08.02.2024

KI und Ethik

«Es gibt eine technologische Verantwortung»

In Medienhäusern und der Werbeindustrie ist die künstliche Intelligenz auf dem Vormarsch. Doch wo liegen die ethischen Herausforderungen? Ein Gespräch mit Dorothea Baur, Expertin für Ethik und künstliche Intelligenz, über Moral, Manipulationen und Mittelmass.
KI und Ethik: «Es gibt eine technologische Verantwortung»
«Wir meinen, die KI sei wahnsinnig progressiv, aber eigentlich ist sie oft die Fortschreibung des Status quo mit statistischen Methoden», so Dorothea Baur, Gründerin und Inhaberin von Baur Consulting. (Bild: zVg)
von Christian Beck

Dorothea Baur, kann eine künstliche Intelligenz (KI) ethisch handeln?
Nein, sie hat sowieso keine richtige Handlungsfähigkeit, denn Handlungsfähigkeit ist gekoppelt an Verantwortungsfähigkeit. Die KI ist wie ein Roboter, egal ob in Software- oder Hardwareform. Sie kann weder ethisch noch unethisch handeln, sondern sie führt ja nur aus.

Dann kann also beispielsweise ein KI-Chatbot auch keine unmoralischen Angebote machen?
Das Angebot kann als unmoralisch interpretiert werden, aber die Absicht von der KI ist nicht unmoralisch, weil sie kein Gefühl für Ethik, Gerechtigkeit oder irgendetwas hat.

Verlegerpräsident Andrea Masüger sprach an der Dreikönigstagung von einem «KI-Tsunami», der die Branche voll erreicht habe (persoenlich.com berichtete). Wird dieser Tsunami für Medien gefährlich?
Wenn Desinformationen – beispielsweise im US-Präsidentschaftswahlkampf – ausser Kontrolle geraten würden, wäre ja genau das die Chance für die Qualitätsmedien, den Human-made Content zu betonen und so ihre Existenzberechtigung zu stärken. Die Medien könnten dafür garantieren, dass die vermittelten Information wahrhaftig, nach besten journalistischen Standards recherchiert sowie doppelt und dreifach geprüft worden sind.

Ist es ethisch vertretbar, wenn Medien die künstliche Intelligenz mitarbeiten lassen?
Ja, sicher. Solange es transparent ist und die Medien die Verantwortung übernehmen für das, was sie mithilfe von KI publizieren, ist das absolut ein legitimes Instrument. Man hat den Medien ja auch nicht den Computer verboten und sie an der Schreibmaschine festgekettet.

Die Transparenz ist eine der grossen Fragen, die sich Medienschaffende in diesem Zusammenhang oft stellen. Soll beispielsweise ausgewiesen werden, wenn eine KI beim Redigieren mitgeholfen hat? «Am Ende ist es so wie bei der Smarties-Packung, wo steht: ‹Könnte Spuren von Nüssen enthalten›», sagte etwa NZZ-Folio-Journalist Reto U. Schneider auf einem Panel. Wie sehen Sie das?
Ich würde für Medienunternehmen eher eine generelle Policy sehen, unterzeichnet vom CEO: Wie gehen wir mit KI um? Wo setzen wir sie ein? Es soll generell deklariert werden, dazu soll es Trainings geben. Genauso wie das beispielsweise bei einer Nachhaltigkeits-Policy oder irgendeinem anderen Ethikkodex auch gemacht wird. Aber es soll nicht bei jedem Artikel unten deklariert werden: «Enthält 20 Prozent ChatGPT.»

Der Ruf nach Branchenstandards wird immer lauter. Mit Blick auf den Journalismus: Wo darf aus Ihrer Sicht die KI mitarbeiten?
Ich bin nicht Medienethikexpertin. Ich denke aber schon, dass es eine Erweiterung der Medienethik auf KI geben wird. Man wird sich die Fragen stellen müssen, wie man KI in die bestehende Medienethik integriert und wo die Grenzen der KI aus medienethischer Perspektive gesetzt werden sollen.

«Medien sollten sich einen Ethikkodex geben – auch im Hinblick auf die KI für Texte und Bild»

Werfen wir einen Blick auf die Werbeindustrie, wo die Wahrhaftigkeit eine andere Rolle spielt als im Journalismus. Dürfen Werbeplakate von einer KI gestaltet werden?
Sicher. Wir bezahlen ja bei Werbung nicht für ein Kunstwerk, bei dem wir meinen, dass dieses von einem Menschen gestaltet wurde. Das ist ja kein Picasso. Sondern wir bezahlen für eine Idee, die uns überzeugt hat. Wer das kreiert, ist nicht eine moralische Frage, sondern letztlich eine technische.

