15.11.2020

SRF

«Wir nehmen den Dialog wieder auf»

Eine Brücke zwischen Alt und Jung bauen – das ist das Ziel des neuen SRF-Podcasts «Generationen Talk», der am Montag startet. Host Heidi Ungerer und Projektleiterin Susanne Witzig über Social-Media-Bubbles, Solidarität und Scheren im Kopf.
SRF: «Wir nehmen den Dialog wieder auf»
Freuen sich auf die erste Folge des neuen Podcasts «Generationen Talk» (v.l.): Podcast-Host Heidi Ungerer und Susanne Witzig, Leiterin Hintergrund und Podcast bei SRF. (Bilder: SRF)
von Christian Beck

Frau Witzig, Frau Ungerer, welche grosse Frage des Lebens beschäftigt Sie aktuell?
Heidi Ungerer: Aufgrund der aktuellen Situation: Wie man im Auge des Orkans Ruhe und Gelassenheit bewahrt, und das ist ja eine Frage, die einen das ganze Leben lang immer wieder beschäftigt.

Susanne Witzig: Toleranz. In Zeiten von Social-Media-Bubbles ein stark strapazierter Begriff. Was ist echte Toleranz? Ist Toleranz in der eigenen Bubble echte Toleranz? Und kann Toleranz überhaupt enden?

Der Podcast «Generationen Talk», der am Montag startet, will eine Brücke zwischen Alt und Jung bauen. Frau Ungerer, warum sind Sie die perfekte Brückenbauerin?
Ungerer: Weil ich schwindelfrei über Brücken gehen kann (lacht). Nein, im Ernst: Ich gehe gerne direkt auf Menschen zu, und in meinem Umfeld – privat und beruflich – habe ich ständig mit Menschen unterschiedlichen Alters zu tun. Privat habe ich eine 17-jährige Tochter, und meine Eltern sind über 80 – perfekte Voraussetzungen für den «Generationen Talk».

Sie laden alle zwei Wochen Vertreter zweier Generationen zum Gespräch ein. Was gibt es da alles zu besprechen?
Ungerer: Das kommt ganz auf das Thema und die Gästekombi an. Schon das Vorgespräch ist beim Podcast wichtig, da geschehen oft unerwartete Dinge oder es werden überraschende Aussagen gemacht, die ich dann gerne aufgreife. In der ersten Folge gehe ich der Frage nach, ob die rasante digitale Entwicklung zwischen Jung und Alt einen Graben schlägt. Ich werde mich aber auch über die grosse Liebe und Beziehungen, den Klimastreit und die AHV unterhalten. Es geht um Fragen, welche Jung und Alt direkt betreffen und wo die Solidarität eine wichtige Rolle spielt.


Welcher Generation fühlen Sie sich selbst zugehörig?
Ungerer: Ich bin irgendwo in der Mitte und pendle in der Diskussion ständig hin und her. So sind oft nicht nur zwei, sondern drei Generationen am Diskutieren.

Witzig: In unserem Haus wurde der Begriff «Scharnier-Generation» geprägt – ich glaube, damit kann ich leben. Mal arbeite ich für und mit Jüngeren im Haus, mal für und mit Älteren – und ich fühle mich mit beiden sehr verbunden.

An wen soll sich der «Generationen Talk» richten? Nur an die Jungen und Älteren – oder auch an jene «unter» der Brücke, die Sie bauen?
Ungerer: Primär richtet sich der «Generationen Talk» an Ü60 und U35 – also an die Jungen, Älteren und Alten. In diesen Generationen gibt es sehr unterschiedliche Perspektiven und Wahrnehmungen, aber es gibt auch Gemeinsamkeiten und eben Brücken, die aber teils erst gebaut werden müssen. Natürlich habe ich nichts dagegen, wenn sich den Podcast auch Leute «unter» der Brücke anhören.

