17.08.2017

Tamedia

Mit 100 Risottos gegen den Einheitsbrei

Die Redaktionen von «Berner Zeitung» und «Der Bund» machen gemeinsame Sache: Mit einem Mittagessen unter freiem Himmel haben über 100 Mitarbeitende ein Zeichen gegen mögliche Sparmassnahmen und den drohenden Stellenabbau gesetzt. Viele Kameras waren auf die Teilnehmer gerichtet. Ein Augenschein vor Ort in Bern.
Tamedia: Mit 100 Risottos gegen den Einheitsbrei
Redaktionsmitglieder der Berner Tageszeitungen «Der Bund» und der «Berner Zeitung» nehmen an einer Aktion gegen den geplanten möglichen «Einheitsbrei» teil. (Bilder: Christian Beck)
von Christian Beck

«Ich hoffe schon, dass so 30 bis 50 Leute kommen werden», sagte Markus Dütschler, Präsident der Personalkommission «Der Bund», noch am Vorabend zu persoenlich.com. Er sollte nicht enttäuscht werden. Über 100 Mitarbeiter von «Berner Zeitung» und «Der Bund» versammelten sich am Donnerstagmittag vor dem Redaktionsgebäude am Berner Dammweg. Die beiden Personalkommissionen (Pekos) hatten zum gemeinsamen Risotto-Essen eingeladen, um gegen die drohenden Sparmassnahmen ein Zeichen zu setzen.

Im Mai hatte Tamedia in einem internen Mail an die Mitarbeiter angekündigt, dass im Rahmen des «Projekts 2020» auch «radikale Szenarien» geprüft würden (persoenlich.com berichtete). Daraufhin begann die Gerüchteküche zu brodeln. Manche befürchten, dass durch nationale Kompetenzzentren ein «publizistischer Einheitsbrei» entstehe, wie es in den Einladungen zum Risotto-Essen heisst.

«Ein historisches Ereignis»

«Es ist in meiner Erinnerung ein historisches Ereignis, dass die Lokalkonkurrenten ‹Bund› und BZ gemeinsam am gleichen Strick ziehen», sagte Jürg Steiner, Peko-Präsident der BZ, in seiner Ansprache (persoenlich.com berichtete). Zwar befinden sich beide Redaktionen im gleichen Haus, arbeiten aber total autonom – «Berner Zeitung» und «Der Bund» unterscheiden sich grundlegend. Sollte Tamedia nun die Kompetenzzentren umsetzen, hätten viele Zeitungen in der Schweiz mit Ausnahme eines Lokalteils den praktisch identischen Inhalt. «Ich würde es schade finden, wenn zwar beide Zeitungen überleben, aber in beiden dann das Gleiche drinsteht», so Steiner gegenüber persoenlich.com.

Die Pekos sowie die Gewerkschaften Impressum und Syndicom wollten mit dem Risotto-Essen ein Zeichen setzen, dass alle gemeinsam für den Medienplatz Bern einstehen. «Damit uns niemand ein Warnstreik vorwerfen kann, haben wir dieses Zeichen bewusst in der Mittagspause gesetzt», sagt Syndicom-Sprecherin Nina Scheu zu persoenlich.com. «Beide Redaktionen mussten bisher schon viel Blut lassen. Wenn nun ein weiterer Abbau kommt und Zürich die Texte liefert, dann ist es vorbei mit der Berner Vielfalt», so Scheu weiter. Die jetzige Situation mit zwei Konkurrenten unter einem Dach sei eine sehr befruchtende Situation. «Beide wollen besser sein als der andere», sagt die Gewerkschaftssprecherin.

«Journalisten müssen kritisch sein»

Welches Szenario von Tamedia weiterverfolgt werden könnte, darüber wissen auch die Gewerkschaften nicht Bescheid. Am Risotto-Essen wurde gemunkelt, der Entscheid falle nach dem 20. August, also kommende Woche. «Wir werden dann informieren, wenn entschieden ist. Heute ist noch nichts entschieden», so Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer zu persoenlich.com. Ob die Kommunikation an der Präsentation der Halbjahreszahlen am 29. August geschieht, wie vielfach vermutet wird, wollte er indes nicht bestätigen.

Für das gesetzte Zeichen des Berner Personals zeigt Zimmer viel Verständnis. «Journalisten müssen kritisch sein, auch gegen das eigene Unternehmen. Damit müssen und können wir umgehen», sagte er. Es zeige das Engagement, welches die Mitarbeiter für ihre Redaktion hätten. «Es ist tatsächlich so: Die Entscheidungen, die wir zu treffen haben, sind nicht einfach.» Die Entscheidungen müssten in einem Dilemma zwischen Vielfalt auf der einen und Qualität auf der anderen Seite gefällt werden. 

Fakt sei aber: «Wir wollen unser Kerngeschäft – nämlich Zeitungen und Zeitschriften – nicht nur heute und morgen betreiben, sondern auch noch in drei bis fünf Jahren», so Zimmer weiter. Und deshalb stelle sich das Projektteam der Frage, wie man mit weniger Einnahmen weiterhin gute Zeitungen produzieren und in Digitaljournalismus wie Video, Big Data oder Zusatzangebote investieren könne.

Szenen für Dokumentarfilm

Das Risotto-Essen wurde nicht nur von lokalen und nationalen Medien – Zeitungen, Agenturen, Fotografen, Radios und TV-Stationen – begleitet. Auch Dok-Filmer Dieter Fahrer tauchte mit einer Kameraequipe auf. Er arbeitet am Dokumentarfilm «Die vierte Gewalt», ein Film über die Schweizer Medienbranche. Fahrer drehte in den letzten Monaten bei «Bund», «Watson» und «Echo der Zeit» (persoenlich.com berichtete). Der Film befinde sich eigentlich schon im Schnitt, sagte der Filmemacher in Bern. Aber: «Dass die beiden Berner Zeitungen so zusammenspannen, hat es in dieser Form wohl noch nie gegeben», so Fahrer. Deshalb wollte er auch vom Risotto-Essen einige Szenen im Kasten haben.

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240 Stunden Rohmaterial seien bislang zusammengekommen. Wie viele Szenen es vom gemeinsamen Risotto-Essen in den endgültigen Film schaffen, kann Fahrer noch nicht abschätzen. Anfang 2018 soll die Doku in die Kinos kommen.

Derweil ging auf den Parkplätzen vor dem Redaktionsgebäude in Bern die Mittagspause vorüber und die Teilnehmer kehrten zurück an die Arbeit. Vielleicht haben die Berner Journalisten nun einen kleinen Vorgeschmack auf den drohenden Einheitsbrei erhalten. Risotto ist ja unter dem Strich auch nichts anderes. «Das stimmt natürlich, aber auf jeden Fall ein besserer Einheitsbrei, als uns nun bevorsteht», so Syndicom-Sprecherin Nina Scheu mit einem Lachen. persoenlich.com kann es nicht beurteilen – nach 100 Portionen war der Risotto-Behälter leer.

 



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