14.11.2018

Kritik an Programmatic

«Es braucht in und für die Schweiz eigene Lösungen»

Klickbetrug ist ein Thema, seit es Programmatic Advertising gibt. «Das eigentliche Ziel wird heute vielfach verfehlt», kritisiert Edwina Gescheidle, Head Of Digital & Partner bei Die Antwort. Ein Gespräch über Naivität, schwarze Schafe und ein alternatives Digital-Produkt.
Kritik an Programmatic: «Es braucht in und für die Schweiz eigene Lösungen»
«Solange beide Seiten – Publisher und Agentur – ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, braucht es für Digital passende Alternativen», sagt Edwina Gescheidle, Head Of Digital & Partner bei Die Antwort. (Bild: zVg.)

Frau Gescheidle, Programmatic Advertising ist in aller Munde. Ihnen verschlägt es darob die Sprache. Warum?
Die Sprache verschlägt es mir selten, aber die Naivität, wie zum Teil mit Programmatic umgegangen wird, nimmt mir manchmal schon die Luft zum Atmen. Wenn ich an den Ursprung zurückdenke, für was Programmatic eigentlich stehen sollte – direkter Austausch zwischen Publishern und Werbetreibenden, einfacheres Handling von Daten –, dann muss ich sagen, dass das eigentliche Ziel heute vielfach verfehlt wird. Neue Techniken müssen gelernt sein, da kann man nicht einfach mal loslegen und schauen, wie es dann rauskommt. Nicht umsonst haben sich inzwischen einige Werbetreibende als auch Publisher aus Programmatic zurückgezogen. Einfacher ist nichts geworden, und solange beide Seiten – Publisher und Agentur – ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, braucht es für Digital passende Alternativen.

Das heisst: Es wird viel Schindluder betrieben?
Ein ganz klares Ja! Wobei man ehrlicherweise sagen muss, manchmal auch unbewusst. Aufgrund mangelnder Qualifikation, Unwissenheit, ungelernter Techniken sowie mangelhafter Kontrollmechanismen. Mit Programmatic hat Cybercrime auch in der Schweiz eine Spielwiese erhalten. Nicht umsonst steigen die Zahlen von verbrannten Werbegeldern aufgrund von Cybercrime jährlich markant an, und dies auch in erheblichen Masse in der Schweiz. Es braucht sehr gut ausgereifte Techniken, um Cybercrime überhaupt aufzuspüren und noch bessere Analysten, die dies auch erkennen können.

Und Ihre Agentur bringt nun mit dem Produkt «Hook Digital» eine «echte Alternative» (persoenlich.com berichtete). Was kann «Hook Digital» besser als Programmatic?
Mit der Produktlinie «Hook Digital» haben wir eine absolute Alternative zu gängigen Programmatic-Produkten. Ein Kunde kann mit «Hook Digital» hoch relevant und datenbasiert arbeiten. Wir stellen den User in den Fokus und können, wo immer wir ihn antreffen, mit ihm ständig kommunizieren. Zudem sind die Produkte speziell für die Schweiz und ihre Besonderheiten – drei Sprachen et cetera – entwickelt worden.

«Eine Black oder White Liste bietet absolut keine Sicherheit»

Und wo liegt der Unterschied zu Programmatic?
Wir kennen die Umfelder, auf denen die User zu finden sind. Mittlerweile sollte jeder, der etwas von Programmatic versteht, wissen, dass eine Black oder White Liste absolut keine Sicherheit bietet. Die Erklärung dafür würde jetzt etwas zu technisch werden. Hinter unserem Inventar stehen direkte Beziehungen zu den Publishern und keine anonymen, technischen Einkäufe. Im Programmatic kann man einen Publisher zwar auf die Black List setzen, aber immerhin muss man erst einmal darauf ausgeliefert haben, um zu erkennen, dass es sich um ein schwarzes Schaf handelt. Keine Marke würde sich diesem Test aussetzen wollen. Ich weiss, die Aussage ist provokativ, aber sie entspricht der Realität.

