Herr Gujer, Ihr Leitartikel in der «Neuen Zürcher Zeitung» mit dem Titel «Die Schweiz braucht keine Staatsmedien» hat für sehr starke Reaktionen gesorgt (persoenlich.com berichtete). Haben Sie mit dieser Vehemenz gerechnet?
Das Thema SRG löst grosse Emotionen aus: Bei den direkt oder indirekt Betroffenen und Abhängigen – etwa in der Kulturszene –, oder auch bei treuen Nutzern, die ja häufig mit dem Programm zufrieden sind. Doch darum geht es nicht. Es geht um die grundsätzliche Frage, ob sich die Gewichte immer weiter in Richtung der staatlich alimentierten Medien verschieben sollen. Dabei spielt die Finanzierung eine Rolle, doch nicht nur. So gibt es in Bern Überlegungen zu einem Mediengesetz, das erstmals auch private Medienunternehmen reguliert. Das lehne ich ganz klar ab. Freie Medien benötigen die Freiheit von Staatseinfluss – und sei es nur in Form einer staatlich reglementierten Subvention von «Qualitätsangeboten». Denn wer legt am Schluss fest, was Qualität ist? Ein Bundesamt oder der Bundesrat?
Wie viele zustimmende, wie viel ablehnende Reaktionen haben Sie persönlich erhalten?
Das hält sich ziemlich genau die Waage.
Heisst das nun, dass die NZZ für die Ja-Parole für die «No-Billag»-Initiative vom 4. März herausgibt?
Im Leitartikel habe ich diese Frage bewusst offengelassen, weil ich beide Alternativen für wenig attraktiv halte: den Status quo wie die sehr weitgehende Initiative. Wir müssen raus aus der binären Logik des Schwarzweiss-Denkens. Diese ist fatal. Deshalb plädiere ich dafür, dass sich die Verständigungsbereiten auf beiden Seiten zusammenfinden und nach einem Kompromiss suchen. Aus meiner Sicht denkbare Eckpunkte habe ich in dem Leitartikel genannt, etwa eine Selbstbeschränkung der SRG bei neuen Werbeformen, eine Konzentration auf audiovisuelle Inhalte im Internet und der Verzicht auf ein Mediengesetz, das zum Bürokratiemonster mit grossem Schadenspotenzial für die privaten Medien wird.
Der Begriff «Staatsmedien» stösst bei vielen Kritikern schwer auf. Die SRG als privater Verein ist doch kein Staatsmedium.
Das ist ein politischer Begriff und kein vereinsrechtlicher. So wie die ganze Debatte eine politische ist und letztlich auch keine medienökonomische Frage. Die Grundfrage lautet: Wie viel Staat wollen wir in den Medien? Mit dem Systemwechsel von der leistungsabhängigen Gebühr hin zu einer leistungsunabhängigen Abgabe, die in ihrem Zwangscharakter einer Steuer nahekommt, wurde eine Scheidelinie überschritten.
Die NZZ hat erst kürzlich eine Beteiligung bei Admeira bekanntgegeben und bezieht selber für ihre Privatsender Gebührengelder. Steht dies nicht im Widerspruch zu Ihrer Meinung?
Die NZZ-Mediengruppe tritt nicht Admeira bei. Vielmehr beteiligt sich Admeira an Audienzz. An der medienpolitischen Einstellung der NZZ-Mediengruppe ändert sich dadurch nichts. Die NZZ-Mediengruppe plädiert weiterhin für einen zurückhaltenden Service public und hält an ihrer Position fest, die sie bei der Verbandsarbeit oder gegenüber politischen Entscheidungsträgern immer vertreten hat. Als NZZ sind wir wie jeder andere Medientitel der NZZ-Mediengruppe völlig frei in unserer Beurteilung der No-Billag-Initiative – oder irgendeines anderen publizistischen Themas. Die Einschätzung der NZZ-Redaktion muss sich nicht mit derjenigen der Gruppe decken.
Grundsätzlich gefragt: Warum bekommt eine solch radikale Vorlage wie die No-Billag-Initiative plötzlich so viel Rückenwind?
Die Gegner der Initiative haben Politikverweigerung betrieben, in dem sie keinen plausiblen Gegenvorschlag vorlegten. Sie führten damit selbst die Situation herbei, die sie jetzt so laut beklagen: dass es um alles oder nichts geht – oder wenigstens so scheint. Medienministerin Doris Leuthard sagt ausdrücklich, dass sie keinen Plan B habe. Das Schreckgespenst einer SRG-Abschaffung ist bewusster Teil des politischen Kalküls. Das durchschauen viele Stimmbürger und sind verstimmt. Ich finde, ein Plan B gehört zu jeder vorausschauenden und verantwortungsvollen Politik.
Was sind die grössten Fehler, die die Gegner und die SRG in Vergangenheit gemacht haben?
Viele Beteiligte in SRG und Politik haben eine sehr selbstgewisse Haltung an den Tag gelegt und jegliche Kritik a priori als Majestätsbeleidigung abgetan. Mehr Diskussions- und Kompromissbereitschaft bei Bundesrätin Leuthard und der SRG hätten der Debatte mit Sicherheit einen anderen Verlauf gegeben. Aber für eine Umkehr ist es nie zu spät.
Werden Sie sich weiter in dieser Frage engagieren?
Ich tue das, was ich immer tue, und was ich für die Aufgabe eines Chefredaktors halte: Ich schreibe Leitartikel.
Wie kommt es am 4. März heraus?
Eine Prognose überlasse ich den dazu Berufenen – den Hellsehern und den Demoskopen.
Wie werden Sie stimmen?
Wie gesagt, beide zur Auswahl stehende Möglichkeiten sind unattraktiv. Die Wahl wird mir also schwerfallen.
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