15.10.2007

"Frauen im Dritten Alter warten nicht auf den Tod"

Der Grossteil der über 50-Jährigen bleibt heute noch lange aktiv und ist ausgesprochen konsumfreudig. Sie verfügen über ein grösseres Vermögen als jede Generation vor ihnen. Die Generation 50+ gilt daher als Chance und Herausforderung für die Kommunikation. Liliane Forster hat sich in einer Studie speziell den Frauen über 50, ihrer Denkweise, ihrem Lifestyle und ihrem Konsumverhalten gewidmet. Ihre Erkenntnisse im Interview:
"Frauen im Dritten Alter warten nicht auf den Tod"

Liliane Forster, Sie sagen, dass Unternehmen die Zielgruppe "Frauen 50+" vernachlässigen. Wo liegen die Gründe?

Die Wirtschaft konzentriert sich nach wie vor auf die 25- bis 49-Jährigen. Zwar wächst mittlerweile das Bewusstsein für die jungen Alten, gerade aufgrund der demografischen Entwicklung. Noch wird aber zugewartet, anstatt zu handeln.

Warum dieses Zögern?

Das hat mit einer grossen Verunsicherung zu tun, wie diese erfahrenen, anspruchsvollen Konsumprofis adäquat angesprochen und bedient werden sollen. Die Frage lautet: Wer sind diese Menschen im Dritten Alter, welche Werte vertreten sie und was sind ihre Wünsche und Bedürfnisse? Auch der enormen Kaufkraft dieser Zielgruppe ist man sich noch nicht genügend bewusst.

Welche Frauen standen im Zentrum Ihrer Untersuchung?

Wir haben Gespräche mit Frauen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren geführt. Sie sind verheiratet, geschieden, verwitwet, leben als Single oder in einer Partnerschaft, haben Kinder, Enkel oder keine Nachkommen. Die eine Hälfte der Frauen ist (zum Teil wieder) berufstätig, voll- oder teilzeitig, im Angestelltenverhältnis oder selbständig erwerbend, während die andere (teilweise seit der Familienphase) nicht mehr im Berufsleben steht. Alle leben sie in der Deutschschweiz in einem städtischen Umfeld oder in der Agglomeration. Alle gaben an, einen Haushalt mit mittlerem Einkommen zu führen.

Welches sind die gängigsten falschen Vorstellungen, die man von der untersuchten Zielgruppe hat?

Frauen im Dritten Alter sind keine alten Frauen, die zuhause herumsitzen, ausschliesslich Rückschau halten und nur noch auf den Tod warten. Es ist falsch zu sagen, sie geben kein Geld aus, weil sie ja eh alles schon haben. Richtig ist, dass sie jetzt die nächsten 20/30 Lebensjahre organisieren und Geld ausgeben, wenn sie das finden, was ihnen zusagt, weil es ihren aktuellen Wünschen entspricht. Es ist absurd zu meinen, ab einem gewissen Alter (und einer bestimmten Konfektionsgrösse) seien für Bekleidung und Accessoires nur noch dunkle Farb-Schattierungen gefragt. Reife Frauen lieben Farben -- Farben an Dingen, die sie umgeben, und an Dingen, die sie tragen.

Welche typischen Attribute kann man der Frau über 50 zuordnen?

In den Gesprächsrunden haben wir Frauen im Dritten Alter als neugierig, grosszügig, humorvoll, unternehmungslustig, präsent in ihrem Tun und kreativ erlebt -- Frauen, die wissen, wer sie sind und was sie wollen, die einstehen für ein selbst bestimmtes, eigenverantwortliches Dasein. Sie leben heute Werte wie Respekt, Qualitäts- und Umweltbewusstsein, Unabhängigkeit, Ausgeglichenheit, Ehrlichkeit, Gelassenheit, Toleranz, Verantwortungsbewusstsein.

Wie hat sich das Rollenbild der Frau verändert?

Die heute über 50-jährige Frau war im Gegensatz zu ihrer Elterngeneration immer Teil der Konsumgesellschaft, hat sämtliche Modeströmungen mitgemacht, ist gesund und aktiv, unabhängig und reich an Erfahrungen. Ein Leben lang hat sie sich immer wieder neu definiert. Warum sollte sie ausgerechnet jetzt damit aufhören?

Woher haben diese Frauen ihre Kaufkraft?

Menschen im Dritten Alter partizipierten am wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg, profitierten vom Ausbau der Gesundheits- und Sozialvorsorgeeinrichtungen der letzten Jahrzehnte und sind die letzte Generation, die noch in den "besten Jahren" erben wird. Sie verfügen damit über eine noch nie da gewesene Kaufkraft, sind offen für Neues, haben Zeit und kennen keinen zwanghaften Spartrieb in der Art ihrer Eltern mehr.

Auf welche Kriterien legen die Frauen über 50 beim Kauf am meisten Wert?

Auf Qualität sowie fach- und sozialkompetente Beratung, wobei zu beachten ist, dass der Qualitätsbegriff sehr weit verstanden wird und insbesondere auch ästhetische und funktionale Kriterien beinhaltet.

Auf welche Art der Kommunikation spricht die Zielgruppe am besten an?

Auf eine Ansprache, die sich an konkreten Bedürfnissen orientiert. Ohne Stigmatisierung reagiert, wer betroffen ist -- Menschen im Dritten Alter genauso wie jüngere und ältere.

Auf was müssen Unternehmen achten, wenn sie die Zielgruppe "Frauen 50+" für sich gewinnen wollen?

Natürlich gibt es keine allgemein gültige Anleitung, schliesslich handelt es sich um eine inhomogene Zielgruppe, die sich gerade nicht mehr in ein Schema pressen lassen will. Wer Frauen im Dritten Alter für sich gewinnen will, muss wissen, wer diese Frauen sind, wie sie denken und entscheiden und an welchen Werten sie sich dabei orientieren.

(Interview: Stefan Wyss)

--> Liliane Forster wird ihre Studie "unsichtbar -- Frauen über 50, ihre Denkweise, ihr Lifestyle, ihr Konsumverhalten im Allgemeinen und bei Bekleidung im Besonderen" am 14. Schweizer PR-Symposium vom 17. Oktober in Basel vorstellen. Forster (45) lebt als Texterin und Designerin in Zürich. Ihre Studie entstand in Zusammenarbeit mit Alexandra Pfister von Fashion-Design&Consulting, Zürich. Die qualitative Analyse bietet Entscheidungsgrundlagen für Unternehmen, die diese vernachlässigte Zielgruppe mit Potenzial für sich gewinnen wollen. Mehr Infos zur Studie unter http://www.lexstyle.com.


Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren