06.04.2021

Hass im Netz

«Wir stecken mitten in einer Wutwelle»

SRF-Moderator Sandro Brotz ist Opfer von Hatespeech geworden. Ist es richtig, dass er nun vorübergehend den sozialen Medien fernbleibt? Social-Media-Expertin und Bestsellerautorin Ingrid Brodnig über Feindbilder, Fake News und verhärtete Fronten.
Hass im Netz: «Wir stecken mitten in einer Wutwelle»
«Immer dann, wenn ein Thema unsere Gesellschaft entzweit, kommen solche Wutwellen», sagt die österreichische Journalistin und Publizistin Ingrid Brodnig. (Bild: Gianmaria Gava)
von Christian Beck

Frau Brodnig*, wer viel Kritik auf den sozialen Medien einsteckt, zieht sich am besten zurück. Ein guter Plan?
Manchmal ist es für den Betroffenen das Einfachste und Naheliegendste, was noch hilft. Weil: Wenn es wirklich solche Kritik hagelt, dann sind das oft Hunderte unangenehme Kommentare, die in der Masse den Leuten zu schaffen machen. Das klingt natürlich nach einem Ausweichen. Aber wenn ich merke, dass ich damit nicht zurande komme, ist es tatsächlich besser, ich lasse die Finger davon. Wenn Leute merken, dass sie die emotionale Distanz nicht mehr haben, zum Beispiel um eine passende Wortwahl zu finden, ist es besser, wenn sie eine Twitter-Pause machen.

Genau so machte es Sandro Brotz. Nach einem umstrittenen und viel kritisierten Tweet verordnete sich der «Arena»-Moderator selbst eine Twitter-Pause (persoenlich.com berichtete). Also war das richtig?
Wenn mal so eine Wutwelle losgerollt ist, dann gibt es kein Richtig mehr. Es ist dann nicht so, dass es den einen magischen Tweet oder die eine Reaktion gibt, womit die Thematik gegessen und alle wieder friedlich gestimmt wären. Ich glaube, da geht es nur noch um Schadensminimierung. Ein Weg kann sein, dass ich mich zurückhalte und für mich selbst eine Pause suche. Natürlich könnte ein anderer Weg sein, dass man bleibt und versucht, die eigene Sache zu erklären, auch um unterstützende Tweets aufzugreifen. Aber: In dem Moment, wo die Wut schon mal so gross ist, weil ein Thema so polarisiert, dann haben Sie ehrlich gesagt keine wirklich gute Handhabe mehr. Da ist die Zahnpasta schon aus der Tube, da ist die Wut quasi schon übergequollen.

Sprich: Wutwellen entwickeln eine Eigendynamik …
Genau. Wenn Sie merken, dass Sie nicht vorankommen, weil es zu viele Reaktionen gibt, können Sie natürlich die Zähne zusammenbeissen und versuchen, weiter Ihren Kurs fortzufahren. Sie können überlegen: Will ich mich vielleicht für etwas entschuldigen und ein bisschen zurückrudern? Aber selbst dann gibt es Fälle, wo eine differenzierte Reaktion auf die eigenen Worte wenig bewirkt, gerade wenn es um eine Frontenstellung geht. Und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, konkret auf den Fall von Sandro Brotz: Da geht es ja nicht um ihn allein. Da geht es um sehr viele andere Themen.

Wie zum Beispiel?
Da geht es um das Coronavirus an sich, da geht es um die Schweizer Reaktion auf das Coronavirus. Und dann geht es um SRF, darum, wie man dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegenübersteht. Was Sandro Brotz erlebt, ist eine Art Shitstorm. Im Shitstorm geht es oft nicht nur darum, was jemand gesagt hat, sondern es geht auch um die ganzen Rundherum-Themen und die Emotionalisierung derselben. Man wird zum Blitzableiter vieler anderer Zusatzthemen.

«Das ist keine Form der Kritik, sondern eine Form der Einschüchterung»

Brotz kritisierte in seinem Tweet die Corona-Massnahmen-Kritiker. Dürfen Journalistinnen und Journalisten keine eigene Meinung kundtun – oder gilt das nur für solche des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?
Natürlich dürfen Journalistinnen und Journalisten generell ihre Meinung kundtun. Am Ende sind sie ja auch nur Menschen (lacht). Diejenigen, die Journalisten gerne kritisieren, argumentieren ja mit der Meinungsfreiheit. Journalistinnen und Journalisten haben auch eine Meinungsfreiheit. Das wäre die seltsamste Auslegung der Meinungsfreiheit der Welt, wenn alle eine Meinung haben dürfen, ausser Journalistinnen und Journalisten. Natürlich: Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist die Sache deswegen anders, da SRF hier eine gewisse Zurückhaltung empfiehlt.

