18.02.2016

Min Li Marti

«Der Stellenwert der linken Presse wird unterschätzt»

Die Zürcher Politikerin Min Li Marti ist der «weibliche Köppel». Seit Dezember sitzt die Verlegerin und Chefredaktorin der linken Wochenzeitung P.S. im Nationalrat. Wo sind die Grenzen zwischen Politik und Journalismus? Und gibt es bei den Sozialdemokraten auch eine «Weissweinfraktion»?
Min Li Marti: «Der Stellenwert der linken Presse wird unterschätzt»
von Matthias Ackeret

Frau Marti, Sie sind neu Nationalrätin und auch Verlegerin der Wochenzeitung P.S.
 Was bereitet Ihnen mehr schlaflose Nächte?
Das Letztere: Als Politikerin habe ich langjährige Erfahrung auf allen Ebenen und in verschiedenen Rollen. Verlegerin war ich hingegen noch nie. Wir kämpfen beim P.S. im Kleineren mit den gleichen Problemen wie die grossen Medienhäuser: zu wenig Inserate, zu wenig Abonnenten, zu wenig Geld.

Wie haben Sie die erste Session im Parlament erlebt?
Anstrengend. Aber auch sehr spannend. Anstrengend, weil vieles halt neu ist und ich mich einarbeiten und meinen Platz und meine Rolle finden muss. Spannend aus den gleichen Gründen.

Was ist spannender, das Stadtzürcher Parlament oder der Nationalrat?
Es hat beides seine Reize. Für mich als Sozialdemokratin sind natürlich die Mehrheitsverhältnisse – und damit auch die Gestaltungsmöglichkeiten – in der Stadt Zürich grösser als im Bundeshaus. Als Fraktionspräsidentin war ich in alle wichtigen Geschäfte involviert. In Bern muss ich als Neue sozusagen wieder «unten» anfangen. Aber die wichtigen Weichen werden natürlich in Bern gestellt und nicht im Zürcher Gemeinderat. Darauf freue ich mich.

Ihr Berufskollege Roger Köppel ist wegen seiner Bundeshausberichterstattung in den Clinch mit seiner Partei geraten. Auslöser war eine Geschichte von Politinsider Hubert Mooser über den Alkoholkonsum im Bundeshaus. Können Sie die Reaktionen von Köppels Parteikollegen verstehen?
Das Problem bei dem Artikel über Alkohol­konsum in Bern ist, dass er hauptsächlich auf Gerüchten, Spekulationen und Anekdoten be­ruht. Harte Fakten gab es keine. Das ist einfach schlechtes journalistisches Handwerk, egal, ob Roger Köppel Nationalrat ist oder nicht. Bei der «Weissweinfraktion» wurde suggeriert, die Genannten hätten ein Alkoholproblem. Dass die das nicht lustig finden, verstehe ich.

Gab es bereits einen Konflikt mit Ihren Genossen wegen Ihrer Politberichterstattung?
Es gibt immer solche, die sich wegen eines Artikels betupft fühlen. Oder die einem Zensur unterstellen, wenn ein Leserbrief aus Platzgründen nicht abgedruckt wurde. Aber das kennen alle Medienschaffenden.

Inwieweit sind Sie auf Parteilinie?
Grundsätzlich fühle ich mich wohl in der Partei und bin auch in den meisten Themen mit ihr einverstanden, sonst wäre ich am falschen Ort. Aber wir sind ja keine Sekte, andere Meinungen sind immer möglich. Ich bin zum Beispiel gegenüber Werbeverboten skeptisch, ich würde im P.S. jedes Inserat ab­ drucken, das nicht justiziabel ist.


Wie ist das erste Jahr in der neuen Tätigkeit verlaufen?
Insgesamt gut, denke ich. Es gibt immer noch einige Baustellen, die ich anpacken muss. Die Arbeit geht mir nicht aus. Länger­fristig ist die Finanzierung der Zeitung nicht gesichert, wir brauchen mehr Abonnenten und mehr Inserate. Aber wie gesagt, da geht es uns wie allen. Allerdings finde ich, dass die linken Parteien und deren Mitglieder – das P.S. ist keine Parteizeitung, sondern un­abhängig, auch finanziell – den Stellenwert der linken Presse etwas unterschätzen. Sie sind wichtig für die Diskussion und die Me­dienvielfalt der Schweiz. Dazu müssen sie aber auch finanziell überleben.

Was sind die grössten Änderungen, die Sie im vergangenen Jahr in Ihrer Zeitung eingeführt haben?
Wir haben ein Redesign der Zeitung und der Website gemacht. Zudem gab es ein paar personelle Wechsel. Seit Neustem haben wir jetzt auch ein Redaktionspraktikum.

Wie ist Ihre Stellung gegenüber dem Werbe-Joint-Venture?

Hier muss ich ein wenig ausholen. Die Digi­talisierung ist eine enorme Herausforderung für die Medien. Zum einen, weil sich die Leute an Gratisinhalt gewöhnt haben und sich die Mediennutzung verändert. Zum an­deren haben sich die Werbemärkte verän­dert. Man kann digital zielgenauer und günstiger Werbung schalten. Die Profiteure sind dann aber nicht die Verlage, sondern inter­nationale Konzerne wie Facebook und Google, die selbst keinen Inhalt produzieren. Es ist aus dieser Sicht verständlich, dass man sich Gedanken macht, wie man dieser Situa­tion begegnen kann. Ebenso verständlich ist allerdings, dass die Konkurrenz dadurch be­unruhigt ist. Ich glaube aber, die Verleger bekämpfen mit der SRG den falschen Feind. Das liegt wohl auch daran, dass sich diese nicht immer geschickt verhält.



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