10.02.2022

Medienförderung

«Das Paket ist unglücklich geschnürt»

Der deutsche Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl analysiert die Chancen und Tücken des Medienpakets und zieht Vergleiche zu Deutschland, das keine staatliche Presseförderung kennt. Er kritisiert die Gratis-Mentalität und erklärt, warum es mehr Medienjournalisten braucht.
Medienförderung: «Das Paket ist unglücklich geschnürt»
«Gute journalistische Inhalte dürfen mehr kosten als ein Cappuccino», sagt der emeritierte Professor für Journalistik und Medienmanagement an der Universität Lugano. (Bild: Muphovi)

Herr Russ-Mohl, Sie haben 2020 den deutschen Medien vorgeworfen, ein «Corona-Panikorchester» veranstaltet zu haben. Das habe alle anderen Themen in den Hintergrund gedrängt. Hat sich das im Laufe der Zeit geändert?
Die Berichterstattung ist differenzierter geworden, auch, weil wir insgesamt sehr viel mehr über Corona und die Pandemie wissen, aber was für mich immer noch ein Problem ist: Es wurde masslos zu viel über Corona berichtet. Dieses Übermass hat im Publikum Panik und in der Politik starken Druck zum Handeln erzeugt, der sich auch in vielen unverhältnismässigen Vorschriften niedergeschlagen hat.

Worauf führen Sie das zurück?
Das hat vordergründig mit dem Publikumsinteresse zu tun. Die Berichterstattung richtet sich leider auch nach Klickzahlen, die in Echtzeit messbar sind. Da gerät man aber sehr schnell in einen Teufelskreis hinein, wenn man diese Nachfrage nicht hinterfragt und es zulässt, dass nur noch ein Thema – eben Corona – «gespielt» wird.

Wie waren die Reaktionen auf Ihren Artikel?
Ausgesprochen gespalten. Die Journalisten waren mir gegenüber sehr kritisch und aus dem Publikum, und da waren keine Verschwörungstheoretiker und Querdenker dabei, waren die Reaktionen vorwiegend positiv. So viel Zuspruch wie bei diesem Thema habe ich in meinem ganzen publizistischen Leben nicht bekommen. Das sollte schon nachdenklich stimmen.

Fehlt es Medien an Selbstreflexion?
Viele Medien müssten sich schon fragen, ob sie in Bezug auf die Coronapandemie nicht auch etwas falsch gemacht haben. Viele Journalisten sind erstaunlicherweise sehr selbstsicher angesichts der Ungewissheiten, mit denen sie täglich umgehen müssen, und der fehlenden Wissenschaftsjournalisten in den Redaktionen. Es mangelt oft an Selbstkritik und Demut. Auf der anderen Seite klären Medien viel zu wenig über die eigene Arbeit auf. Und auf diese Weise entstehen Missverständnisse über Lügenpresse und Manipulation. Davon gibt es natürlich viel, aber ich würde wenigen Journalisten unterstellen, dass sie absichtlich desinformieren.

«Die ‹Alles-Gratis-Mentalität› unter Mediennutzern ist sehr schwer rückgängig zu machen»

Mangelt es deswegen an Vertrauen in journalistischen Medien?
Es ist nachgewiesen, dass das Vertrauen – mit Zwischenhochs – in den letzten Jahren gesunken ist. Das hat aber sicherlich nicht allein mit den Journalisten selbst zu tun, sondern eher mit den vielen Kanälen. Soziale Medien werden oft gezielt für Desinformation genutzt. Damit wird auch der Journalismus in Bedrängnis gebracht. Und der ist ohnehin in Bedrängnis, weil Werbeerlöse als Finanzquelle zum Grossteil weggebrochen und zu den Internetgiganten abgewandert sind. Die Redaktionen gehen so weitgehend leer aus. Da sind wir auch an dem Punkt, weshalb die Medienförderung grundsätzlich ein richtiger Gedanke ist. Die Frage ist nur, wie man sie ausgestaltet.

