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Regierungsrat spielt Presserat

Er hat es getan. Obwohl er wusste, dass er es nicht tun sollte, weil es nicht zu seinen Aufgaben gehört. Der bernische Regierungsrat liess auf Geheiss des Grossen Rates einen Artikel der Tageszeitung Der Bund in einem aufwändigen und kostspieligen Verfahren kritisch analysieren. Ein staatspolitisches Unding und eine Ritzung der Medienfreiheit, wenn eine Exekutive die Rechtmässigkeit der freien Berichterstattung beurteilt. Dafür sind Ombudsleute, Presserat und Gerichte zuständig, aber sicher nicht die Regierung.

Konkret ging es um einen Zeitungsartikel über eine polizeiliche Festhaltung unter Einsatz von physischem Zwang. Journalistinnen und Journalisten von Berner Zeitung und Bund hatten im Juni 2021 die Aktion zufälligerweise beobachtet und darüber berichtet. In den ersten drei Monaten nach der Veröffentlichung meldete sich niemand beim Presserat. Innerhalb dieser Frist nimmt das Organ Beschwerden entgegen.

Als die Politik Jahre nach der ursprünglichen Berichterstattung den Fall wiederentdeckte, weil inzwischen die an der Verhaftung beteiligten Polizisten wegen ihres Handelns vor Gericht standen, war der Zug für den Weg via Presserat abgefahren. Also wählte man den Murks mit Parlament und Regierung.

Dass sich das Ergebnis trotz des Konstruktionsfehlers sehen lassen kann, liegt zum einen an der Redaktion von Bund/Berner Zeitung, die ausführlich und detailreich ihr Handeln dokumentierten – und verteidigten. Zum anderen sorgte Rechtsanwalt Manuel Bertschi mit seiner fachkundigen Beurteilung der Berichterstattung für eine faire und kritische Bewertung der Vorgänge rund um die Publikation des umstrittenen Artikels. Doch ein Makel bleibt. Wie Bertschi selbst sagt, darf das Vorgehen nicht Schule machen.

Die ganze Übung hätte in gewohnte Bahnen gelenkt werden können, wenn man denn miteinander gesprochen hätte. Regierungsrat Philippe Müller (FDP) betonte mehrfach, dass es auch ihm lieber gewesen wäre, wenn sich der Presserat des Falls angenommen hätte. Das wäre auch möglich gewesen. Denn der Presserat kann auch von sich aus aktiv werden und Fälle behandeln, die er selbst aufgreift; auch solche, die schon länger zurückliegen.

Geschäftsführerin Ursina Wey bestätigt auf Anfrage, dass man eine entsprechende Anfrage des bernischen Regierungsrats – wenn sie denn gekommen wäre – mit grösster Wahrscheinlichkeit wohlwollend geprüft und sich dann an die Arbeit gemacht hätte.



Nick Lüthi ist Redaktor von persoenlich.com.

 

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KOMMENTARE

Victor Brunner
24.01.2025 08:14 Uhr
Artikel: "Ein staatspolitisches Unding und eine Ritzung der Medienfreiheit, wenn eine Exekutive die Rechtmässigkeit der freien Berichterstattung beurteilt". Geehrter Lüthi, da tragen sie etwas dick auf. Wenn jemand die Medienfreiheit geritzt hat waren es die Journalisten die einen Artikel in Teilen tendenziös aufpeppten und eine Redaktion die nicht umgehend klarstellte. Hätten die Journalisten, die Redaktion besser "beurteilt" wäre kein Auftrag des Parlamentes an den RR ergangen den Vorfall zu klären!
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