19.01.2023

WEF

Zwischen Supermarkt und Klassenlager-Feeling

Zahlreiche Schweizer Medienschaffende berichten vom World Economic Forum in Davos. Was fällt ihnen besonders auf? Sieben Journalistinnen und Journalisten erzählen vom Disneyland für CEOs, ungewollten Interviewangeboten, Glatteis auf den Strassen und vom WEF-Witz.

Sebastian Ramspeck, Internationaler Korrespondent SRF

«Wieder mehr Glatteis auf den Strassen, dafür weniger Glatteis und Spektakel auf den Podien. So lässt sich das WEF 2023 mit den WEFs früherer Jahre vergleichen. Es fehlen diesmal die Trumps und Musks dieser Welt. Wobei das WEF, trotz Ukrainekrieg und Staatsoberhäuptern, sowieso vor allem ein Management-Symposium ist. Schon in der Rhätischen Bahn von Landquart nach Davos werde ich Zeuge, wie ein chinesischer und ein finnischer Manager nach kurzem Smalltalk miteinander ins Geschäft kommen. Für den Journalisten am WEF ist die Menge an Anlässen und Interviewmöglichkeiten eine ständige Überforderung, und das macht Spass. Spass macht mir auch die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen von SRF, RTS und RSI, die Mischung aus Planung und Improvisation, aus Hochkonzentration und Klassenlager-Feeling. Und dass es bereits einen WEF-Witz gibt: ‹Was steht im Brief, den First Lady Selenska Bundespräsident Berset überbracht hat?› ‹Morgen im Blick!›»


Florence Vuichard, Wirtschaftschefin CH Media

«Das WEF ist wie ein riesiger Supermarkt mit viel zu viel Angeboten. Und es scheint fast so, als ob das Angebot jedes Jahr noch grösser wird. Letztlich muss man eine Auswahl treffen und sich entscheiden, über was man berichten will. Wobei: Für die Medien bleiben sehr viele Türen verschlossen, sie können nur an den wenigsten Anlässen teilnehmen. Immer wieder überraschend ist, mit welchem bürokratischen Aufwand das WEF selbst versucht, den journalistischen Zugang zu regulieren. Die Mailbox quillt mit Media Guidelines über, die Adresse hingegen, wo man seinen Badge abholen kann, ist fehlerhaft. Grundsätzlich ist das WEF vor allem eine gute Plattform, um Leute zu treffen, und für Interviews. Die Realität ist aber auch: Die wenigsten, die man interviewen möchte, sagen zu. Gleichzeitig erhält man zig Interviews angeboten, die man nicht machen will.»


Fabienne Kinzelmann, Internationale Korrespondentin Handelszeitung

«Wie Disneyland für CEOs, so fühlte sich ein kurzer Ausflug ins Global Collaboration Village für mich an. Ist das Metaverse die Zukunft des WEF? Ich glaube, nur ein Teil davon: Erstens, weil sicher auch anderen beim Blick aus dem immersiven Heissluftballon schlecht wird. Zweitens, weil alle Teilnehmenden froh zu sein scheinen, endlich wieder ‹richtig› hier zu sein. Als Journalistin kann man aus der Woche eine Menge rausholen, wenn man sich gut vorbereitet, nicht zu sehr von der Tagesaktualität treiben lässt und priorisiert. Tipps, die ich mir vor meiner ersten Teilnahme 2020 gewünscht hätte und hiermit weitergebe: Die Burda-Party ist der überschätzteste Event des Jahres. Die teilnehmenden Frauen sind wenige, aber im Schnitt die besseren Gesprächspartner. Man sollte sich auch im grössten Stress Zeit für vernünftiges Essen nehmen. Sich die ganze Woche von Schokolade und Mini-Häppchen zu ernähren, sollte 2023 auch in unserer Branche nicht mehr als Ausdruck von besonderem Fleiss gelten. Und: frech sein lohnt. Am späten Dienstagabend schmuggelte ich mich nach einem Termin im Ukraine House an der Seite des Geschäftsführers eines grossen deutschen Konzerns auf einen der exklusiveren Nightcaps. Ich wollte eigentlich nur warmes Essen (Stichwort: WEF-Selfcare). Bekommen habe ich: die netteste Zufallsbekanntschaft der Woche. Und über die europäische Halbleiterindustrie weiss ich jetzt auch noch alles.»


Gian Ehrenzeller, Fotograf Keystone-SDA

«Ich arbeite mit einem Team von Keystone-SDA vor Ort. Das WEF ist jeweils geprägt von unterschiedlichen Tempi. Wir haben vor Ort die Möglichkeit, viele wichtige Persönlichkeiten zu fotografieren, die vielleicht im Moment nicht im Fokus der Medien stehen, deren Bilder wir aber später verwenden können. Daneben gibt es immer wieder Highlights – Donald Trump, Olga Selenska, Greta Thunberg. Die Auftritte dieser Persönlichkeiten sind für uns jeweils stressig, aber auch spannend. Im Grossen und Ganzen unterscheiden sich die Arbeitsbedingungen dieses Jahr nicht von jenen der Vorjahre. Mit einem Unterschied: Teilnehmer müssen einen negativen Covid-Test vorweisen. Wir als Pool-Fotografen sind verpflichtet, eine Maske zu tragen. Aus den Vorjahren besonders in Erinnerung geblieben ist mir, als Greta Thunberg auf Christine Lagarde getroffen ist. Das Treffen war nicht im offiziellen Programm und ich war per Zufall in der Nähe. Oder wie Donald Trump vor drei Jahren das erste Mal im Kongresszentrum eingetroffen ist. Die Stimmung war so etwas wie eine Mischung aus Kathedrale und Zirkus.»


