20.06.2020

Serie zum Coronavirus

«Wenn Christian Constantin verschwindet, weine ich nicht»

Blick-Sportchef Felix Bingesser spricht über eine Zeit, in der kein Sport stattfindet. Ausserdem sagt er in Folge 69 unserer Serie, was er vorhat, nachdem Steffi Buchli von ihm die Leitung übernommen hat.
Serie zum Coronavirus: «Wenn Christian Constantin verschwindet, weine ich nicht»
«Irgendwie werden wohl alle wieder Mittel und Wege finden, um die Krise zu meistern», sagt Blick-Sportchef Felix Bingesser. (Bild: zVg.)

Herr Bingesser, was macht ein Sportchef eigentlich in einer Zeit, in denen die EM, Wimbledon, die Olympischen Spiele und die Tour de Suisse ausfallen?
Im Homeoffice nachdenken, schreiben, Telefonkonferenzen führen, im Studio von Blick TV als Experte auftreten, Spesenformulare unterschreiben. Dazu auch ein wenig Ferien abbauen und mit dem Hund spazieren gehen. Es ist, so zynisch es klingen mag, eine gute Zeit. Und die Sportredaktion der Blick-Gruppe hat einmal mehr bewiesen, dass sie über eine ganze Menge kreativer und inspirierter Köpfe verfügt. Alle andere Medien haben die Sportberichterstattung massiv herunter gefahren. Der Blick nicht. Ja, die Veranstaltungen sind ausgefallen, die Chronistenpflicht ist weggebrochen. Aber gerade bei sportlichen Grossanlässen fischen sowieso alle Journalisten im gleichen Teich. Darum ist diese Zeit eine grosse Chance, um eigene Schwerpunkte zu setzen. Die Pflicht fällt weg, die Kür gewinnt an Bedeutung. Das ist herausfordernd, aber spannend. Es gibt Leser, die fanden die Sportberichterstattung des Blick in diesen Wochen besser als in Zeiten mit vielen Grossveranstaltungen.

«Fussball ohne Fans ist wie das Oktoberfest ohne Bier»

Die Schweizer Fussballmeisterschaft wird jetzt mit Geisterspielen weitergeführt. Können Sie damit leben?
Ich muss damit leben, wie alle anderen auch. Natürlich: Fussball ohne Fans ist wie das Oktoberfest ohne Bier. Aber es ist immer noch besser als nichts. Und die wirtschaftlichen Zwänge und die TV-Verträge verlangen nach Spielen, ob das jetzt alle gut finden oder nicht. Auch sportlich ist es die fairste Lösung.

Gehen Sie selber vor Ort ein Spiel anschauen oder ist dies gar nicht möglich?
Ich werde sicher auch selber bei einem Geisterspiel vor Ort sein.

Bayern wurde deutscher Meister. Hat ein solcher Titel in diesem sonderbaren Jahr überhaupt eine Bedeutung?
Natürlich! Bayern ist die beste Mannschaft der letzten zwölf Monate und hat in diesem Jahr grossartigen Fussball gespielt. Titel ist Titel, auch wenn man den achten Triumph in Serie wohl schon etwas abgebrüht zur Kenntnis nimmt. Und wenn für einmal die peinliche und inszenierte Bierdusche fehlt, dann ist das gut so. Sportlich hat dieser Titel jedenfalls keinerlei Makel.

Sie stehen ja im engen Kontakt mit unseren Spitzensportlern. Wie gehen diese mit dieser Situation um?
Wie es Sportler in allen Situationen tun: Souverän, sportlich, weitgehend entspannt. Wer Sportler ist, weiss aus Erfahrung, dass Krisen dazugehören. Und kann vielleicht etwas besser damit umgehen.

Gibt es solche, die aufgrund von finanziellen Engpässen ihre Karriere abbrechen müssen?
Gerade in Randsportarten ist das ein existierendes Problem. Der Sport wird vom Staat nicht so gefördert wie das in vielen anderen Ländern der Fall ist. Gerade darum kommt Institutionen wie der Schweizer Sporthilfe eine grosse Bedeutung zu. Bei der Sporthilfe Gönner zu werden, wäre gerade in diesen Zeiten für Menschen mit einem Sportlerherz eine wichtige Tat. Es wäre grotesk, wenn so ein reiches Land wie die Schweiz in dieser Krise sportlich an internationaler Wettbewerbsfähigkeit verlieren würde.

«Man wird überall kleinere Brötchen backen müssen»

Und wie sieht es bei den Fussballclubs aus, überleben alle?
Irgendwie werden wohl alle wieder Mittel und Wege finden, um die Krise zu meistern. Allerdings lösen die vom Bund in Aussicht gestellten Kredite das Problem nicht. Sie verschieben nur das Kopfweh von heute auf morgen. Man wird überall kleinere Brötchen backen müssen. Und wenn beispielsweise der FC Sion in dieser Form und mit Christian Constantin an der Spitze verschwindet, dann gibts bei mir keine Tränen. Das wäre auch für das fussballbegeisterte Wallis eine Chance für einen Neustart.

Wie sieht Ihr Sportprogramm in dieser Zeit aus?
Spazieren, Velo fahren, mal auf eine Klettertour mit Bernhard Russi. Und endlich wieder Jassen.

Wer wird Schweizer Fussballmeister?
Das Herz sagt St. Gallen, der Verstand YB.

Wohin gehen Sie in die Ferien?
Nach Velden am Wörthersee. Seit 30 Jahren. Vielleicht hat das etwas mit meinem Beruf zu tun …

Sie treten nächstes Jahr als Blick-Sportchef zurück (persoenlich.com berichtete). Was machen Sie in Zukunft?
Schreiben für den Blick. Zurück zu den Wurzeln. Ich mache vermehrt wieder das, was ich lieber mache als Dienstpläne zu besprechen, Budgets zu erstellen und Sitzungen zu leiten. Ich möchte in den letzten Berufsjahren wieder mehr Journalist sein. Und weniger Manager.

Und was war das prägendste Erlebnis der letzten Wochen?
Die für mich irritierende Staatsgläubigkeit vieler Menschen. Kaum weht mal eine steife Bise, dann zittern allen die Knie und alle schreien nach dem Staat. Hätte Herr Koch gesagt: «Wer jeden Morgen hundert Purzelbäume schlägt und zweihundert Liegestützen macht, der ist immun gegen Corona», dann wären in allen Wohnungen und Häusern im Land Purzelbäume geschlagen worden.



Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com jeden Tag eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.


Newsletter wird abonniert...

Newsletter abonnieren

Wollen Sie Artikel wie diesen in Ihrer Mailbox? Erhalten Sie frühmorgens die relevantesten Branchennews in kompakter Form.

Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Die Branchennews täglich erhalten!

Jetzt Newsletter abonnieren.