23.10.2018

Blick-Gruppe

«Wir wollen wieder die Nummer Eins werden»

Blick.ch soll weniger schrill und dafür aufgeräumter erscheinen. Digital-Geschäftsführer Peter Wälty spricht mit persoenlich.com über Leser als Versuchskaninchen und seinen neuen Arbeitsweg, der sich wie eine Fahrt durch Instagram anfühle.
Blick-Gruppe: «Wir wollen wieder die Nummer Eins werden»
Peter Wälty ist seit Frühling 2018 Geschäftsführer Digital bei der Blick-Gruppe. (Bild: zVg.)
von Matthias Ackeret

Herr Wälty, Sie sind jetzt ein halbes Jahr bei der Blick-Gruppe. Jetzt kommt der neue Digital-Blick. Geht dieser Release bei beta.blick.ch bereits auf Ihr Konto?
Keinesfalls. Das Projekt wurde weit vor meiner Zeit aufgegleist. Es war sogar so, dass ich mich da gezielt nicht eingemischt und die Projektverantwortung dem bereits bestehenden Team um Christophe Nuñez, Katia Murmann und Thomas Enderle überlassen habe. Das letzte, was die gebraucht hätten, wäre einer gewesen, der von aussen seitwärts reingrätscht und sechs Monate vor Release alles in Frage stellt.

Was erwartet uns denn beim neuen Digital-Blick?
Was, glaube ich, klar erkennbar ist, ist der Wille, die visuelle Lautstärke runterzufahren. Das entspricht auch dem inhaltlichen Anspruch von Chefredaktor Christian Dorer an den Titel. Das Ganze kommt sehr viel aufgeräumter daher. Wir haben auch den Anspruch, die Werbeplätze nahtloser in den Inhalt zu integrieren. Das soll einerseits deren Visibilität erhöhen, andererseits die User-Experience optimieren.

Also eine rein visuelle Korrektur?
Nein, die grösste Neuerung ist unter der Haube. Die Frontends für Desktop, Mobile-Web sowie die Native-App wurden auf der Basis des React-Frameworks gebaut. Das Layout ist nun voll responsive. Derselbe Code kann über alle Outlets verwendet werden – sogar für Native. In der Theorie sollten wir so das Entwicklungstempo dramatisch erhöhen können.

In der Theorie?
Nun, es war tatsächlich nicht nur problemlos. Das IT-Team, das neu fester Bestandteil der Blick-Gruppe ist, hat alles auf der grünen Wiese aufgebaut. Viele Erfahrungen mussten erstmal gemacht werden. Deshalb gehen wir auch in eine Open-Beta-Phase und hoffen, dass uns die Leser helfen, zweifellos noch vorhandene Fehler zu entdecken und zu beheben.

Ein unfertiges Produkt also und der Leser muss als Versuchskaninchen herhalten?
Genau umgekehrt. Das Versuchsobjekt ist unser Produkt. In der Beta-Phase ist der Leser quasi der Wissenschaftler im Blaumann mit Schutzbrille. Und ja, meinetwegen, unfertig. Aber so soll es auch sein. Hierbei handelt es sich um ein digitales publizistisches Produkt, so was darf gar nie fertig sein. Im Gegenteil: Das, was Sie ab heute unter beta.blick.ch anschauen können, ist im Grunde das Fundament für all das, was noch kommen wird.

Und was soll das sein?
Schauen Sie, wir haben ein Ziel mit dem Blick. Wir wollen in der Deutschschweiz punkto Reichweite und Nutzungsintensität wieder die Nummer Eins unter den Medientiteln werden. Dafür geben wir uns zwei Jahre Zeit, in denen wir das Produkt massiv erweitern.

«Blick hat 2010 für die App 4.40 Franken verlangt»

Sie sagen Ihrem alten Arbeitgeber also den Kampf an?
Nein, keine Kampfansage nach aussen. Wir werden vielmehr darum kämpfen, den Blick attraktiver, nutzerfreundlicher und noch näher beim Leser zu positionieren, in der Hoffnung, dass dies vom Publikum erkannt und honoriert wird.

Also konkret, was erwartet uns?
Nun, das herauszufinden war der grössere Teil meines Jobs bis jetzt. Wir haben im Rahmen einer Analyse den gesamten Apparat durchleuchtet. Aus dieser Erkenntnis haben wir einen Massnahmenplan abgeleitet. Er umfasst folgende Schwerpunkte: Fokus auf Mobile-App, Smartness, Native-Community, Smart Newsroom, User Experience.

Das sind alles nicht ganz neue Schlagworte ...
Lassen sie mich kurz erklären. Zum Beispiel die App. Blick hat im Jahr 2010 für die App 4.40 Franken verlangt. Dieser kleine Betrag reichte aus, den Blick aus dem Rennen zu nehmen und den ab diesem Jahr förmlich explodierenden Mobile-Traffic 20 Minuten zu überlassen. Dies ist umso fataler, weil App-Nutzer zu den loyalsten gehören. Ein Beispiel: Betrachten wir das Blick-Gesamtangebot, sehen wir, dass nur gerade 5 Prozent der Nutzer uns mehr als einmal pro Tag besucht. Auf der App sind es mehr als 25 Prozent. Deshalb wollen wir da stärker werden.