Edith Hollenstein, Wirtschaftsredaktorin Tamedia

«Zum anstrengenden Teil gehören die vielen PR-Schlagworte, die hier in Davos fallen. Auf Panels, entlang der Promenade, wo sich Firmen inszenieren, bei Gesprächen an Firmenevents – überall knallen sie einem entgegen: Green Economy, Inclusivity, Social Sustainability, Purpose, Collective Change. Nach so vielen Worthülsen fragen wir uns regelmässig: Was genau wurde jetzt eigentlich gesagt? Im Ukraine House, einer Ausstellung über russische Kriegsverbrechen, stellt sich dieses Problem hingegen nicht. Dort sind Fotos von Gräueltaten in ukrainischen Städten zu sehen. Die Ausstellung ist gnadenlos, und sie zeigt auch Bilder, die die Schweizer Medien ihrem Publikum gewöhnlich nicht zumuten würden. Ausserdem für Tamedia am WEF in Davos sind: Arthur Rutishauser, Jorgos Brouzos, Markus Häfliger, Nina Fargahi.»


Peter A. Fischer, Chefökonom NZZ

«In vielem ist die dritte Januarwoche in Davos wieder wie früher. Entlang der Promenade haben die meisten Geschäfte und Restaurants Platz gemacht für grosse internationale Firmen und Ländervertretungen. Trotz verbessertem Verkehrsregime stauen sich die schwarzen Limousinen wieder. Besser geht man zu Fuss, wobei Spikes an den Schuhen helfen, Stürze im frisch vereisten und verschneiten Davos zu vermeiden. Im Kongresszentrum herrscht wieder ein Gedränge wie eh und je. Wirtschafts- und Regierungsvertreter treffen sich, geplant und zufällig, und tauschen sich auch mit uns Medienvertretern aus. Wie seit eh und je muss man dabei froh sein, wenn man ab und zu einen Stuhl und Tisch ergattert und sitzen kann. Es gibt zwar ein gut ausgerüstetes Medienzentrum, aber das steht etwas abseits. Und doch ist diesmal einiges etwas anders. Der Krieg in der Ukraine, die Unsicherheit um den künftigen Wirtschaftsgang und um den Technologiewettbewerb zwischen den USA und China überschatten die Diskussionen, wie grüne Technologie, Digitalisierung und neue Formen der Industrialisierung die Welt verbessern sollen. Ausgelassene Partys, die früher manchmal die Nacht zum Tag werden liessen, wollen zu den Schrecken des Krieges nicht recht passen. Viele offizielle Anlässe und Nachtessen gibt es trotzdem, doch sie sind ernster als auch schon. Im offiziellen Programm sind die Chinesen und Brasilianer wieder gut vertreten, dafür fällt die geringe Präsenz der US-Administration von Joe Biden auf. Doch eines ist sicher: Auch künftig wird es dem WEF an Initiativen zur internationalen Kooperation zwischen Wirtschaft und Politik nicht mangeln. Und trotz aller Digitalisierung und der eigenen Präsenz im Metaverse wird das Jahrestreffen des WEF eine einmalige Begegnungsplattform mit ganz eigenem Charakter bleiben.»


Sarah Frattaroli, stv. Wirtschaftschefin Blick-Gruppe

«Ich berichte zum ersten Mal vom WEF – und bin noch etwas überwältigt von den Tausenden Teilnehmenden, Hunderten Veranstaltungen und Dutzenden Berichten, die wir als siebenköpfiges Team jeden Tag aus Davos produzieren. Die Tage sind lang, aber anders als im Newsroom in Zürich stört das hier niemanden. Wenn wir spätabends in unserer Redaktionsstube in der gemeinsamen Davoser Wohnung noch in die Tasten hauen, kommt fast Klassenlager-Stimmung auf! Und meine grösste Sorge ist nicht eingetreten: Ich war, seit ich hier bin, nicht auf Koffeinentzug. Schon auf dem kurzen Fussweg ins Kongresszentrum wird einem der Kaffee aus offenen Fenstern in den unzähligen Pavillons der grossen Firmen praktisch aufgezwungen. Ein Glück! Apropos Kaffee: Am Dienstag habe ich mit Julie Teigland, Leiterin des EY-Geschäfts in Europa, dem Nahen Osten, Indien und Afrika ein Interview geführt – meine bisher beeindruckendste Begegnung am WEF. Teigland ist Chefin von 150’000 Mitarbeitenden. Unser Gespräch war trotzdem komplett auf Augenhöhe. Vor dem Interview haben wir gemeinsam gemütlich einen Kaffee getrunken und geplaudert.»


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