Wie zurückhaltend war Sandro Brotz?
Wir leben in einer erhitzten Zeit, da würde ich auch davon ausgehen, dass manch eine Journalistin oder manch ein Journalist mal erhitzt reagiert. Ob jetzt der Tweet so schlimm ist, wie er zum Teil dargestellt wird, da bin ich selbst nicht ganz überzeugt. Aber natürlich ist es nicht die sachlichste und nuancierteste Äusserung gewesen, darüber kann man diskutieren. Es sind zwei unterschiedliche Ebenen: War der Tweet clever oder perfekt? Über diese Ebene kann man sachlich diskutieren. Nur was sich online abspielt, ist ja keine sachliche Diskussion mehr. Das ist ein Auffahren von Fronten, wo eher jene, die sich als Corona-Massnahmen-Kritiker sehen, jemanden gefunden haben, an dem sie sich abbürsten können.

Und das ziemlich heftig.
Ob es der beste Tweet der Welt war, darüber kann man sicher streiten. Das heisst aber nicht, dass es in Ordnung ist zu sagen, ihm gehört die Fresse poliert oder er gehört eingesperrt. Das ist dann keine Form der Kritik, sondern eine Form der Einschüchterung.

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In Ihrem neusten Buch «Einspruch» geben Sie Tipps, wie man mit Corona-Skeptikern über Krankheit, Impfungen und Verschwörungsmythen spricht. Wie denn?
Auch wenn Sandro Brotz Worte findet, bringt das aktuell wenig. Er ist jetzt für diese Community ein Feindbild. Generell: Wenn Leute schon von Mainstream-Medien reden und sagen, dass sie SRF nichts glauben können, wird es SRF bei denen schwer haben. Deshalb ist es wichtig, dass unterschiedlichste Medien versuchen, auf Corona-Fakten hinzuweisen. Viele dieser harten bis extremen Corona-Kritiken bauen ja auf realen Ängsten auf, wie beispielsweise die Angst um die wirtschaftliche Zukunft. Das heisst, man soll diese Ängste durchaus ehrlich ansprechen – im Sinne von: Das verstehen wir –, gleichzeitig soll man aber auf Fakten hinweisen. In der Corona-Thematik ist es aber schwierig. Wir stecken da mitten in einer allgemeinen Wutwelle drin.

Das heisst?
Der Hass im Netz ist in meinen Augen wellenförmig. Das heisst: Immer dann, wenn ein Thema unsere Gesellschaft entzweit, kommen solche Wutwellen – und dann ist es auch im Internet besonders schlimm. In so einer Phase ist es gerade für Medien schwierig, noch gut zu kontern, weil Medien mittlerweile auch zum Feindbild gemacht werden. Selbst wenn sie einfühlsam berichten, sollten sie nicht damit rechnen, dass sie von einem Teil der User ernst genommen werden.

«Es ist ganz wichtig, von Beleidigungen Abstand zu halten»

Wie können Medien überhaupt noch Corona-Themen in Angriff nehmen, ohne Öl ins Feuer zu giessen?
Es ist ganz wichtig, von Beleidigungen Abstand zu halten. Klingt eigentlich einleuchtend. Wir sehen aber manchmal in der Berichterstattung Worte wie «Covidiot». Davon würde ich wirklich abraten. Es gibt Untersuchungen, die zeigen: Fallen in einer Diskussion Beleidigungen, polarisiert sich das Feld, es kommt zu einer Verhärtung – das nennt man den «Nasty Effect». Ganz kurz: Menschen haben in einer Studie einen Artikel über Nanotechnologie und die Kommentare darunter gelesen. Ein Teil der Studienteilnehmenden las Kommentare, wo lebhaft gestritten wurde, aber keine Beleidigungen fielen. Die anderen lasen Postings, bei denen Beleidigungen eingewoben waren wie: «Wer das nicht versteht, ist ein Idiot.» In dem Moment, wo Beleidigungen fielen, verhärtete sich das Feld und es kam zu einer grösseren Polarisation. Das heisst: Gerade wenn ich als Medium auf Verständigung hinarbeiten will, sollte ich meine eigene Wortwahl sehr kritisch anschauen. Auch wenn wir Journalistinnen und Journalisten beleidigende Rückmeldungen erhalten: Die Contenance ist sehr wichtig.

