert. Es scheint, als habe das halbe Dorf zwei Tage lang geblufft und Medien an der Nase herumgeführt. Nicht alle Journalisten goutieren das, wie branchenintern umgehend zu vernehmen war.

Bild_Medienecho

Das Fotoverbot im scheinbar verschrobenen Bergdorf in den Schweizer Alpen löste sofort ein riesiges, internationales Echo in Medien und auf Social Media aus. Obwohl den meisten Journalisten und Kommentarschreibern bewusst war, dass dahinter wohl eine Werbeaktion steckte, irritierte die gesetzliche Verankerung durch eine offenbar legitimierte Gemeindeversammlung.

Irritierte bis verärgerte Reaktionen

Viele Schreibende reagierten irritiert bis verärgert. In der Schweiz braute sich in den Kommentaren auf Zeitungsportalen ein Shitstorm zusammen. Der Tenor lautete: «Nach Bergün fahre ich nun erst recht nicht. Verbote gibt es in der Schweiz schon genug.» So hatten auch die «20 Minuten»-Leser wenig übrig für das Verbot: Bei einer Umfrage mit über 2000 Teilnehmern gaben 81 Prozent an, sie hielten es für eine «Frechheit». Die Kommentare im Ausland waren etwas wohlwollender, wenn auch selten überschwenglich.

Gemeindepräsident Nicolay zieht dennoch ein positives Fazit. Die Gemeinde hätte nie gedacht, ein derart grosse Medienecho auszulösen. Bilder des Dorfes seien nun gesuchter denn je. Nach Angaben der Beteiligten aus Werbung und Tourismus erreichte Bergün mit der Aktion Millionen von Menschen weltweit bei minimalen Ausgaben.

Mit Kritik gerechnet

Von den zahlreichen negativen und in der Schweiz nicht selten gar aggressiven Kommentaren wollen die involvierten Touristiker und Werber nicht überrascht worden sein, wie sie auf Anfrage erklärten. «Wir haben gewusst, dass die Geschichte kontrovers aufgenommen wird», sagte der Bergüner Tourismusdirektor Marc-Andrea Barandun zur Nachrichtenagentur SDA. Und auch Kreativchef Lück sagte bereits am Mittwochabend zu persoenlich.com: «Natürlich wussten wir, dass die Idee polarisieren wird.» Die negative Welle würde sich jedoch bereits legen, positive Kommentare häuften sich, ergänzte Cyrill Hauser, PR-Chef bei Jung von Matt/Limmat, am Donnerstag gegenüber der SDA.

Zur Frage nach der Verhältnismässigkeit eines Gesetzerlasses im Dienste einer Werbekampagne sagte Tourismusdirektor Barandun: «Die Gesetzesänderung war notwendig, damit die Kampagne die richtige Wirkung entfaltet». Wie viele der dadurch auf Bergün aufmerksam gewordenen Menschen nun tatsächlich den Weg ins Albulatal finden, werde sich allerdings erst zeigen. (sda/cbe)


Newsletter wird abonniert...

Newsletter abonnieren

Wollen Sie Artikel wie diesen in Ihrer Mailbox? Erhalten Sie frühmorgens die relevantesten Branchennews in kompakter Form.

Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

yves reynaert Bruxelles
04.06.2017 13:51 Uhr
Charme et intelligence ? Dixit Dennis Lück.... plutôt ridicule !¨
Dieter Widmer
02.06.2017 08:11 Uhr
Ich weiss nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Jung von Matt/Limmat ist offenbar so kreativ, dass sie die Grenze zur Verblödung und Irreführung der Bevölkerung nicht erkennen. Mich erstaunt die Gemeinde, dass sie diesen blöden Gag mitgemacht hat. Wie immer wird es so sein, dass die "Entwarnung" viele nicht mitbekommen und jetzt Bergün als kuriose, auf einen Gag einer PR-Agentur hineingefallene Gemeinde betrachten.
Jean Luc Jenny
01.06.2017 19:51 Uhr
Es ist wahnsinnig lustig, dem ganzen zuzuschauen. Hat was von Monty Python. Das Ding ging voll in die Binsen, dennoch steht man hin und redet von Erfolg. Eine Idee: Bewerbung der zweiten Wahlzeit von The Donald? Bitte weiter so. Comedy vom Feinsten.
Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Die Branchennews täglich erhalten!

Jetzt Newsletter abonnieren.