08.07.2022

Kreativnachwuchs

«Ich wünsche mir mehr Coiffeusen in der Werbung»

Im August startet der nächste Lehrgang an der Ad School. Der Präsident der Schweizer Kreativschule und Werber Peter Brönnimann sagt im Interview, was die jungen Talente von heute verunsichert, und warum früher nicht alles besser war.
Kreativnachwuchs: «Ich wünsche mir mehr Coiffeusen in der Werbung»
«Als junger Kreativer ist man meist unsicher, ob man wirklich kreativ und in der richtigen Branche ist», sagt Peter Brönnimann über junge Talente in der Werbebranche. (Bild: zVg)
Herr Brönnimann, wie geht es dem Nachwuchs in der Kreativbranche?
Ich vermute, den meisten jungen Kreativen heute geht es ähnlich wie mir als junger Kreativer damals: Ich hatte keinen Plan, und mein Ziel war jeweils, eine so gute Kampagne zu machen, dass man mich nicht entlässt. Als junger Kreativer ist man ja meist unsicher, ob man wirklich kreativ und in der richtigen Branche ist. Übrigens hat man dieses Gefühl nicht nur, wenn man jung ist. Was gegen diese Unsicherheit aber ein bisschen hilft, ist Weiterbildung. Der Werkzeugkasten wird grösser, man hat mehr Möglichkeiten und sieht, dass es den anderen Kolleginnen und Kollegen ähnlich geht wie einem selbst.
 
Liegt es auch an der Branche, dass die jungen Talente unsicher sind?
Die Unsicherheit liegt eher in der Natur des Berufes, man riskiert immer, sich mit einer schlechten Idee oder Umsetzung zu blamieren. Der finanzielle und zeitliche Druck in den Agenturen unterstützt dies zusätzlich. Heute wird ja manchmal fast auf die Minute festgelegt, wieviel Zeit die Junior Art Directorin für die Entwicklung des Layouts brauchen darf. Vor allem für Jüngere ist das schwierig, es fehlt die Zeit für Fehler, für Experimente, für Ungewöhnliches. Dabei entstehen genau daraus oft Dinge, die später Kampagnen und Marken prägen können.
 
Der Nachwuchs hat es heute also schwieriger als zu Ihrer Zeit?
Nein – und ja. Für alle, die mit Kreativität etwas bewegen wollen, ist es nach wie vor eine attraktive Branche: Wo sonst kann man das Resultat von Kreativität in so kurzer Zeit so weitherum sehen? Die Arbeit ist allerdings anspruchsvoller geworden. Kommunikation früher war ein Dreikampf: Wer die drei Disziplinen TV, Plakate und Anzeigen beherrschte, war ein guter Werber. Kommunikation heute ist ein Zwanzigkampf. Kein Mensch kann aber in zwanzig Disziplinen gut sein. Deshalb braucht es Spezialisten, die auch Generalisten sind. Also Leute, die neben ihrer Expertise auch über ein Grundwissen in anderen Bereichen verfügen. Dieses Grundwissen für den Zwanzigkampf vermitteln wir an der Ad School.
«Wir sollten Leuten mit ganz anderen Hintergründen eine Chance geben in unserer Branche»
Und was ist heute besser?
Heute engagieren sich die verschiedenen Branchenverbände mehr denn je für die Jungen: Der LSA hat eine spezielle Seite für Interessenten, wo sie herausfinden können, welcher Beruf in der Werbung am besten zu ihnen passt. Der ADC veranstaltet jedes Jahr den «Young Creatives Award» für junge Kreative und solche, die es werden wollen. Und die Ad School bildet Talente aus Strategie und Kreation weiter.

Der nächste Lehrgang an der Ad School startet am 26. August. Aus welchen Bereichen kommen die jungen Kreativen?
Grundsätzlich wird es von Jahr zu Jahr bunter und vielfältiger – und doch herrscht teilweise Monokultur. Im Lehrgang Strategie arbeiten die meisten in der Beratung, davor haben viele Wirtschaft studiert. In der Kreation sind es oft Junior Art Directors oder Digital Experience Designer mit einer grafischen Ausbildung, dazu hat es immer öfters Multimedia-Produzenten und Social-Media-Spezialisten. Die Texterinnen und Texter waren vorher meist an der Uni, haben Deutsch, Betriebswirtschaft oder Kommunikation studiert. Nichts dagegen – wir freuen uns über jede Bewerbung –, aber das ist meines Erachtens ein Problem.
 
Warum ist das ein Problem?
Es geht um Vielfalt. Da wurde zum Glück schon einiges getan in unserer Branche bezüglich Förderung von Frauen. Vielfalt umfasst aber natürlich mehr: beispielsweise unterschiedliche soziale Hintergründe oder unterschiedliche Ausbildungen. Die Texterinnen und Texter, also diejenigen Leute, die oft die Ideen machen, kommen meistens von der Uni. Wir sollten etwas gegen diese Monokultur tun und Leuten mit noch ganz anderen Hintergründen eine Chance geben in unserer Branche. Ich wünsche mir mehr Automechaniker, Coiffeusen, Bauern oder Lebensmittelingenieurinnen, die Werbung machen. Ich bin überzeugt, dass andere Hintergründe uns und den Werbeideen in der Schweiz guttun würden.
«Die beste Schule für junge Talente ist nach wie vor der Arbeitsplatz»
Wie holt man Coiffeusen und Automechaniker in die Kreativbranche?
Ein Werber hat mal gesagt, dass man die Bezeichnung «Texter» bzw. «Texterin» neu formulieren sollte. Das hat was, der Begriff tönt nach Germanistikstudium, halben Schriftstellern, und selbst Kunden haben manchmal das Gefühl, man sei auch noch ein Korrektor. Aber heute sind Texter ja vor allem Ideenmacher. Es ist ein bisschen ironisch, dass ausgerechnet wir Texter noch keinen besseren Begriff gefunden haben für unseren Job.

Wird man als Ideenmacher geboren oder lässt sich Kreativität erlernen?
Kreativität ist angeboren, wird uns in der Schule ausgetrieben und an der Ad School wieder vermittelt. Ok, vielleicht ein bisschen übertrieben. Die beste Schule für junge Talente ist nach wie vor der Arbeitsplatz, die Zusammenarbeit mit guten Leuten. Mit Menschen, die dich nicht als günstigen Wegschrubber für wenig attraktive Arbeiten sehen, sondern dich fordern und fördern. Die motivieren können, die gute Ideen – selbst wenn sie unattraktiv und unspektakulär daherkommen – erkennen und weiterentwickeln.
 
Gefördert werden die jungen Talente auch an der Ad School, wo Sie selbst unterrichten. Wie erleben Sie die jungen Kreativen?
Freudvoll, hochmotiviert und interessiert – und doch mit einer gesunden Portion Skepsis und dem Willen, von den erfahrenen Leuten zwar lernen zu wollen, aber es dann doch anders zu machen als diese alten Säcke.
 
Und was können die «alten Säcke» vom Nachwuchs lernen? 
Der Austausch mit ihnen beim Analysieren und Diskutieren ist höchst lehrreich. Weiter zähl ich nicht auf, sonst muss ich fürs Dozieren noch bezahlen.

 


Peter Brönnimann unterstützt als Freelancer Agenturen und Auftraggeber. Davor war er Creative Director bei Publicis und Gründungsmitglied und Partner bei Spillmann/Felser/Leo Burnett. Brönnimann ist Vorstandsmitglied im ADC und Präsident des Schulrates der Ad School.

 


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