«Natürlich soll es auch weiterhin Core-Content geben»

Und wieso soll Smartness Teil des Angebot werden?
Mit den 140 Storys, die wir jeden Tag auf die Seite pushen, bespielen wir die verschiedensten Interessen. Fussball, Royals, Politik, Wirtschaft, Auto usw. Die Frontpage gibt es aber nur einmal. Die sieht für jeden User gleich aus. Egal ob Girlie oder Opa. Die Gewichtung dort ist eine händisch gemachte Annäherung des Blattmachers an das, was er für den Massengeschmack hält. Sein Vorgehen oszilliert irgendwo zwischen Titel-Positionierung, informierter Intuition, Relevanz- und Performance-Überlegungen. Nun haben aber soziodemographische Auswertungen gezeigt, dass viele Inhalte ausschliesslichen Charakter haben. Das heisst: Dass beispielsweise eine Story, die vor allem von Jungen gelesen wird, die Älteren oft nicht interessiert – und umgekehrt. Und wenn man wie der Blick den grösseren Anteil bei den über 40-Jährigen hat, kann man mit einer generellen Verjüngungskur in ein massives Problem reinrennen. Man gewinnt im Idealfall ein paar Junge, verliert aber viele Ältere. Die Lösung des Dilemmas liegt bei einer nach Interessensmustern ausgespielten, smarten Frontseite, die Inhalte und Leser näher zusammenbringt.

Sie wollen eine Filterbubble bauen – für journalistische Produkte. Berauben Sie den Titel so nicht seiner Seele?
Natürlich soll es auch weiterhin Core-Content geben. Also Inhalte, mit denen sich der Blick von den anderen abhebt. Die publizistische DNA. Die wird natürlich nicht von einem Interessen-gesteuerten Algorithmus beeinflusst. Aber so genau wissen wir das noch nicht. Das herauszufinden, ist die Aufgabe der Arbeitsgruppen zu diesen Themen. Bis Ende Jahr haben wir den Detailplan und ab Januar fangen wir mit der Umsetzung und dem Testing an. In der zweiten Jahreshälfte, so ist der Plan, lancieren wir dann die erste Iteration der smarten Blick-App.

«Ich fahr am Morgen mit dem Velo zum See»

Wie gehts Ihnen eigentlich sonst so bei Ringier?
Mega. Stellen Sie sich vor, ich wohne ja neuerdings in Wollishofen. Das heisst, ich fahr am Morgen mit dem Velo zum See runter, durchs Arboretum, über die Quai-Brücke, dann übers Bellevue die Seepromenade runter und an die Dufourstrasse. Beim schönen Wetter der letzten Monate war das jedes Mal wie eine Fahrt durch den Instagram-Account von Zürich-Tourismus. Da kommt man gut gelaunt ins Büro. Na, und dann hab ich sogar bisschen Seesicht aus dem Büro.

Was ist denn eigentlich der Hauptunterschied zwischen Tamedia und Ringier?
Am augenfälligsten ist wohl, dass die bei Ringier noch Abfalleimer haben. Die wurden bei Tamedia ja wegrationalisiert. Man lernt so eine einfache Erfindung wieder zu schätzen. Im Ernst: Der Job an sich ist eigentlich recht ähnlich. Aber der Umgang mit der wirtschaftlich angespannten Situation ist bei Ringier schon ziemlich anders. Zentralisierung ist natürlich auch hier ein Thema, aber man geht die Sache etwas vorsichtiger an – was ich sehr begrüsse, denn eine massvoll zentralisierte Umgebung ist wesentlich agiler und lässt mehr Kreativität zu. Auch glaube ich, dass eine klare Identifikation mit einem Produkt in vielen Belangen hilfreich ist. Und tatsächlich, es trifft zu, was man draussen über Ringier sagt: Man redet hier über Inhalte.

Wie wurden Sie eigentlich von den Ringier-Mitarbeitern empfangen?
Gerade letzte Woche hat mir ein Kollege eröffnet, dass ich eigentlich eine ziemliche Enttäuschung sei. Er hätte erwartet, dass der Wälty mit «Bulldozer und Abrissbirne» einmarschiert und mal den dicken Max macht. Stattdessen käme ich an mit Powerpoint-Slides, Lorenz-Kurven und Gini-Index. Was eigentlich los sei, ob ich Beta-Blocker geschluckt habe (lacht). Um ehrlich zu sein, mich hat das gefreut.

 



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Kommentare

  • Robert Weingart , 23.10.2018 09:43 Uhr
    Ziemlich unvorteilhaftes Foto. Sonst wenig zu sagen, finde ich. Reichweite als grosses Ziel, aber das bringt wohl nicht automatisch Erträge!
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