27.08.2019

NZZ

«Das Smartphone würde ich nie ins Bett nehmen»

Mit ihrer Kolumne «In jeder Beziehung» will NZZ-Journalistin Birgit Schmid die Augen öffnen für das nicht ganz Offensichtliche. 84 Texte sind ab sofort gesammelt in einem Buch erhältlich. Ein Gespräch über Beziehungen, Privatsphäre und den NZZ-«Persönlich»-Newsletter.
NZZ: «Das Smartphone würde ich nie ins Bett nehmen»
Beziehungen sind das Thema der wöchentlichen Kolumne von Birgit Schmid in der NZZ. (Bild: zVg.)
von Edith Hollenstein

Frau Schmid, genau wie die NZZ-Kolumne heisst Ihr Buch «In jeder Beziehung». Was für eine Beziehung haben Sie zu diesem Buch?
Ich freue mich sehr, dass dieses Buch nun erscheint, nachdem ich meine Kolumne genau vier Jahre schreibe. Es handelt sich um eine Sammlung ausgewählter Texte, die ich thematisch nach Jahreszeiten geordnet habe. So teilte ich die Kolumne über den «Mut der Undankbaren» dem Herbst-Kapitel zu, weil Bob Dylan seinen Nobelpreis damals im Herbst verweigerte. Der Text mit der schonungslosen Hochzeitsrede gehört in den Frühling, und die «27 Orgasmen» in die heissen Sommermonate.

Das klingt noch nicht so eng.
Es ist wirklich schön, etwas, in das ich jeweils recht viel Zeit investierte, «beisammen» zu haben, mich zu erinnern an diese und jene Situation, die vielleicht den Input zu einer Kolumne gegeben hatte. Es ist ein bisschen wie Tagebuchlesen, einfach verhüllter.

Ich möchte gerne noch etwas weiter über Beziehungen reden: Was für eine Beziehung haben Sie zu Ihrem Smartphone?
(seufzt). Eine enge.

Warum bedauern Sie das?
Weil abhängig sein, auch hilflos macht. Wie ferngesteuert greift die Hand an der Tramhaltestelle wieder zum Smartphone. Das Ding hat psychologisch etwas Unberechenbares, es speichert das Schöne und den Horror, nette Mails und böse Posts. Weil das alles so nahekommt, würde ich das Smartphone nie mit ins Bett nehmen. Sowieso nicht.

«Man muss keine Politjournalistin sein, um als Journalistin politisch zu denken»

Und was ist mit Ihrem Kleiderschrank: Was für eine Beziehung haben Sie zu diesem?
In der Kolumne «Alle meine Stoffe» schreibe ich darüber, wie ich die Kleider vom Winter in den Frühling umschichte und immer wieder Stücke in den Händen halte, die mit Menschen verbunden sind. Auch hier geht es um die Auseinandersetzung mit mir selber. Man versucht beim Schrankaufräumen die Erinnerungen zu ordnen – bloss um danach durcheinander zu sein.

Was für eine Beziehung haben Sie zur NZZ?
Ich arbeite sehr gerne hier, es war eine interessante Erfahrung, vom kleinen Team beim «Magazin», wo ich vorher war, in eine grosse Zeitungsredaktion mit so vielen verschiedenen Leuten zu wechseln. Was für einen guten Ruf die NZZ immer noch hat, merke ich bei Interviewanfragen. Der Name ist ein Türöffner.

Inwiefern spürt das Gesellschaftsressort die Diskussionen um die politische Positionierung der NZZ?
Das spüren wir nicht. Wir wählen die Themen frei, ohne dass uns jemand dreinredet.

Ihre Kolumnen haben teilweise auch politische Inhalte. So haben Sie über den Frauenstreik geschrieben oder über rechte Politiker, die Ausländerinnen heiraten.
Man muss keine Politjournalistin sein, um als Journalistin politisch zu denken. Lustig finde ich, wenn ich jetzt manchmal höre, die NZZ hätte mich so gepolt, also wenn ich zum Beispiel auch mal Haltungen des linksliberalen Milieus kritisiere. Dabei habe ich schon beim «Magazin» vor Jahren über den Lifestyle-Feminismus geschrieben oder Burnout als modischen Krankheitsbegriff hinterfragt.