Sie sprechen es an: Die Medienförderung, über die kommenden Sonntag in der Schweiz abgestimmt wird. Ist das Medienpaket die Antwort auf die finanziellen Leiden des Journalismus?
Das Paket ist unglücklich geschnürt. Es enthält zukunftsgewandte Komponenten, wo man guten Gewissens Ja sagen kann. Gleichzeitig hat es rückwärtsgerichtete Bestandteile, etwa der Zeitungsvertrieb. Es ist fraglich, warum der gefördert werden soll in einer Zeit, zu der klar erkennbar ist, dass gedruckte Zeitungen eher ein Auslaufmodell sind.

Was müsste stattdessen finanziell gefördert werden?
Sicherlich die journalistische Leistung. Wenn Journalisten sauber recherchieren und arbeiten, kostet das Zeit und Geld. Dafür sollten sie anständig entlohnt werden. Das ist ein grosses Problem in vielen Ländern. Vor allem Einsteiger arbeiten oft zu sehr schlechten Konditionen und wandern von Praktikum zu Praktikum. In der Schweiz ist es immer noch etwas anständiger als ringsherum. In Deutschland kann man in der Hinsicht in gewissem Masse von Ausbeutung sprechen. Das wird so gut wie nicht öffentlich diskutiert, findet aber tagtäglich statt.

«Die Ausbeutung von Journalisten wird so gut wie nicht diskutiert, findet aber täglich statt»

Das Medienpaket dürfte es laut Umfragen vor dem Volk schwer haben. Welche Möglichkeiten gäbe es sonst, dem Journalismus finanziell unter die Arme zu greifen?
Der beste Weg wäre, dass die Bürgerinnen und Bürger direkt dafür bezahlen, was sie haben wollen. Wir sollten Journalisten anständig entlohnen, indem wir Zeitungen und Onlineangebote abonnieren. Mediennutzer müssen davon überzeugt werden, dass es sinnvoll ist, für guten Journalismus Geld auszugeben. Und, dass es auch ein bisschen mehr kosten darf als der Cappuccino in der Bar nebenan. Das ist aber offensichtlich schwierig.

Warum ist das schwierig?
Der Fehler war, dass zu Beginn der Internetzeit alles umsonst ins Netz gestellt wurde. Dadurch ist eine «Alles-Gratis-Mentalität» beim Publikum entstanden, die nur sehr schwer rückgängig zu machen ist. Die Verlage haben das damals gemacht, weil sie geglaubt haben, dass sie in Zukunft Druck- und Vertriebskosten sparen und weiterhin von Werbeerlösen gut leben könnten. Letzteres war ein Irrtum.

Was könnte getan werden, damit sich diese Erkenntnis in der Gesellschaft durchsetzt?
Von heute auf morgen wird es nicht passieren. Wir sind in einer langwierigen Phase des Umdenkens. Die Schulen könnten da eine Menge tun, aber auch die Medien selbst, die kaum Medienressorts haben. Das, was Sie als Medienjournalistin machen, müsste eigentlich jede Redaktion machen: andere Medien beobachten.

«Medien müssen sich gegenseitig beobachten»

Warum halten Sie das für notwendig?
Medien haben viel Macht und müssen deshalb genauso wie etwa Politiker kontrolliert werden. In der Regel nehmen etablierte Medien Rücksicht aufeinander. Dass sie sich gegenseitig zu wenig beobachten, führt dazu, dass sich die Debatte in die sozialen Medien verlagert, wo sie vom seriösen Journalismus nicht mehr kontrollierbar ist. Dort verbreiten sich die Verschwörungstheorien und viel Unfug, der dem Journalismus schadet.

