Simon Jacoby, Hand aufs Herz, wie häufig haben Sie in der Vergangenheit den gedruckten Züritipp in die Hand genommen?
Als Jugendlicher habe ich oft den gedruckten Züritipp gelesen – mir gefiel die popkulturelle Herangehensweise. In den letzten Jahren hatte ich das Heft selten in der Hand. Höchste Zeit für ein digitales Alternativangebot.
Mitte September gab Tamedia bekannt, den Züritipp als eigenständige Beilage per Ende Jahr einzustellen (persoenlich.com berichtete). Nun wollen Sie in die Bresche springen: Tsüritipp statt Züritipp. Was schwebt Ihnen vor?
Wir werden die grosse Lücke, die der Züritipp hinterlässt, nicht schliessen können. Aber wir geben unser Bestes und bauen unsere Kulturberichterstattung aus und einen wöchentlichen Kulturnewsletter auf. Darin wollen wir das kulturelle Geschehen in der Stadt journalistisch einordnen. Die Leser:innen finden darin Berichterstattungen, Besprechungen, Interviews, Tipps und auch Leseempfehlungen zu Inhalten von anderen Medien.
«Es gibt keine Verwechslungsgefahr»
Haben Sie keine Angst, dass Ihnen Tamedia wegen der Verwechslungsgefahr die Anwälte auf den Hals hetzt?
Es gibt keine Verwechslungsgefahr: Unser «Tsüri» ist als Marke bereits fest etabliert, nun geben wir unseren Leser:innen Tipps ab. Zudem will Tamedia ja Geld sparen, indem sie den Züritipp einstampft. Da wäre es ein recht komisches Zeichen, wenn sie dann denjenigen, die in die kulturjournalistische Bresche springen, mit teuren Anwält:innen kommt.
Sie möchten nun auf der Redaktion von Tsüri.ch eine Teilzeitstelle schaffen. Im Impressum des Tages-Anzeigers werden unter «Zürich Stadtleben / Züritipp» elf Personen aufgeführt. Suchen Sie eine Superwoman oder einen Superman?
Schön wär's. Nein, wir können das tolle Angebot des Züritipp nicht ersetzen und wir haben grössten Respekt vor der Arbeit, welche die Journalist:innen all die Jahre geleistet haben. Wir wollen schrittweise in die inhaltliche Lücke rein – und wenn es gut läuft, immer weiter ausbauen.
Ich wage zu behaupten: Eine Teilzeitstelle braucht es alleine dafür, um alle Termine sorgfältig zusammenzutragen. Da ist noch keine einzige zusätzliche Zeile geschrieben. Sie sehen das offenbar anders …
Das sehe ich genau gleich. Aber wir werden uns nicht auf die Agenda fokussieren, denn eine solche haben wir bereits. Zudem gibt es in diesem Bereich bereits andere Angebote. Wir werden journalistische Inhalte liefern. Das ist unsere Kompetenz und da gibt es auch die grösste Lücke.
Um den Tsüritipp-Newsletter und die zusätzliche Redaktionsstelle zu finanzieren, startet am Montag ein Crowdfunding. Sie wollen 40'000 Franken in einem Monat zusammenbringen. Wie lange wird dieses Budget reichen?
Damit werden wir ein Jahr lang eine 40-Prozent-Teilzeitstelle finanzieren können. Schiessen wir über das Ziel hinaus, können wir für jede zusätzliche 10'000 Franken zehn Stellenprozente rauf. Damit wären natürlich weitere Inhalte möglich.
«Der Züritipp hat seit Jahren an Bedeutung als Werbeträger verloren und als Printbeilage kein Potenzial zum Wachsen», sagte Simon Bärtschi, Leiter Publizistik bei Tamedia, in einem persoenlich.com-Interview. Wie wollen Sie den Kulturnewsletter langfristig finanzieren?