«Ein bisschen Lust an der Provokation gehört vielleicht dazu»

Beim Frauenstreik schrieben Sie: «Ich streike gegen den Frauenstreik, weil ich keine Masse von Gleichgesinnten zum Denken brauche.» Wenn nicht die Masse: Was brauchen Sie denn sonst zum Denken?
Viele Anliegen des Frauenstreiks habe ich in jener Kolumne unterschrieben, kam aber zum Schluss, dass solche Grossanlässe für mich nicht der richtige Weg sind, um wirksam zu sein. Sie behagen mir nicht, und da bin ich ja nicht die einzige. Bis heute erhalte ich Zustimmung von Frauen dafür, auch von Journalistinnen, die das aber nie öffentlich zu sagen gewagt hätten. Wenn alle dieselbe Meinung teilen, versuche ich die Sache von der Gegenseite her zu denken. Vielleicht komme ich ja trotzdem zum selben Schluss. Ich möchte den frischen Blick bewahren, frei bleiben im Denken

Ist Provokation wichtig? Oder meinen Sie tatsächlich, was Sie schreiben?
Klar meine ich das. Ein bisschen Lust an der Provokation gehört vielleicht dazu, gerade bei einer Kolumne. Aber ich würde mich nie verdrehen, denn das wäre der Tod der Kolumne.



«Der Newsletter hat derzeit rund 9200 Abonnentinnen und Abonnenten»

Ihr Thema «Beziehung» ist sehr intim: Wo ziehen Sie beim Schreiben die Grenze zum Privaten?
Meine persönlichen Verhältnisse lege ich nicht offen. Und doch bringe ich mich persönlich ein, weil eine Kolumne nur so funktioniert. So taucht zum Beispiel immer wieder ein Mann auf. Oder die Katze. Manchmal verschwimmen Fiktion und Wirklichkeit auch. Wenn ich über Gefühle schreibe, gründet das in der eigenen Erfahrung mit Trauer, Freude, Angst. Ich beschreibe sie so, dass sie hoffentlich beim Leser einen Widerhall finden. 

Neben Ihrer Kolumne schreiben Sie auch längere Texte, darunter Reportagen und kuratieren den «Persönlich»-Newsletter der NZZ. Wie erfolgreich ist dieser Newsletter?
Wir starteten im März und haben derzeit rund 9200 Abonnentinnen und Abonnenten. Knapp die Hälfte davon sind Frauen, die wir mit dem Newsletter besonders ansprechen wollen, dies aber unangestrengt. Je eine von vier NZZ-Redaktorinnen empfiehlt jeweils Artikel der Woche, die man in der Zeitung vielleicht eher übersieht oder in der NZZ weniger erwartet.

Dass Frauen Texte empfehlen genügt, um Frauen als Leserinnen zu gewinnen?
Nein, natürlich nicht. Aber damit zeigen wir, dass die NZZ auch Inhalte anbietet, die oft gerade von Frauen gut gelesen werden, lange Reportagen, Geschichten aus dem Gesellschaftsbereich, Porträts von Frauen. Fürs Gesellschaftsressort etwa schreiben vergleichsweise viele Autorinnen, der weibliche Blick ist also gegeben. Diese Art von Sichtbar-Machen von Frauen ziehe ich dem x-ten Artikel über mangelnde Gleichstellung vor.



 


Die Buchvernissage findet am 29. August im Zürcher Kosmos statt.

Schmid Cover rbg

Birgit Schmid. In jeder Beziehung. 24 Franken. Sachbuchverlag Rüffer & Rub



Newsletter wird abonniert...

Newsletter abonnieren

Wollen Sie Artikel wie diesen in Ihrer Mailbox? Erhalten Sie frühmorgens die relevantesten Branchennews in kompakter Form.

Kommentar wird gesendet...

Kommentare

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Zum Seitenanfang20240426

Die Branchennews täglich erhalten!

Jetzt Newsletter abonnieren.