Die Gegner des Medienpakets argumentieren, dass staatliche Gelder die Unabhängigkeit der Redaktionen bedrohen. Schliessen sich Medienfreiheit und Medienförderung durch den Staat aus?
Diese Gefahr besteht fraglos, wenn man sich umschaut. In Österreich kann man klar sagen, dass die Politik mit ihren Zuwendungen sehr gezielt Medien bevorzugt hat, die den regierenden Politikern jeweils wohlgesonnen waren. Das ist in der Schweiz zum Glück etwas anders. Es kommt auf die Ausgestaltung der öffentlichen Förderung an. Davon hängt ab, ob der Staat Einfluss nehmen kann oder nicht. Im Falle des geplanten Medienpakets in der Schweiz sind schon Vorkehrungen sichtbar, die das verhindern würden. Man will nicht gezielt Inhalte fördern, sondern etwa Start-ups im Onlinebereich oder lokale Radio- und Fernsehsender, also nicht, was und wie sie zu berichten haben. Andererseits besteht so die Gefahr, dass auch schlechter Journalismus mit Steuergeldern finanziert wird. Deshalb ist Medienförderung kompliziert.

In Ihrer Heimat Deutschland gibt es keine staatliche Presseförderung. Die letzte deutsche Bundesregierung wollte das ändern, letztlich ist aber nichts daraus geworden. Sollte das Thema auch in Deutschland wieder auf die politische Agenda kommen?
Die Diskussion um staatliche Medienförderung hat auch Deutschland erreicht, aber, anders als in der Schweiz, ohne Volksabstimmung. Bei der momentanen Regierung stehen die Chancen schlecht, weil die Koalitionspartner in sehr unterschiedliche Richtungen denken. Klar ist: Wenn man den Journalismus mehr fördern möchte, müsste man bei der Umverteilung der Rundfunkgebühren ansetzen und dort Dinge, die überflüssig sind, zugunsten der Journalismusförderung auch bei privaten Wettbewerbern streichen. Gerade wenn man will, dass der öffentliche Rundfunk überlebt, wäre das dringend nötig. Warum das ganze Geld zu ARD und ZDF fliesst, anstatt auch Online-Start-ups zu fördern und darüber nachzudenken, wie man kleine Lokalsender wettbewerbsfähig machen kann, das erschliesst sich mir persönlich nicht.

Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Medien und Journalismus und haben beobachtet, wie sie sich über die Zeit entwickelt haben. Mit welcher Herausforderung ist der Journalismus heute konfrontiert?
Die grösste Herausforderung ist Lernfähigkeit in Bezug auf das, was man selbst tut und die Fähigkeit, das, was man tut, so zu kommunizieren, dass das Publikum versteht, worum es geht. Mein Kollege Bernhard Pörksen von der Universität Tübingen fordert eine redaktionelle Gesellschaft. Das geht mir ein Stück zu weit, weil ich nicht daran glaube, dass jeder von uns die Qualifikation erwerben kann, Journalisten zu ersetzen. Für mich sind Journalisten hochprofessionell arbeitende Menschen mit einem Wissen und mit Kenntnissen, die man sich nicht von heute auf morgen in der Schule aneignen kann. Aber wenn diese Profis lernen würden, die Öffentlichkeit teilhaben zu lassen an dem, was sie tun, wenn sie mehr aufklären und einen Blick hinter die Kulissen des Medienbetriebs gewähren würden, wäre der Journalismus glaubwürdiger, besser und nützlicher für die Demokratie, als er es im Moment ist.


Stephan Russ-Mohl ist emeritierter Professor für Journalistik und Medienmanagement an der Universität Lugano sowie Gründer des European Journalism Observatory. Er hat die Deutsche Journalistenschule in München und das Studium der Sozial- und Verwaltungswissenschaften in München, Konstanz und Princeton, USA, absolviert. Seine jüngste Buchpublikation «Zerreißproben. Leitmedien, Liberalismus und Liberalität» ist 2021 im Herbert von Halem Verlag erschienen.


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