«Ich pendle zwischen den Welten hin und her»

Sind Sie als Gesprächsleiterin Partei für die eine oder andere Seite – oder sehen Sie sich als «Vermittlerin»?
Ungerer: Beides. Im Gegensatz zu linearen Interviews, wo ich als Gesprächsleiterin immer eine möglichst neutrale Rolle eingenommen habe, pendle ich im Podcast zwischen den Welten hin und her.

Was war der Auslöser für dieses neue Format?
Witzig: Auslöser war unter anderem die erste Corona-Welle im Frühling, aber auch viele andere Themen wie Klimawandel, Diversity, Altersvorsorge, Familienkonstellationen et cetera, die in Social-Media-Bubbles häufig einseitig und gehässig geführt werden und den Graben zwischen Jung und Alt und anderen Gruppen immer mehr aufreissen. «Generationen Talk» will diesen Graben überwinden, indem keine Konfrontation angeheizt wird, sondern indem wir einen bewussten Konsens und Perspektivenwechsel im jeweiligen Thema suchen und den Dialog wieder aufnehmen.

Auch ich beobachte, dass vor allem auf Social Media der Ton gehässiger geworden ist. An was könnte das liegen?
Witzig: Ein Teil ist sicher, dass man sich in Meinungs-Bubbles bestätigt fühlt und glaubt, dass die ganze Welt deshalb gleich denkt. Wer anders denkt, wird aus der Bubble gedrängt oder gar übel beschimpft. Statements von drei bis fünf Sätzen zu komplexen Themen sind verführerisch einfach, aber sie nehmen uns die Auseinandersetzung mit der anderen Position und damit letztlich auch die Möglichkeit, der anderen Seite zuzuhören und uns anzunähern.

«Das Radio war und ist immer noch meine grosse Passion»

Frau Ungerer, Sie sind seit neun Jahren Programmleiterin von Radio SRF 1. Zuvor waren Sie lange am Mikrofon beim «Rendez-vous», «Tagesgespräch» und «Persönlich». Vermissten Sie die rote Studiolampe?
Ungerer: Ja, irgendwie schon, das Radio war und ist immer noch meine grosse Passion. Ich konnte mir auch immer vorstellen, wieder Programm zu machen, aber nur mit einem neuen Format, wozu ich jetzt die Gelegenheit habe. Die Form des Podcasts ist für mich eine völlig neue Form, an der ich mir in den kommenden Monaten immer wieder die Zähne ausbeissen werde, aber ich liebe Herausforderungen. Zudem kriege ich durch die Produktion wieder verstärkt mit, mit welchen Herausforderungen meine Leute täglich konfrontiert sind, was für mich sehr wichtig ist.

Auch Sie, Frau Witzig, waren früher selbst am Mikrofon und sind nun vorwiegend im Hintergrund tätig. Fehlt Ihnen das «Radiöle» nicht?
Witzig: Oh doch, natürlich. Radiomachen ist eine Herzensangelegenheit, und darum hat man immer eine Sehnsucht zurück nach diesem «Live-Kick» am Mikrofon oder dem hektisch-schönen Tagesprogramm eines Senders. Das Entdecken und Entwickeln in der wachsenden Podcastwelt hat mich aber vom ersten Moment an gepackt, weil es neue Freiheiten und Möglichkeiten zu entdecken gibt. Auch da ist viel Audioherz drin.

Als Leiterin Hintergrund und Podcast entwickeln Sie laufend neue Formate. Schon am 26. November soll eine neue Staffel von «Leben am Limit» starten. Können Sie die Katze schon aus dem Sack lassen?
Witzig: Es geht um Jugendkriminalität. Wir erzählen die Geschichte «Böser Till». Tills Leben gerät bereits als Teenager auf die schiefe Bahn. Till muss sich für 189 Delikte vor Gericht verantworten, und er verbringt vier Jahre im Jugendstrafvollzug. Patricia Banzer und Sabine Meyer erzählen nicht nur die Geschichte eines Jugendstraftäters, sondern beleuchten auch den kontrovers diskutierten Umgang mit Jugendstraftätern. Ein sehr aktuelles Thema in einer Zeit, in der die Jugendkriminalität wieder steigt und der Fall «Carlos» heftige Diskussionen auslöst. Das Autorenteam hat mit der Produzentin Céline Raval und dem Layout wieder eine spannende Zeitreise in ein spezielles Milieu geschaffen.

