27.09.2023

Zurich Film Festival

«Kino hat weniger Besucher verloren als die Zeitung Leser»

Seit drei Jahren leitet Christian Jungen das Zurich Film Festival. Zum Auftakt der Veranstaltung sagt der Filmexperte, wie er die grossen Stars nach Zürich lockt und wohin sich das Filmgeschäft entwickelt. Zudem spricht er über die Verflechtung mit dem Mutterhaus NZZ.
Zurich Film Festival: «Kino hat weniger Besucher verloren als die Zeitung Leser»
«Wir stemmen das Festival mit einem Budget von 8,4 Millionen Franken»: Christian Jungen, künstlerischer Direktor vom Zurich Film Festival. (Bild: zVg)

Christian Jungen, das ZFF hat am Samstagabend die Kooperation mit Läderach beendet, nachdem diese vorher noch bekräftigt wurde. War dafür wirklich Ihr Gespräch mit Roger Schawinski ausschlaggebend, wie verschiedene Medien andeuten?
ZFF und Läderach haben gemeinsam entschieden, die Partnerschaft zu beenden, damit am Festival wieder die Freude am Film im Zentrum stehen kann.

Wie bekommt man grosse Stars wie Johnny Depp oder Sharon Stone, aber auch Blockbuster nach Zürich? Ist dies eine Frage des Geldes?
Ein Filmfestival zu betreiben, ist, wie eine Pizzeria zu führen: Sie müssen eine gute Pizza backen, und der Service muss top sein. Dann spricht sich das herum, und es wollen auch andere bei Ihnen einkehren. Wir betreuen die Stars sehr gut, lesen ihnen Wünsche von den Lippen ab, und so werden sie dann zu Botschafterinnen und Botschaftern für uns in Hollywood. Und wir sind Teil des 100 Millionen Menschen zählenden deutschsprachigen Raums, eines der weltweit wichtigsten Territorien für die Studios. Daher lohnt es sich für sie, grosse Filme wie heuer das Feel-good-Sportsdrama «Nyad» mit Jodie Foster und Annette Bening bei uns zu lancieren.

Nach Corona lautete die Devise immer wieder, dass das klassische Kino tot sei. Erleben Sie dies auch so?
Das Kino wird von den Medien gerne totgeschrieben, obwohl es in den letzten Jahren prozentual weniger Besucher verloren hat als die Zeitungen Leser. Fakt ist: Sobald es wieder Filme wie «Barbie» oder «Oppenheimer» gibt, die die Menschen sehen wollen, strömen sie auch wieder in die Säle. Sogar bei grösster Hitze in den Sommerferien. Und auch das ZFF zeigt, dass das Kino sich grosser Beliebtheit erfreut: Wir hatten letztes Jahr mit 137'000 Besucherinnen und Besuchern einen neuen Rekord.

In welche Richtung wird sich das Filmgeschäft entwickeln?
Das Kino macht wieder Terrain gut im Vergleich zum Streaming, das punkto Umsätze zum Sorgenkind geworden ist. Es werden in Zukunft wieder etwas weniger Filme produziert, weil allen bewusst geworden ist: Es braucht wieder mehr Klasse statt Masse. Das Kino wird ein Premiumort werden, wo man Event-Filme oder erlesene Arthouse-Perlen schauen wird. Der Mittelstand, eine Komödie mit Jennifer Aniston für zwischendurch, wird aus den Sälen verschwinden.

«NZZ-CEO Felix Graf ist mein Chef, daher sind wir in einem engen Austausch»

Wie viele Personen sind für die Durchführung des Festivals im Einsatz?
Wir haben das Jahr über 29 fest angestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wenn das Festival läuft, sind wir über 600, darunter über 400 freiwillige Helfer. Ohne sie ginge es nicht.

Und die Kosten?
Wir stemmen das Festival mit einem Budget von 8,4 Millionen Franken, was im Vergleich zu anderen Grossveranstaltungen wenig ist.