Ich persönlich habe das Gefühl: Ein sachlicher Dialog zwischen Massnahmen-Befürwortern und -Gegnern scheint fast nicht mehr möglich.
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: In der öffentlichen Debatte ist das sehr schwierig. Da geht es schnell zu einem Duell über. Gerade auch in der medialen Inszenierung wird es schnell zu einem: Wer hat recht, wer setzt sich durch? Ich sehe eine Chance, nämlich das persönliche Umfeld. Da ist man manchmal nicht einer Meinung, hat aber eine persönliche Vertrauensbasis. Da heisst es: «Egal, was du sagst, du bist ein Freund. In der Sache muss ich dir aber widersprechen.» Wenn aber öffentlich diskutiert wird, versucht natürlich jeder zu zeigen, warum er oder sie recht hat. Ehrlich gesagt: In dieser Corona-Thematik glaube ich nicht, dass Sie erwarten können, dass da eine Harmonie eintritt. Die Harmonie wird in der Krise nicht passieren. Aus dieser Emotionalisierung kommen wir erst raus, wenn wir die Coronakrise hinter uns gebracht haben.

«Corona-Skeptiker radikalisieren sich», hiess es kürzlich im Blick. Sehen Sie das auch so – oder radikalisieren sich sogar beide Seiten?
Die Fronten verhärten sich, je länger die Krise anhält. Uns allen fehlt langsam das Sitzfleisch. Die nervliche Belastung steigt, je mehr Monate man diese Krise durchwandert. Zum sachlichen Diskutieren gehört auch Contenance, das Gefasstsein. Wir sind nicht mehr so gefasst, wie vor acht Monaten.

«Ein Teil dieses Lagers macht es schon schwierig, da noch in einen sachlichen Austausch zu treten»

Wie ist Ihre Beobachtung ganz generell: Weht den Medienschaffenden ein eisigerer Wind entgegen als zuvor?
Ja, das macht das Ganze so schwierig. Ich habe den «Nasty Effect» erwähnt, den sollte man verhindern. Das Problem ist aber: Die Härte, die derzeit Journalistinnen und Journalisten entgegenschlägt, ist schon was ganz Besonderes. Die E-Mails, die die Redaktionen derzeit bekommen, sind so was von hart. Die Vorwürfe, die man als Journalistin zum Beispiel auf solchen Demos erlebt, sind wirklich brutal. Sicher finden nicht alle Corona-Massnahmen-Kritiker so wilde Worte. Aber im Lager der Massnahmenkritiker gibt es schon die wildesten Ideen, dass alle Medien gleichgesteuert werden. Da wird von Mainstream-Medien oder gar von Lügenpresse geredet. Und das ist in sich selbst ja bereits eine Verschwörungserzählung. Selbst wenn manche Medien superseriös und fair berichten, schlägt ihnen trotzdem ein harter Wind entgegen.

Können Sie ein Beispiel geben?
In Österreich hat eine Kollegin einfach von der Intensivstation davon berichtet, was Intensivmediziner erleben. Die Reaktionen waren hart. Das geht natürlich nicht, dass selbst simple Berichterstattungen, wo es gar nicht um Meinung geht, sondern nur darüber, was man vor Ort sieht, schon zu wilden Vorwürfen führen. Leider wird in der Corona-Szene auch mit dem Feindbild Medien agiert, wo es nicht um eine differenzierte Medienkritik geht, sondern um diese Unterstellung, alles sei Fake. Ein Teil dieses Lagers macht es schon schwierig, da noch in einen sachlichen Austausch zu treten.

Der Gegenwind war aber schon zuvor da. Die Coronakrise wirkte einfach als Multiplikator, oder?
Genau, diese ganze Lügenpresse-Rhetorik kommt schon seit Jahren von rechts. Das wird schon seit Jahren kultiviert. Die Corona-Thematik ist ein Einfallstor für diese Rhetorik. Einerseits, weil die gleichen Akteure wie zuvor diese Worte verwenden – es sind ja teils die üblichen Verdächtigen, die mit dem Lügenpresse-Vorwurf kommen. Das andere ist: Ich würde auch davon ausgehen, dass ein Teil der Bürger, der früher für so eine Rhetorik nicht anfällig war, über die Coronakrise anfällig wurde. Dieser Teil konsultiert mittlerweile sehr fragwürdige Quellen rund um das Thema Coronavirus. So ist beispielsweise auf Telegram-Kanälen zu lesen, dass alles komplett harmlos und ein grosser Betrug sei. Diese Lügenpresse-Rhetorik wird seit Jahren speziell von rechts geführt, und jetzt ist es auch eine Chance für jene, die diese Idee verbreiten wollen, dass sie wachsen können.

