11.11.2005

"Den Status quo zu verteidigen, ist nicht ganz einfach"

Soll man Sonntags arbeiten oder nicht? Die Abstimmungsvorlage zum neuen Arbeitsgesetz schlägt hohe Wellen. Die Befürworter befürchten, dass bei einem Nein viele Läden schliessen müssten, die Gegner eine weitere Störung der Sonntagsruhe. Martin Schläpfer, Leiter der Direktion Wirtschaftspolitik der Migros, ist operativ für die Befürworterkampagne zuständig. Gegenüber "persoenlich.com" erklärt er seine Abstimmungsstrategie.
"Den Status quo zu verteidigen, ist nicht ganz einfach"

Herr Schläpfer, Sie sind zuständig für die Kampagne "offene Bahnhöfe und Flughäfen", über welche am 27. November abgestimmt wird. Andere sprechen vom neuen Arbeitsgesetz und von Sonntagsarbeit. Worum geht es überhaupt?

Wegen eines Bundesgerichtsentscheides müssten 120 Läden in Bahnhöfen und über 30 Geschäfte in Flughäfen sonntags schliessen. Denn die Richter haben den Reisendenbedarf restriktiv ausgelegt. Sonntags darf Personal beschäftigen, wer Brot oder Socken verkauft, wer Hemden oder CD's anbietet, dem ist es nicht erlaubt. Um dieses Hornberger Schiessen zu beenden, musste das Arbeitsgesetz leicht angepasst werden. In Zukunft ist nicht mehr das Sortiment massgebend sondern der Standort, also grössere Bahnhöfe und Flughäfen.

Nun ist die Opposition aus kirchlichen und gewerkschaftlichen Kreisen, aber auch aus ländlichen Regionen sehr gross. Wie kann man gegen so einen massiven Widerstand überhaupt gewinnen?

Bei der ersten Umfrage im Herbst war der Ja-Anteil überraschend hoch. Danach haben die Gegner aufgeholt. Wie erwartet drehen die Gewerkschaften voll auf, da sie ja bei der Personenfreizügigkeit mit den Arbeitgebern im gleichen Boot sassen und jetzt wieder Basisnähe demonstrieren müssen. André Daguet nimmt wie in den 90er Jahren zu persönlichen Angriffen Zuflucht, etwa gegen Weibel, Deiss oder Blocher. In der Tonalität überrascht haben uns die Kirchen, die damit in den eigenen Reihen Irritationen auslösen. So findet die reformierte Kirche Basel, die offizielle Argumentation "zu moralisierend und einseitig". Wie gesagt, es geht lediglich um die Ladenöffnungszeiten in 25 Bahnhöfen und fünf Flughäfen und nicht um eine Totalliberalisierung. Aber der Sonntag weckt seit jeher Emotionen. Wir haben in der Schweiz eben keine Airport-Kultur wie in Amerika.

Obwohl in den Medien sehr viel über die Vorlage berichtet wird, hat man den Eindruck, dass sich die Leute der ganzen Problematik gar nicht bewusst sind. Haben Sie die gleichen Erfahrungen gemacht?

Tatsächlich berichtet die Presse sehr intensiv und anschaulich. Konsum ist nun mal ein spannendes Thema. Wir standen mit der Ja-Kampagne vor eine speziellen Herausforderung. Normalerweise wird durch ein Ja etwas verändert: ein neues Schulgesetz oder tiefere Steuern. Diesmal müssen wir dem Stimmvolk klarmachen, dass man Ja stimmen muss, damit es so bleibt wie es ist. Den Staus quo zu verteidigen, ist nicht ganz einfach, umso mehr die Gegner diesbezüglich gezielt Verwirrung stiften.

Wie sind Sie bei der Gestaltung der Kampagne vorgegangen?

