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Mein Purpose, dein Purpose?

Thomas Ruck

Weihnachten steht vor der Tür. Und damit immer auch die Zeit für einen Perspektivenwechsel: Plötzlich «müssen» wir uns in andere hineinversetzen und zerbrechen uns den Kopf darüber, was wir unseren Lieben schenken möchten.

Gleiches gilt für viele Unternehmen. Das ganze Jahr über gab es genug Gründe, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Wie halte ich trotz aller Veränderungen und Unsicherheiten meine Kosten im Griff? Wie treffe ich meine Vertriebsziele? Wie halte ich die Lieferketten stabil? Und natürlich: Was ist mein Purpose – oder noch besser – meine Big Idea?

Und dieser Unternehmenszweck ist mittlerweile für viele Unternehmen gar zum Selbstzweck geworden. Deshalb ist auch hier die Zeit reif für einen Perspektivenwechsel. Denn: Der Purpose ist nicht die alleinige Unternehmensaufgabe. Ein Unternehmen existiert, um seinen Kunden zu helfen, ihre Ziele zu erreichen. Ihnen zu helfen, ihre Aufgabe zu erfüllen. Oder anders gesagt: Nicht (nur) der Corporate Purpose zählt, sondern vor allem der «Customer Purpose».

Deiner ist wichtiger als meiner

«Customer Purposes» sind Absichten, Bedürfnisse, Fragen oder gewünschte Ergebnisse, die einen Menschen dazu veranlassen könnten, sich an Ihr Unternehmen zu wenden. Denken Sie an alles, was mit «Ich brauche …», «Ich will …», «Wie kann ich …» oder «Können Sie …» beginnt.

Ein Beispiel: Sind Sie eine Bank, dann tragen Sie mit einem Konto alleine wenig zum «Customer Purpose» der meisten Menschen bei, die eigenen Finanzen jederzeit im Griff zu haben. Verkaufen Sie Laufschuhe, dann helfen die tollsten Schuhe dem Kundenziel «regelmässig joggen zu gehen» nur wenig, wenn es die Lebensumstände nicht erlauben, sich Zeit oder Möglichkeiten dazu zu schaffen. Hier müssten Sie stattdessen ansetzen und den Läufer befähigen, auch wirklich laufen gehen zu können.

Jeder «Customer Purpose» ist daher ein konkreter Anlass, um den herum bewusst ein Kundenerlebnis gestaltet werden muss – und zwar nicht per Zufall, sondern «by Design». Denn ein gutes Kundenerlebnis ist nicht, wie Websites, Apps oder Läden aussehen und sich anfühlen; das Kundenerlebnis ist, wie Kunden reagieren und sich fühlen, wenn sie ein für sie wichtiges Ziel verfolgen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Design ist dabei wichtig, aber die Fassade aus Pixeln, die über digitale Touchpoints aufgetragen oder auf physische Gegenstände gedruckt wird – egal wie hübsch –, hat wenig Einfluss auf das, was Kunden erleben. Was zählt, ist, ob die Kunden ihren beabsichtigten Purpose problemlos erreichen können und was sie dabei empfinden: Aufregung, Vorfreude, Spass, Vertrauen und Zufriedenheit oder Verwirrung, Frustration, Verzweiflung und nichts als Ärger?

Wie kriegen Sie das richtig hin?

In fünf Schritten:

  1. Menschen verstehen: Ausgangspunkt ist immer ein tiefes Verständnis des Menschen und was ihm – im Kontext des Geschäftsbereichs Ihres Unternehmens – wichtig ist: Was konkret möchte jemand erreichen? Dieser Frage gilt es auf den Grund zu gehen. Mithilfe von explorativem ethnografischen Research und Methoden wie offenen Einzelgesprächen, Kundenbeobachtungen oder Kundentagebüchern können konkrete «Customer Purposes» identifiziert werden. Damit bauen Sie sich ein Portfolio an Kundenzielen auf, welches Sie nun nutzen, um konkrete Ideen und Konzepte zu entwickeln, wie Sie den «Customer Purpose» bedienen können. Diese priorisieren Sie anhand des Wertbeitrags, welchen sie Ihren Kunden und Ihrem Unternehmen bringen, und entwickeln erste Experience-Konzepte dafür.