Sie garantieren also für Brand Safety, Ad Fraud und Ad Viewability?
So weit würde kein seriöser Anbieter von Digital-Produkten gehen. Leider müssen wir uns hier auch dem üblichen Sprachgebrauch bedienen: Wir bieten die höchstmögliche Sicherheit. Was wir jedoch garantieren ist, dass wir mit den besten technischen Anbietern zusammenarbeiten und analytisch stark aufgestellt sind. Zudem sind die Angriffsflächen, weil wir nicht programmatisch einkaufen, schon um einiges kleiner. Wir kennen die Umfelder und die Publisher, was uns per se schon eine gewisse Sicherheit gibt. Ebenso sind wir gegenüber den Kunden absolut transparent. Der Kunde erfährt sehr offen wie, wann und wo er von Cybercrime betroffen war, mit absoluter Belegbarkeit. Und natürlich sind wir 100 Prozent transparent in dem was wir tun.

Und welches Inventar kann bei Ihnen gebucht werden? Alle gängigen Publisher?
Grundsätzlich können und wollen wir mit allen Schweizer Publishern zusammenarbeiten. Wir setzen zusätzlich in jedem Fall auf ein grosses Schweizer Closed-Private-Publisher-Netzwerk, welches uns für unseren stringenten Datenansatz die passende Reichweite bietet. Ziel ist es, den User in den Fokus zu stellen, ohne dabei das Umfeld und dessen Qualität aus den Augen zu verlieren. Dabei untersteht jegliches Inventar, Publisher wie auch Netzwerk einer «Real Time»-Überprüfung in Punkto Qualität.

«Es war uns sehr wichtig, die Daten innerhalb der EU physisch zu speichern»

In der Mitteilung heisst es, Sie würden Daten ausschliesslich in der Schweiz erheben für Schweizer User und auf Schweizer Umfeldern. Bei soviel Swissness: Warum speichern Sie die Daten auf deutschen Servern?
Es hat sich tatsächlich so ergeben. Es war uns sehr wichtig, die Daten innerhalb der EU physisch und nicht cloudbasiert zu speichern. Da wir uns für eine Adserving-Lösung entschieden haben, die ihren Standort in Deutschland hat und wir Verification-Anbieter aus Deutschland und der Schweiz nutzen, war es naheliegend, diese Daten auch in Deutschland zu speichern. Die Rechenzentren sind zertifiziert nach der neuen DSGVO und entsprechen dadurch einem sehr hohen Standard. Dadurch können wir Kunden mit hochsensiblen Daten, wie zum Beispiel Banken oder Versicherungen, garantieren, dass unser Tracking absolut keine Daten ausserhalb der EU speichert.

Weiter schreiben Sie in der Mitteilung über versteckte Margen, die es bei anderen Produkten im Markt gebe. Wo sind die versteckt?
Versteckte Margen gibt es, seitdem es Werbung gibt und nicht nur im digitalen Bereich. Margen sind doch absolut okay und auch nichts Schlimmes, doch sollten diese offen und transparent ausgewiesen werden. Es ist absolut fair, dass jede Arbeit bezahlt wird. Wenn wir nun aber beispielsweise Strukturprodukte anschauen, dann wird schnell klar, wo Margen versteckt werden. Ein Beispiel: A kauft Inventar bei verschiedenen Publishern ein, schlägt eine Marge drauf und gibt es an C weiter. C wiederum gibt diesem Inventar einen Produktnamen, schlägt eine Marge drauf und verkauft es weiter. Am Ende des Tages kommt es irgendwann bei einem Werbetreibenden an und hat mit dem ursprünglichen Preis für das tatsächliche Inventar nichts mehr zu tun. Diese Kette war jetzt eine vereinfachte Darstellung, denn in der Praxis im Markt gibt es teilweise mehr als nur einen dreistufigen Zwischenhandel, wo jeder noch was drauf schlägt.