Das Thema ist nicht politisch-abstrakt. Jeder kann mitreden, denn jeder kauft ein. Klar ist, dass wir die Bahnhöfe als beliebte Zentren des öffentlichen Verkehrs in den Vordergrund rücken würden. Wir mobilisieren die Betroffenen in den Städten und Agglomerationen, wo die Leute wohnen und beim Pendeln gerne im Bahnhof rasch etwas einkaufen. Sie haben etwas zu verlieren, wenn das Gesetz abgelehnt wird. Deshalb setzen wir sehr stark auf Plakate und Flyer. Mit Ex-Miss Schweiz Tanja Gutmann als sympathisches Aushängeschild haben wir eine glaubwürdige Person gefunden, die unsere Hauptbotschaft hinüber bringt, da sie ja früher selber bei den SBB gearbeitet hat. Mit ihr sprechen wir auch die Jungen an, die wir für uns gewinnen wollen, da sie ihre Tagesabläufe nicht verplanen und gerne spontan einkaufen. Weil Verkäuferinnen und Verkäufer sowie die Ladenbesitzer laut Umfragen die höchste Glaubwürdigkeit haben, lassen wir sie in Testimonial-Inseraten sprechen.

Wie ist die Resonanz auf die Inseratekampagne in 20 Minuten?

Die Idee mit Frau Gutmann ist sehr gut angekommen und sogar von Gegnern aufgegriffen worden. Dass sie ein Exemplar von 20 Minuten in der Hand hält, ist ja kein Zufall. Cross Marketing war im Politbereich bisher unüblich. Die sehr guten Inseratekonditionen bei 20 Minuten entlasten unser Budget. Mit 20 Minuten erreichen wir die Pendlerinnen und Pendler, die Hauptbetroffenen. Die Autofahrer können ja unabhängig vom Ausgang der Abstimmung weiterhin Tankstellen und Autobahnshops ansteuern.

Wollen Sie mit Ihren Anliegen ausschliesslich ein urbanes Publikum erreichen?

Nein, auf dem Land setzen wir auf den Tourismus. In den Ferienorten haben die Läden seit Jahren sonntags offen. Bei einem Nein würde dieses Privileg sicherlich unter Druck kommen, genauso wie die Tankstellenshops. Es ist ja nicht ersichtlich, warum der Sonntag nur in Städten und Agglomerationen "heilig" sein soll, jedoch nicht in Davos oder Interlaken. Die wilden Szenarien der Gegner, am Sonntag herrsche künftig Shopping total, ist längst durch die Realität widerlegt worden. In Interlaken zum Beispiel ist die Migros-Filiale sonntags geschlossen -- weil es an Kunden fehlt.

Die Fragestellung "Arbeitsgesetz - ja" ist für viele BürgerInnen zu abstrakt. Ist dies für die Befürworter ein Vor- oder Nachteil?

Eher ein Nachteil, denn faktisch geht es um die Ladenöffnungszeiten. Allerdings gibt es am 27. November nur zwei eidgenössische Vorlagen Und die andere, das Gen-Moratorium ,ist klar positioniert. Ein Problem ist die Mobilisierung, da in einigen Kreisen die Meinung vorherrscht, die Vorlage werde ohnehin angenommen. Deshalb haben wir zu Beginn des Schlussspurts unsere Botschaften zugespitzt. Dass sich der frühere SP-Präsident Helmut Hubacher bereit erklärt hat, sich als entschiedener Befürworter zu outen, wollen wir noch etwas auskosten. Schliesslich geniesst er bei den in dieser Frage eher skeptischen Rentnerinnen und Rentnern nach wie vor viel Goodwill. Und er bringt die Sache meisterhaft auf den Punkt.

Sie arbeiten selbst als Direktor bei der Migros. Was würde eine Ablehnung für den Schweizer Detailhandel und die Migros bewirken?

Generell gilt: Bei einer Ablehnung werden es wirtschaftspolitische Modernisierungsprojekte noch schwerer haben als heute schon. Restriktive Ladenöffnungszeiten sind eine Wachstumsbremse, denn in geschlossenen Läden wird nun einmal nichts verkauft. Zur Migros: Wir müssten in Bern den Ex Libris schliessen und in verschiedenen Filialen müssten ganze Migros-Sortimente sonntags abgesperrt werden - Seldwyla im Shopville sozusagen. Uns geht es jedoch nicht zuletzt um den Erhalt von beliebten Arbeitsplätzen, was im heutigen Umfeld wichtig ist. Man sollte die Rahmenbedingungen des personalintensiven Detailhandels verbessern und nicht verschlechtern.



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