  1. Fähigkeiten identifizieren: Bestimmen Sie im nächsten Schritt die Fähigkeiten oder Abhängigkeiten, die jedes Konzept erfordert. Das können Daten, technische, betriebliche, organisatorische oder rechtliche Dinge sein. Sie werden sehen, dass viele Konzepte die gleichen Fähigkeiten erfordern werden. Soll heissen: Sie müssen das Rad nicht für jede benötigte Fähigkeit neu erfinden; prüfen Sie stattdessen, wie Sie mittels gemeinsamer Fähigkeiten mehrere Konzepte umsetzen können. Nun sind Sie bereit, eine wertorientierte Umsetzungsplanung für Ihre Lösungen der wichtigsten «Customer Purposes» zu erstellen.

  1. Teams organisieren: Bisher bilden Teams meist entweder klassische Unternehmensfunktionen – zum Beispiel Produkt, Marketing, Vertrieb oder Kundenservice – oder die unterschiedlichen Kanäle wie Webseite, E-Mail-Marketing, Shop oder Call Center ab. Dieses Modell hat ausgedient. Stellen Sie stattdessen Teams für bestimmte Kundensegmente oder «Customer Purposes» zusammen. Mitarbeitende aus den Bereichen Produkt, Marketing, Vertrieb und Service sollten gemeinsam mit Experience Designern und Entwicklern, Content-Architekten und -Autoren, Experten für digitale Medien, E-Mail und E-Commerce in multidisziplinären Squads arbeiten. Integriertes Arbeiten über Experience-Design und Marketing hinweg ist das A und O, wie ich hier schon beleuchtet habe.

  1. Erlebnisse liefern: Die meisten Unternehmensabläufe sind auf Effizienz optimiert, was oft zu Reibungen mit Kunden führt oder Mitarbeiter daran hindert, bessere Kundenerlebnisse zu liefern. Ziel muss hingegen die grösstmögliche Skalierung von wertstiftenden Erlebnissen rund um einen bestimmten «Customer Purpose» sein. Um das zu erzielen, müssen meist Betriebsprozesse und Technologieplattformen umgestellt werden. Nutzen Sie Daten und künstliche Intelligenz, um die Kundenerlebnisse auf die Präferenzen jedes einzelnen Kunden zuzuschneiden und zu personalisieren. Und mit Cloud-Plattformen klappt auch die technische Skalierung im Handumdrehen. Anstatt auf Kosten des Wachstums nur auf Effizienz zu optimieren, können Sie damit so effizient wie möglich auf Wachstum optimieren.

  1. Erfolg messen: Zu guter Letzt müssen Sie verstehen, wie gut Sie den Purpose Ihrer Kunden erfüllen. Versetzen Sie sich also auch in der Erfolgsmessung in die Situation Ihrer Kunden. Messen Sie mittels Customer Performance Indicators (CPIs), wie gut Sie Ihren Kunden wirklich helfen, ihre Ziele zu erreichen. Denn das Wachstum und der Erfolg Ihres Unternehmens werden letztlich davon abhängen, ob Ihre Kunden ihre Ziele erreichen – und nicht Sie Ihre eigenen.

Fassen wir also zusammen: Purpose bleibt wichtig, aber der Fokus muss sich ändern. Wachstumsstrategien, die kunden-, zweck- und erlebnisorientiert sind, erfordern eine neue Denkweise. Es geht nicht nur um das Why Ihres Unternehmens und warum Sie Geschäft machen, sondern auch um das How. Der Kunde will seine Ziele erreichen, und dafür braucht er Sie!

Machen Sie ihm doch dieses Geschenk – und zwar nicht nur zu Weihnachten. Er wird sich bei Ihnen revanchieren und zum Wachstumsmotor für Ihr neues Geschäftsjahr werden.



Thomas Ruck ist Managing Director bei Accenture Interactive.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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