Wie bei der ersten Staffel «Edi» geht es wieder um Kriminelle. Was reizt Sie an dieser Thematik?
Witzig: Mich persönlich reizt, dass die Geschichten aus dem Leben gegriffen und wahr sind. Sie passieren in unserem Land, in unserer Nachbarschaft. Es geht um Menschen, die aus verschiedensten Gründen kriminell werden und unglaubliches Leid anrichten und auch selbst erleben. Diese Geschichten gehören zu unserer Gesellschaft, denn die Gesellschaft hat die Protagonisten geprägt und umgekehrt. Das fasziniert ja nicht nur mich, sondern sehr viele Podcasthörerinnen und -hörer weltweit. «True Crime» gehört seit «Serial» zu den Topthemen im Podcastangebot – auch in der Schweiz.

«Insgesamt hat dieses Jahr die Podcastentwicklung eher beschleunigt»

Mit der zweiten Welle in der aktuellen Coronakrise arbeiten auch die SRF-Mitarbeitenden vorwiegend wieder aus dem Homeoffice. Erschwert das die Entwicklung solcher Formate?
Witzig: In der ersten Welle wurden viele Podcast-Ideen geboren, die in kleinen Teams weiterentwickelt werden konnten. Das war also kein Hinderungsgrund, und die entsprechenden Formate erscheinen jetzt laufend. So hat SRF mit «News Plus» eine tägliche Einordnung zur Aktualität produziert, mit «Dini Mundart» einen Dialektpodcast geschaffen, und auch der Vollmondpodcast «Grauen» wurde veröffentlicht. Gerade erschien mit «Skip or Watch» ein Film- und Serienpodcast, im Januar folgt eine Musik-Staffel zu 30 Jahren Mundart-Rap, gefolgt von einem Podcast zum Frauenstimmrecht oder einem weiteren Blick in Archivgeschichten. Insgesamt hat dieses Jahr die Podcastentwicklung und -produktion eher beschleunigt.

Generationen Talk Webvisual MASTER

Zurück zu den Generationen: Was wünschen Sie sich von der Generation U35?
Witzig: Dass sie sich bewusst aus ihrer Meinungsblase herausbewegt und sich für die Haltung anderer Generationen interessiert.

Ungerer: Dass die Jungen nicht schon tausend Scheren im Kopf haben, wie die ältere Generation vermeintlich ist und agiert, und dass sie offen auf ältere Menschen zugehen und ihnen auch zuhören.

Und was von der Ü60-Generation?
Witzig: Dass auch sie sich aktiv aus ihrer angestammten Meinungsblase herausbewegt und den Austausch mit andere Generationen sucht.

Ungerer: Auch die Alten sollten keine Vorurteile im Kopf haben über junge Menschen und einfach offen auf sie zugehen und versuchen, die jugendliche Perspektive zu verstehen und durchaus auch davon zu profitieren.



Der «Generationen Talk», der neue SRF-Podcast mit Heidi Ungerer, startet am Montag und ist hier zu hören.



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Kommentare

  • Victor Brunner, 16.11.2020 07:46 Uhr
    "Eine Brücke zwischen Alt und Jung bauen", ein hoher Anspruch. Welche "Alten und Jungen" nehmen am Generationentalk teil? Von SRF immer Frau Unger und Witzig? Warum wurde das neue Sendegefäss nicht richtig beworben? Der Verdacht liegt nahe dass Generationentalk eher Beschäftigungsprogramm für 2 langjährige SRF Mitarbeiterinnen ist denn ernst gemeintes Diskussionsforum!
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