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Adieu, merci, liebe Krawatte

Christian Beck

«Dass es ein wichtiger Anlass ist, sehen Sie an der hohen Zahl der Krawatten an meinen Kollegen. Im Alltag sind die Krawatten im Rahmen der Digitalisierung weggefallen», sagte Tamedia-Verleger Pietro Supino am Donnerstag anlässlich des Lancierungsevents der zentralen Werbemarkt-Organisation Tamedia Advertising. Und auch Tamedia-CEO Christoph Tonini gab unverblümt zu: «Auch ich gehöre zu denen, die sonst keine Krawatte tragen.»

Die Krawatte hat tatsächlich allmählich ausgedient. Der Trend kommt aus dem Silicon Valley. Im Startup-Land trägt kein Manager diesen Stofffetzen. Zu uncool ist das. Ebenso lässig präsentieren sich zunehmend auch Konzernchefs in Europa. Anfang 2016 verkündete der Chef der traditionsreichen Robert Bosch AG: Die Krawattenpflicht in seinem Unternehmen wurde abgeschafft. «Weil ich weiss, dass zum Beispiel in der Start-up-Szene Schlipsträger als rückständig gelten», sagte Volkmar Denner der FAZ. Ein weiteres Beispiel ist Daimler-Chef Dieter Zetsche. Selbst Geschäftszahlen des Milliardenkonzerns präsentierte er an der Jahreskonferenz in Stuttgart Anfang Jahr ohne Krawatte um den Hals. In der Zeit vor Facebook, Apple und Co. wäre das noch undenkbar gewesen.

Bleiben wir bei unserem nördlichen Nachbarn. Dass es in immer mehr Chefetagen legerer zu und her geht, bekommt auch die deutsche Textilwarenbranche zu spüren. Laut Angaben des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie belief sich der Umsatz für Krawatten und Fliegen 2015 auf 15 Millionen Euro. 2011 waren es noch rund 25,5 Millionen Euro. Harte Fakten also für das weiche Stück Stoff.

Die Krawatte wurde immer wieder mal totgesagt – und immer wieder kam sie zurück. Mittlerweile scheint es sich aber tatsächlich um eine weltweite «Bewegung» zu handeln, die sich auch auf den Laufstegen der grossen Modelabels widerspiegelt. Krawatten sieht man dort ebenfalls immer seltener. Ein Trend, der dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump sicher zugutekommt, trägt er doch regelmässig viel zu breite und viel zu lange Krawatten. Gut gekleidet geht anders. Dann lieber ohne.

Somit traf also Pietro Supino mit seiner Feststellung, dass die Krawatte im Alltag der Digitalisierung zum Opfer gefallen ist, voll ins Schwarze. Es fehlte lediglich an der Konsequenz, auch an einem wichtigen Anlass auf dieses Stückchen Stoff zu verzichten. Vielleicht klappts ja dann an der nächsten Aktionärsversammlung.

 

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