Ein Bild beeinflusst unser Hirn sehr stark. Dürfen wir künftig unseren Augen überhaupt noch trauen?
Wir haben ja sowieso eine Vertrauenskrise. Bilder werden schon lange manipuliert – und das wird jetzt immer stärker. Das führt zurück zu dem, was ich gesagt habe: Medien sollten sich einen Ethikkodex geben – auch im Hinblick auf die KI für Texte und Bild – und sagen: Wir garantieren dafür, dass die Bilder, die wir verwenden, von einem Menschen gemacht worden sind und nicht von einer KI generiert – sofern nicht anders deklariert oder jedes Mal explizit deklariert.

Sie beraten Entscheidungsträger in Tech und Finance in Sachen Ethik und KI. Wie lautet Ihre wichtigste Botschaft?
Meine wichtigste Botschaft ist, dass sie die Verantwortung für die Entwicklung und den Einsatz von KI wie jede andere Verantwortungsdimension betrachten sollen. Wie eine soziale Verantwortung oder eine ökologische Verantwortung gibt es eben auch eine technologische Verantwortung. Für mich ist es eine Erweiterung der Tatsache, dass wir nicht mehr akzeptieren, wenn es heisst: The business of business is business. Diese Zeiten sind vorbei. Genauso wie wir gegenüber Gesellschaft und Umwelt Rechenschaft schulden für den Impact, den wir haben, schulden wir auch Rechenschaft in Bezug auf die Verwendung der Technologie.

«Ich weigere mich, daran zu glauben, dass wir alle von Robotern ausgelöscht werden»

«KI ist einer der wesentlichsten Transformationsfaktoren in der Luft-Epoche. Aktuell stehen wir mit KI am Anfang dieser neuen Ära», sagte Astrologin Monica Kissling zu Jahresbeginn in einem persoenlich.com-Interview. Freuen Sie sich auf den bevorstehenden Wandel oder haben Sie Respekt davor?
Es ist sehr ambivalent. Natürlich gibt es Dinge, die nun sehr viel leichter und angenehmer sind und andere Sachen, die Angst machen. Aber ich vertraue auf die Konvergenz in der Mitte, dass man irgendwo eine Balance findet. Ich weigere mich, daran zu glauben, dass wir alle von Robotern ausgelöscht werden.

Am Communication Summit vom Mittwoch an der ETH Zürich wurde während der Podiumsdiskussion, an der Sie auch teilgenommen haben, klar: Die KI produziert vor allem Mittelmass.
Ja, KI ist Mainstreaming. Wir meinen, die KI sei wahnsinnig progressiv, aber eigentlich ist sie oft die Fortschreibung des Status quo mit statistischen Methoden. Das sieht man, wenn eine KI dazu benutzt wird, um aus Lebensläufen beispielsweise geeignete Ingenieursprofile herauszufiltern. Selbst wenn die CVs anonymisiert sind in puncto Alter und Geschlecht et cetera, wird die künstliche Intelligenz Männer herausfiltern, weil sie sich an anderen Proxy-Variablen orientiert – wie beispielsweise: Rugbyspieler waren im Programmieren historisch erfolgreicher als Synchronschwimmer. Die KI ist in sich von der Methode her gar nicht so innovativ oder disruptiv, wie wir meinen, weil es eben einfach eine statistische Verquastung der Vergangenheit ist. Natürlich kann man an die Extrempunkte gehen und eine KI challengen. Aber ob die KI bahnbrechend, grossartig oder bösartig ist, hängt oft von der Absicht des Nutzers ab.

Muss man also vor Mittelmass überhaupt Angst haben in Sachen Jobs? Man hört immer wieder, dass die künstliche Intelligenz zwar Jobs kosten werde, aber auch neue Jobs entstehen lassen dürfte. Was wird aus Ihrer Sicht überwiegen?
Ich kann keine Wirtschaftsprognose machen, aber es kommt auf unsere Ansprüche darauf an. Was ist uns ein Produkt wert? Was ist uns ein Mensch wert? Wer soll davon profitieren, wenn die Produktivität steigt? Wie verteilen wir die zusätzlich gewonnene Zeit? Wer darf diese Zeit für sich nutzen? Und wie entschädigen wir jene, die eben nichts mehr haben? Das alles hängt von unseren Wertvorstellungen als Gesellschaft ab. Wir leben in einer postmaterialistischen Gesellschaft, in der es nicht mehr um das nackte Überleben und ein maximales Wirtschaftswachstum geht, um die Grundbedürfnisse der Menschen zu befriedigen.

Was können wir aus ethischer Sicht von einer KI lernen?
Geduld. Die KI rastet nie aus (lacht).



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