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Fischlin for compliments

Christian Beck

Dieser Tweet hat aufhorchen lassen: Unter dem Hashtag #diemeistenUnfällepassierenimHaushalt bedankte sich «Tagesschau»-Moderator Franz Fischlin am Freitag bei seinen Kolleginnen Andrea Vetsch und Cornelia Boesch fürs kurzfristige Einspringen. Fischlin hatte einen «kleinen Haushaltsunfall». Er sei zuversichtlich, schnell wieder am Start zu sein (persoenlich.com berichtete). Nur gerade zwei Tage später, nach der Sonntagsausgabe, konnte man den Eindruck gewinnen: Hier hatte Fischlin möglicherweise aus einer Mücke einen Elefanten gemacht. 

Den Medien kann man keinen Vorwurf machen: Verständlich, dass der Tweet von vielen Onlineportalen aufgegriffen wurde. Blick, 20 Minuten, Tages-Anzeiger, Bluewin, Nau.ch, Schweizer Illustrierte – sie alle berichteten über Fischlins Unfall. Was aber ist passiert? Vom Stuhl gefallen und Bein gebrochen? In den Finger geschnitten und beinahe verblutet? Allzu tragisch kann es nicht gewesen sein, immerhin twitterte «Mister Tagesschau» fleissig weiter. Seine Antwort auf dem sozialen Netzwerk: «Zum Glück nichts Schlimmes. Werd nur ein paar Tage ausser Gefecht sein.» Mehr war aber nicht zu erfahren.

«Ein paar Tage ausser Gefecht»? Das scheint leicht übertrieben. Denn Fischlin moderierte, wie erwähnt, bereits am Sonntagabend gewohnt souverän die Hauptausgabe der «Tagesschau». Als «Mini-Pause» bezeichnete dies der Blick. Die Folge des Haushaltsunfalls schimmerte nur undeutlich unter dem Make-up hervor: Auf der Stirn hatte der 57-Jährige einen Kratzer. Klar, jeder Zuschauer versteht, wenn er am Freitag unmittelbar nach dem Malheur nicht mit einem Pflaster auf der Stirn vor die Kamera treten wollte. Aber: Warum dieser Sturm?

fischlinschramme

Vetsch und Boesch hätten einfach die Freitags- und Samstagsausgabe der «Tagesschau» moderieren können – es hätte kein Mensch bemerkt, dass da eigentlich ein anderer hätte stehen sollen. Am Samstag begründete Fischlin via Twitter: «Fand es einfach toll und erwähnenswert, wie unkompliziert und kollegial @andreavetsch und @CorneliaBoesch kurzfristig einsprangen. Deshalb mein Tweet.»

Als Kommunikationsprofi mit jahrelanger Routine und besten Kenntnissen über die Funktionsweise der Medien – das SRF-Aushängeschild lancierte 2015 den «Medienclub» – hätte er durchaus abschätzen können, was ein solcher Tweet auslösen kann. Wenn schon, hätte Fischlin klarer kommunizieren sollen – zum Beispiel: «Habe Kopf angeschlagen. So kann ich nicht vor die Kamera. Bin dankbar, dass meine Kolleginnen so flexibel sind.» Oder aber er wäre trotz Pflaster aufgetreten, ähnlich wie 2017 Roger Schawinski, der nach einer geplatzten Ader im Auge mit Sonnenbrille talkte. Fischlins Tweet vom Freitag hingegen dürfte der SRF-Medienstelle über das Wochenende einiges an Arbeit eingebrockt haben.

Wozu also dieser Tweet? Vielleicht vermisst die «Tagesschau» – jetzt, wo das Interesse an Corona-News leicht nachlässt – ein wenig die enorme Aufmerksamkeit, die ihr Mitte März zuteilwurde? Fehlanzeige: 805'000 Zuschauerinnen und Zuschauer schalteten diesen Sonntag ein. Diese Quote ist für einen durchschnittlichen Sonntag eher viel, seit Corona aber mittlerweile normal.

Oder wollte der wohl bekannteste «Tagesschau»-Moderator einfach Genesungswünsche hören? Lesen, wie ihn die Zuschauer vermissen? Fischlins an sich eher nebensächliche Twitter-Meldung könnte dann ganz einfach in diesem Kontext gesehen werden, frei nach dem Motto «Fischlin for compliments».



Christian Beck ist Redaktor bei persoenlich.com.

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Kommentare

  • Ria Xekalakis, 27.05.2020 08:33 Uhr
    Richtig bemerkt! Eine Lappalie, die zum Medienereignis hoch stilisiert wird. Zu einer Zeit, in der wir -- weiss Gott -- relevantere Themen im öffentlichen Diskurs aushandeln müssten. Mit diesem Blog erhält die unsägliche Geschichte noch mehr Aufmerksamkeit... Weshalb die ganze Sache nicht einfach totschweigen und mit Nichtbeachtung strafen? Das hätte wohl mehr Wirkung erzielt.
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