04.04.2023

CS-GV

Der letzte Akt

An der letzten Aktionärsversammlung der Credit Suisse hat eine andächtige Stimmung wie bei einem Beerdigungsgottesdienst geherrscht. Ein Augenschein im Zürcher Hallenstadion von Verleger und Chefredaktor Matthias Ackeret.
CS-GV: Der letzte Akt
«Müsste man die Stimmung an der historischen letzten Generalversammlung, so wäre diese ‹verhalten traurig›», so Matthias Ackeret, Verleger und Chefredaktor von persönlich und persoenlich.com. (Bilder: Keystone/Michael Buholzer, Gaëtan Bally)

«An einer Beerdigung fotografiert man nicht», sagt ein ehemaliger Staatsanwalt, der vor mir sitzt, als ich am Dienstagmorgen im Hallenstadion das Handy zücke, um ein Bild des vollen Saales zu schiessen. Der Mann hat mit Abdankungen Erfahrung, schon von Berufes wegen. Doch die letzte Generalversammlung der Credit Suisse ist keine hundskommune Beerdigung, es ist der Abklang eines Mythos, dem Mythos des mächtigen und unantastbaren Bankenplatzes, dem Mythos der «Weltmacht Paradeplatz», der die landesweite zürcherische Dominanz begründet.

Bereits die Demonstranten und TV-Teams auf dem Vorplatz, aber auch die ausgiebigen Eingangskontrollen deuten auf eine Ausnahmesituation hin. Wobei dies auch beim Roland-Kaiser-Konzert vor drei Wochen bereits der Fall war. Dessen grösster Hit heisst: «Ich glaube, es geht schon wieder los». Bei der Credit Suisse gibt es – im Gegensatz zum deutschen Schlagergott – definitiv kein Comeback mehr.

Müsste man die Stimmung an der historischen letzten Generalversammlung – 167 Jahre nach der Gründung durch Industriepionier Alfred Escher – beschreiben, so wäre diese «verhalten traurig». Die kollektive Schockstarre, die unmittelbar am Sonntagabend des 19. März eintrat, hat sich gelöst oder hat sich langsam in Trauer oder Wut gewandelt.

Der Schreibende erinnerte sich an den Abend des 2. Oktober 1990, die letzten Stunden der zerbröckelnden DDR. Der grosse Knall, der Fall der Mauer, war längst vorüber. Was jetzt folgte, war nur noch die formaljuristische Abwicklung. Doch im Gegensatz zum Untergang des Arbeiter- und Bauernstaates, den der Schreibende hautnah miterlebte, war die CS-Generalversammlung stilvoller: Man verteilte Lindt-Pralinés zur Versüssung der bitteren Realität.

Gäbe es einen stillen Star der eigentümlichen Generalversammlung, so wäre es Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann, der – unfreiwillig – die Rolle des Bestatters übernehmen musste. Doch im Gegensatz zu seinem TV-Pendant Mike Müller war der oberste CS-Banker an der letzten GV zurückhaltend, fast schon demütig. Lehmann verkörperte an diesem Dienstagmorgen den Typus des «anständigen und soliden Bankers», von dem momentan vielfach die Rede ist und der somit das krasse Gegenteil zu den geldgierigen Wallstreet-Wölfen darstellt, die die Credit Suisse in den Untergang gerissen haben sollen. Während Lehmann in den letzten Tagen noch ein bisschen verloren durch die Trümmer der untergegangenen Bank tapste, hatte er an deren Beisetzung im Hallenstadion seine Rolle gefunden. Seine Voten wurden – was angesichts der Extremsituation doch aussergewöhnlich ist – vom Plenum sogar beklatscht.

Von den anderen Akteuren, dem frischgekürten Retter und Superstar Sergio Ermotti und dem angeblich Hauptschuldigen Urs Rohner, war erstaunlicherweise namentlich kaum die Rede. Wobei bei Letzterem verwundert, dass sich der ganze Volkszorn allein auf Rohner fokussiert und – im Gegensatz zum Swissair-Debakel – nicht auch auf seine Kolleginnen und Kollegen im Verwaltungsrat, die sicherlich bei der Entscheidungsfindung nicht untätig waren. Doch am Ende gilt auch bei einer Grossbank der alte ABBA-Song «The winner takes it all and the loser has to fall».

Mit dem Begriff «historisch» sollte man sparsam umgehen. Doch die letzte GV der Credit Suisse fällt zweifelsohne in diese Kategorie. In den nächsten Tagen will die Stadt Zürich ihre Hauptdenkmäler nachts wieder beleuchten. Meine bescheidene Forderung: Bestrahlt das Alfred-Escher-Denkmal beim Hauptbahnhof wieder. Als kleinen Trost.


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