So wie wir auch den Rest unseres Unternehmens finanzieren: Community und Werbung. Möglicherweise kann man mit Kulturjournalismus keine Rendite für die Aktionär:innen erwirtschaften, aber kostendeckend betreiben sollte möglich sein. Zumindest wollen wir dies versuchen.
«Je mehr verschiedene journalistische Angebote es gibt, desto besser für unsere Stadt»
Auf die Frage, ob die Marke Züritipp wenigstens online weitergeführt werde, sagte Bärtschi, dass er Potenzial dafür sehe. Man arbeite derzeit daran, wie die digitale Integration genau erfolgen wird. Das könnte ein Kampf à la David gegen Goliath werden …
Wir wollen keinen Kampf, sondern Medienvielfalt. Je mehr verschiedene journalistische Angebote es gibt, gerade auch im Kulturbereich, desto besser für unsere Stadt.
Das Züritipp-Aus bereitet den Zürcher Kulturinstitutionen Sorge. Sie haben ein gemeinsames Statement verfasst. Stehen Sie mit den Initianten bereits in Kontakt?
Ja, wir stehen in Kontakt und haben wohlwollendes Feedback erhalten.
Auch die Zürcher Städte und Gemeinden prüfen, ob sie eine eigene Kulturplattform lancieren wollen. Wollen Sie einfach die Ersten sein?
Nochmals: Vielfalt ist uns wichtig, deshalb schaffen wir auch ein Angebot. Was wir machen, ist ja eine Reaktion auf den seit Jahren stattfindenden Abbau im Kulturjournalismus. Alle Initiativen, welche diese Situation verbessern, werden begrüsst. Hier gilt: Mehr ist mehr. Dieses Feedback erhalten wir auch auf unser Vorhaben. Ich bin gespannt, was noch alles entstehen wird. Klar ist auch, dass es dabei unterschiedliche Rollen gibt. Wir werden keine neue Agenda aufziehen, sondern unser Fokus liegt klar auf der journalistischen Auseinandersetzung mit kulturellen Themen. Nun starten wir mal und schauen, was passiert – auch in Bezug auf Zusammenarbeit.
Mal ehrlich: Ihnen geht es doch nur um Aufmerksamkeit.
Vor zehn Jahren sind wir angetreten, digitalen Lokaljournalismus für junge Menschen zu machen. Jetzt wollen wir unseren Teil zur Stärkung des Kulturjournalismus beitragen. Mich persönlich und unser ganzes Team beschäftigt und beunruhigt die Entwicklung der letzten Jahre: Leidet die journalistische Einordnung des kulturellen Geschehens in Zürich, so leidet auch die Kultur. Es geht uns um die Sache. Und wenn diese Aufmerksamkeit kriegt, umso besser.
Zurück zum Crowdfunding, das am Montag startet. Sie fahren mit einem sogenannten Kulturnewsletter-Van durch Zürich. Was genau haben Sie vor?
Wir haben einen künstlerisch gestalteten Van, der vor verschiedenen Kulturhäusern Halt machen wird. Mehr kann ich noch nicht verraten, aber es wird bestimmt aufregend. Die Bilder sehen Sie dann bei uns auf der Website und auf Social Media.
Angenommen, das Geld kommt zusammen und Sie können schon ab Dezember erscheinen – wie viel Zeit geben Sie sich, um den Break-even zu erreichen?
Ein Crowdfunding ist immer ein Angebot an die Zielgruppe: Wollt ihr, dass wir das machen? Wenn die Antwort ein klares Ja ist, haben wir den Newsletter für ein Jahr finanziert. Dann schauen wir weiter. Wir gehen haushälterisch mit unseren Mitteln um und können uns kein Defizit leisten. Andererseits müssen wir auch keine Dividenden erwirtschaften. Dazwischen gibt es einen kleinen Spielraum und den nutzen wir.
Und was, wenn die 40'000 Franken nicht zusammenkommen?
Wir denken noch nicht darüber nach, was wäre, wenn es nicht klappt. Bisher waren alle unsere knapp 20 Crowdfundings erfolgreich.
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28.10.2024 08:47 Uhr