Genau das war aber auch ein Grund, warum Programmatic so schnell gewachsen ist…
Ja, man kannte das Spiel mit den Strukturprodukten und wollte eine direkte Publisher-Beziehung, um genau diesem masslosen Zwischenhandel entgegen zu wirken. Wenn ich mir allerdings anschaue, was heute tatsächlich alles auf einem programmatischen Werbemarktplatz (AdExchange) angeboten und eingekauft wird, dann finde ich dort genau die Strukturprodukte aus «alten» Tagen wieder. Es wird verschachtelt wo es nur geht und der ursprüngliche Zweck, einfacher, direkter, wird wiederum umgangen. Das hat für mein Verständnis und zum Glück auch dem Verständnis vieler anderer nichts mit Transparenz und Qualität zu tun.

«Mit unserem geringeren Datenbestand und Inventar sollte bewusster umgegangen werden»

Sie gehen mit «Hook Digital» sozusagen zurück zu den Wurzeln und pfeifen auf Programmatic. Wo ist der Haken?
«Back to the Roots» heisst nicht automatisch schlechter oder nicht zukunftsweisend zu sein. Im Gegenteil. Ziel war es, etwas zu bauen, was auch den Bedürfnissen eines Schweizer Werbetreibenden entspricht, und genau das ist uns mit «Hook Digital» sehr gelungen. Wir verbiegen keine Systeme und Algorithmen, welche in und für den Massenmarkt USA oder UK entwickelt wurden, damit sie auch in der Schweiz passen. Mit unserem geringeren Datenbestand und Inventar, das auch noch sprachlich fragmentiert werden muss, sollte bewusster umgegangen werden. Wo am Ende des Tages der Haken sitzt, werden uns bestimmt viele im Markt, die nicht mit unserer Philosophie einhergehen, spätestens nach dem Interview sagen (lacht).

Sie kritisieren mit Ihren Aussagen die Arbeit vieler Mediaagenturen. Gleichzeitig lancieren Sie ein eigenes Produkt. Ist Ihre Absicht nicht etwas durchschaubar?
Bei dem Begriff «durchschaubar» musste ich jetzt tatsächlich schmunzeln. Durchschaubar bedeutet nichts anders als transparent zu sein. Und ja, wir wollen «durchschaubar» sein. Ich mache es mir nicht so einfach und kritisiere pauschal alle Mediaagenturen, ich kritisiere vielmehr das allgemeine Marktgeschehen in der Schweiz und dort speziell im Digital, weil es einfach mein Fachgebiet ist. Die Schweiz ist ein sehr kleines Land, speziell aufgestellt alleine schon durch die Mehrsprachigkeit. Wie kann ich denn so verwegen sein, Produkte, die in den USA oder anderen grossen Ländern für eine spezielle Masse kreiert wurden, einfach für die Schweiz zu adaptieren? Es braucht in und für die Schweiz eigene Lösungen, kreative Denker, welche die Bedürfnisse des Schweizer Marktes kennen und mit dem, was wir haben, das Bestmögliche für einen Werbetreibenden herausholen. Das ist doch genau der Auftrag, den wir von einem Werbetreibenden erhalten, der uns sein Budget anvertraut.


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KOMMENTARE

Andy Waldis
15.11.2018 08:46 Uhr
"Mit unserem geringeren Datenbestand und Inventar, das auch noch sprachlich fragmentiert werden muss, sollte bewusster umgegangen werden." 100% agreed!
Moritz Schmid
14.11.2018 22:07 Uhr
Ich habe eine Verständnisfrage: Sie spricht im Interview immer von "Cybercrime". Ist damit Klickbetrug gemeint? Weil Cybercrime (im juristischen Sinne) umfasst ja noch viel mehr Punkte. Finde den Begriff in diesem Zusammenhang doch etwas übertrieben gewählt.
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