23.12.2019

Eingriffe in Interviews

«Der Rückzug ist wirklich das letzte Mittel»

Spielregeln vor einem Interview zu definieren, begrüsst auch der Club der Schweizer Kommunikationschefs. In der neuen Branchenvereinbarung der Wirtschaftsjournalisten gibt es dennoch umstrittene Punkte, sagt HarbourClub-Vorstandsmitglied Edi Estermann.
Eingriffe in Interviews: «Der Rückzug ist wirklich das letzte Mittel»
Edi Estermann ist im Vorstand des HarbourClubs. Dieser vereinigt rund 100 Kommunikationschefs aus der ganzen Schweiz.
von Christian Beck

Herr Estermann*, künftig legen Wirtschaftsjournalisten vor einem Interview eine Branchenvereinbarung vor (persoenlich.com berichtete). Ganz generell, was halten Sie davon?
Ich finde es gut, wenn die Spielregeln vor einem Interview klar definiert werden und nicht erst danach. Man spart sich unschöne, nachträgliche Diskussionen. Diese Vereinbarung ist eine hilfreiche Checkliste, damit kein Aspekt vergessen geht.

Hat diese Branchenvereinbarung für Sie nicht ein bisschen den Anstrich im Sinne: Friss oder stirb?
(Lacht.) Wenn Sie es so formulieren mögen … Es steht einem ja tatsächlich frei, sie einzugehen oder nicht. Und keiner schreibt vor, dass man sich nicht da und dort auch entgegenkommen darf.

Der Club der Zürcher Wirtschaftsjournalisten suchte bereits im Vorfeld das Gespräch mit der «Gegenseite». Wie war der Austausch?
Es wäre schon mal eine sehr viel bessere Basis, wenn wir uns nicht als Gegenseiten verstehen würden, sondern als professionelles Miteinander. Die Zürcher Wirtschaftsjournalisten, insbesondere der Initiant der Vereinbarung, Peter Burkhardt, Ressortleiter Wirtschaft bei Tamedia, ist auf den HarbourClub, den Club der Schweizer Kommunikationschefs, zugekommen. Wir haben uns getroffen – und es ergab sich ein überaus interessanter Austausch mit zahlreichen erlebten Episoden rund um die Durchführung und Autorisierung von Interviews. Das gegenseitige Verständnis ist sehr gross.

«Die Dossierkenntnis war bescheiden, die Fragen peinlich»

Was in der Vereinbarung wurde in Ihrem Sinne «abgeschwächt»?
Die Vereinbarung stand im Entwurf, als wir uns im April dieses Jahres erstmals trafen. Abgeschwächt haben wir gar nichts. Unser Austausch diente der präzisen Ausformulierung und dem Verständnis der sechs definierten Spielregeln – auch wenn wir uns nicht in allen Punkten vollends einig wurden.

… wie beispielsweise dem Punkt, dass ein Interview nicht mehr zurückgezogen werden kann. Was stört Sie daran?
Der Rückzug eines Interviews ist wirklich «Ultima Ratio» – also das letzte Mittel. Ich musste in meinen mittlerweile bald zehn Jahren als Kommunikationschef erst ein, zwei Mal dazu greifen. Und das stets in Ausnahmesituationen. Es kam kurzfristig ein anderer Journalist, als vereinbart, die Dossierkenntnis war bescheiden, die Fragen peinlich, das Resultat beschämend – und der Rückzug das Beste für alle Beteiligten. Eigentlich kommt das nie vor – und dennoch würde ich mir diese Notbremse stets vorbehalten wollen.

Sie sprechen unerfahrenere Journalisten an. Ist das für Sie jeweils ein Problem? (Inwiefern?)
Der zeitliche, personelle und auch finanzielle Druck auf den Redaktionen bleibt nicht ohne spürbare Auswirkungen. Kaum Zeit für Vor-Recherche, mit den Gedanken bereits beim nächsten Einsatz, die erste Version in einer Stunde schon online … Das ist für viele Journalisten heute Realität. Wir helfen da mit gutem Kommunikations-Service, wo wir können. Aber oft geht das dann eben doch zu Lasten der Qualität. Eine Unsitte zum Beispiel, dass man online fahrlässig rasch publiziert, weil man Fehler ja nachträglich immer noch ausbessern kann. Letzthin hat mich eine Redaktion gar gebeten, das Interview selber zu führen, weil sie personell grad etwas eng seien. Das macht dann sogar mich sprachlos ... Und, nein, ich hab' das natürlich nicht gemacht.

Welchen Punkt der Vereinbarung finden Sie ansonsten noch problematisch in der täglichen Praxis? 
Peter Burkhardt und ich haben uns lange zum Punkt unterhalten, wonach eine sprachliche Umgestaltung der Antworten beim Autorisieren nicht mehr möglich sein soll. Das möchte ich mir insbesondere bei einem teilweise in einer Fremdsprache geführten und dann eingedeutschten Interview nicht nehmen lassen.

«Das kann negativ auf den Interviewten zurückfallen»

Missverständnisse dürfen aber weiterhin korrigiert werden. Nicht zulässig sind gemäss Branchenvereinbarung nur die inhaltliche und sprachliche Umgestaltung …
Genau darum gehts: Die französische Sprache zum Beispiel ist sehr viel blumiger und wortreicher als die deutsche. Transkribiert man das eins zu eins, klingt das auf Deutsch rasch nach sehr viel Blabla. Und das kann negativ auf den Interviewten zurückfallen. Aber hier sind wir nun schon sehr in den Details.

Peter Burkhardt sagte: «Für einen Exponenten der Wirtschaft ist es nicht förderlich, wenn sein Interview im Marketing-Slang daherkommt.» Geben Sie ihm recht?
Ja, damit hat er vollkommen recht. Ich lese auch nicht gerne weichgespülte und spürbar gerade gebogene Interviews. Von etwas mehr Mut und Entspanntheit würden alle profitieren.

Wird diese Branchenvereinbarung die Zusammenarbeit mit Wirtschaftsjournalisten erleichtern?
Die Zusammenarbeit braucht ja keine Entkrampfung, ich erachte sie als sehr gut. Und die definierten Spielregeln sind eine praxisnahe Checkliste für das Gespräch vor dem Gespräch.

Wünschten Sie sich, dass sich auch andere Ressorts eine solche Vereinbarung zulegen würden?
Ich wünschte mir vor allem, dass sich Journalisten und Kommunikations-Profis auf Augenhöhe vorgängig verbindlich austauschen, egal für welches Ressort und ob mit oder ohne Vereinbarung.



* Edi Estermann ist Leiter der SRG-Medienstelle und Sprecher des Generaldirektors. Zuvor war er Kommunikationschef bei Ringier. Vor dem Wechsel in die Unternehmenskommunikation war Estermann bei verschiedenen Medien journalistisch tätig.

 



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