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Der schwarze Herbst

Christian Beck

11. September 2001. Wissen Sie noch, wo Sie an diesem Nachmittag waren? Können Sie sich erinnern, was Sie gemacht haben?

Ich hatte Abschlussredaktion bei einer Lokalzeitung, sprich: Ich begann erst nach dem Mittag zu arbeiten, dafür bis spät in die Nacht hinein. Und dieser Tag sollte ein denkwürdiger werden. Um 14.45 Uhr Schweizer Zeit raste in New York ein Flugzeug in den nördlichen Turm des World Trade Centers. Irgendwann kam ein Mitarbeiter aus der Druckvorstufe zu uns auf die Redaktion. Er wollte die Bilder am TV sehen. Es stellte sich heraus, dass das einzige Fernsehgerät im ganzen Haus bei uns stand. Wir erkundigten uns bei der Auslandredaktion, ob eine Sonderseite zu diesem Ereignis geplant sei.

Um 15.03 Uhr überschlugen sich die Ereignisse. Ein weiteres Flugzeug zerstörte den zweiten WTC-Turm. Uns war sofort klar, dass von nun an der Ausnahmezustand galt. Sofort versammelte sich praktisch das ganze Geschäft vor dem Mini-TV auf der Redaktion. Wir erhöhten den Zeitungsumfang der Ausgabe vom Folgetag um einige Seiten. Alle halfen mit. Viel zu spät liefen die Druckmaschinen an. Und wir Redaktorinnen und Redaktoren verliessen das Geschäft erst in den Morgenstunden, nachdem wir in der Druckerei noch mitgeholfen hatten, den zweiten Zeitungsbund von Hand in den ersten zu stecken. Wir waren so schneller als die Maschinen.

Die Terrorwelle in den USA war der Auftakt eines schwarzen Herbstes in der Schweiz: Amoklauf in Zug, Swissair-Grounding, Grossbrand im Gotthardtunnel, Crossair-Absturz. Es gab eine Häufung an Katastrophen. Und etwas, das ich bis heute nicht vergessen habe: Ausser am Tag des Crossair-Absturzes hatte ich jedes Mal Abschlussredaktion. Der Running Gag meiner Arbeitskollegen: «Aha, Beck hat Abschluss. Da planen wir doch vorsorglich schon mal mehr Seiten ein.» Ich fand es mässig lustig.

Und Sie, was haben Sie gemacht vor 20 Jahren, am 11. September 2001?



Christian Beck ist Redaktor von persoenlich.com.

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Kommentare

  • Rainer Schumacher, 17.09.2021 11:45 Uhr
    Ich besuchte nach einer Sitzung in Éclépens VD Le Milieu du Monde in Pompaples, als ich meiner Frau die wahrscheinliche Ankunftszeit meiner abendlichen Rückkehr mitteilen wollte und sie mich mit der Schilderung des aktuellen Fernsehkonsums überraschte: "Eben fliegt ein zweites Flugzeug in den zweiten Turm in NY:" - Prof. Dr. iur. Rainer Schumacher, damals als Rechtsanwalt tätig.
  • Rene Tobler, 09.09.2021 11:23 Uhr
    Ich war zu dieser Zeit in Miami bei Telemundo als "Intern" da war die Hölle los, Star Reporter von Telemundo International fuhren mit dem Auto nach New York um dort die Lokalen Kollegen zu Unterstützen. Der Chefredaktor kam schon bald in die Edith Rooms und sagte das er keine Aufnahmen mehr sehen will mit Leuten die aus den Fenstern sprangen.
  • Pierre Rothschild, 09.09.2021 08:37 Uhr
    Beim neuen TV-Sender „swizz Music Television“, später „Viva swizz“, war ich natürlich als Programmchef und Teilhaber immer an Bord. Die Arbeitstage hatten zwölf Stunden und mehr. In den Büros und Studios waren Bildschirme, auch grosse Rückprojektoren, überall. Man wollte und musste ja die Programme der Konkurrenz gut kennen. Als ich an diesem Tag durch die Räume ging, sah ich die Szenen aus New York. Rauch und Feuer. Mein erster Gedanke: naja. das Team muss ja keine Spielfilme schauen. Sekunden später sah man, dass es kein Spielfilm war. Stumm schauten wir diese Bilder an. Besonders einige Mitarbeiter, die wenige Wochen zuvor noch in New York waren, um die Jingles im Tonstudio aufzunehmen, hatten Tränen in den Augen.
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