«Wut ist eine aktivierende Emotion»

Liegen Ihnen Zahlen vor, die Ihre Beobachtungen belegen würden?
Ich kann nur von Österreich sprechen: Hier ist die harte Medienkritik im Rahmen der Coronakrise messbar gestiegen. In der zweiten März-Hälfte 2020 waren nur 13 Prozent der Meinung, dass die Medien Panik verbreitet und massgeblich zur Eskalation der Krise beigetragen hätten. Im Februar 2021 waren es 26 Prozent, also doppelt so viele. Diese harte Kritik, dass Medien Panik machen würden, hat zugenommen, während gleichzeitig auch die Kritik an den Massnahmen zugenommen hat. Zugleich muss man auch sagen, dass die Mehrheit nicht diese Ansicht vertreten hat. Eines sollten Sie nicht vergessen: Wenn Leute besonders emotionalisiert und wütend sind, dann steigt ihr Mitteilungsbedürfnis. Wut ist eine aktivierende Emotion. Die Gefahr in der Debatte ist, dass man Minderheiten, die besonders laut sind, stärker wahrnimmt, ihre Bedeutung überschätzt, obwohl sie nicht die Mehrheitsmeinung widerspiegeln.

Was ist, wenn man Opfer von Hatespeech wird? Gibt es ein einfaches Rezept, wie man reagieren soll?
Es gibt ein paar Empfehlungen. Erstens: Sie sollten alles dokumentieren, gerade wenn es in Richtung klagbarer Aussagen geht. So können Sie auch belegen, wenn sich jemand zunehmend auf Sie einschiesst und beginnt, Sie zu stalken und mobben. Wem das Dokumentieren zu viel wird, kann einen guten Freund oder Kollegen darum bitten. Zweitens: Ziehen Sie sich zurück und gönnen Sie sich eine Pause, wenn es ganz übel wird. Wenn Sie dauernd mitlesen, kommen Sie ja aus dem Wahnsinn nicht raus. Das Dritte: Nicht allein bleiben, das ist wahrscheinlich das Wichtigste. Wenn es los geht, kann man über Messenger-Apps Bekannten und Freunden mitteilen, was man gerade erlebt. Diese «Verbündeten» können einem den Rücken stärken und haben manchmal vielleicht auch gute Tipps. Und in ganz harten Fällen, wenn es in Richtung «Du gehörst aufgehängt» oder Derartiges geht, empfehle ich juristische Schritte. Wir haben ein Strafrecht aus dem Grund, weil nicht alles geht.

Wie häufig wurden Sie persönlich schon mit Hass im Netz konfrontiert?
Ab und zu. Ich habe das grosse Glück, dass ich nicht zum Beispiel Fernsehmoderatorin bin. Je prominenter und permanenter man in der Auslage steht, desto übler wird es. Manchmal passiert es auch mir, dass ich E-Mails kriege, in denen ich als Volksverräterin bezeichnet werde. Oder ich erhalte relativ kuriose Vorwürfe, zum Beispiel dass ich von Bill Gates bezahlt werde. Die absurdesten Beleidigungen treffen mich nicht, weil sie so fernab sind. Ich finde es unangenehm, wenn es unter die Gürtellinie geht oder wenn es einen bedrohlichen Charakter hat und eine unerfreuliche Tonalität annimmt. Speziell bei Frauen wird es auch schnell sexistisch. Das wirklich Tragische ist – und das sollte eigentlich nicht so sein: Viele Menschen haben gelernt, damit umzugehen. Man weiss mittlerweile, dass solche Reaktionen mit dem Job einhergehen. Mein grosser Vorteil ist: Wenn ich solche Dinge bekomme, kann ich sie manchmal in meinen Büchern oder in Vorträgen verarbeiten.



* Ingrid Brodnig ist eine österreichische Journalistin und Bestsellerautorin. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist der Umgang mit Desinformation und Hasskommentaren. Für ihr Buch «Hass im Netz» wurde sie mit dem Bruno-Kreisky-Sonderpreis ausgezeichnet. Von der österreichischen Bundesregierung wurde sie zur digitalen Botschafterin Österreichs in der EU ernannt.



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