Eigentümerin des ZFF ist heute die NZZ. Wie eng ist die Verflechtung mit dem Mutterhaus?
Wir sind eine Tochterfirma der NZZ. CEO Felix Graf ist mein Chef, daher sind wir in einem engen Austausch. Mit den Redaktionen habe ich keinen direkten Kontakt, es sei denn, ein Journalist wünscht ein Interview. Gerade in den sehr herausfordernden Corona-Jahren waren diese Besitzverhältnisse ein Segen. Die NZZ hat das ZFF gestützt und einen Beitrag zur kulturellen Attraktivität der Stadt Zürich geleistet. Und ich spüre auch im NZZ-Aktionariat immer mehr, dass die Leute stolz darauf sind, dass die NZZ einen kulturellen Leuchtturm der Stadt betreibt.

Sie stehen nun seit fast vier Jahren an der Spitze des ZFF und waren immer mit Extremsituationen konfrontiert, zum einen mit Corona, zum anderen mit dem Streik in Hollywood. Wie geht man damit um?
Diese Force-majeure-Situationen meiner Amtszeit sind mühsam, aber jammern nützt nichts. Ich entstamme der Winterthurer Arbeiterschicht und habe früh gelernt: Von nichts kommt nichts. Man muss die Ärmel hochkrempeln und kämpfen. Und wenn man mal hinfällt, steht man wieder auf und macht weiter. Wenn etwas abschmiert, zum Beispiel die Absage eines Stars kommt, hake ich das sofort ab und fokussiere auf ein neues Ziel. Und: Optimismus hilft. Nobody wants to follow a pessimist.

«Ich hoffe, dass die UBS dem ZFF als Main Partner erhalten bleibt»

Vor wenigen Monaten wurde zudem bekannt, dass das ZFF den in Konkurs gegangenen Kulturclub Kosmos in der Europaallee übernimmt. Was bezwecken Sie damit?
Wir sind froh, konnten doch die schönsten und modernsten Kinos der Stadt gerettet werden. Wir werden sie unter dem Namen Frame am 27. September mit der Weltpremiere von Michael Steiners Langstrassen-Thriller «Early Birds» einweihen, das ganze ZFF über bespielen und ab 12. Oktober in den sechs Sälen ein Vollprogramm aus intelligentem Mainstream und Arthouse zeigen. Mit dem Frame erhält das ZFF eine ganzjährige Präsenz, und wir können unsere Filme über das Festival hinaus pflegen.

Nun wurde bekannt, dass die Credit Suisse – Ihr langjähriger Hauptsponsor – nicht mehr weiterexistiert. Was heisst das konkret für Sie?
Ich hoffe, dass die UBS dem ZFF als Main Partner erhalten bleibt. Die Credit Suisse hat das ZFF von Tag eins an unterstützt. Sie war in all den Jahren ein toller und treuer Partner.

Was sind für Sie die Highlights des diesjährigen Programms?
Ein Film, der mich unglaublich beeindruckt hat, ist «Stella. Ein Leben». Darin verkörpert Paula Beer eine junge jüdische Frau, die in Berlin mit den Nazis kollaborierte, um der Deportation zu entkommen, und dafür jüdische Glaubensgeschwister verpfiff, die dann in Auschwitz umkamen. Eine Opfer-Täter-Figur, wie man sie noch nie gesehen hat. Und wahnsinnig beeindruckt hat mich auch das Drama «Ein ganzes Leben» nach dem gleichnamigen Roman von Robert Seethaler, der die Lebensgeschichte eines schwer geprüften Mannes erzählt, der in den Bergen aufwuchs. Der Film reflektiert auch, wie sich unsere Berge unter dem Einfluss des Tourismus veränderten. Und er enthält Bilder von betörender Schönheit.

Bundespräsident und Kulturminister Alain Berset wird zum allerletzten Mal das ZFF eröffnen. Was bedeutet dies für Sie?
Berset hält von allen Bundesräten die besten Reden. Und man spürt, dass der Gang ans Filmfestival für ihn keine lästige Pflicht ist, sondern dass er sich fürs Kino interessiert. Am liebsten sähe ich ihn auf dem grünen Teppich neben Nicolas Cage. Ich glaube, die zwei würden sich mögen.

Worauf freuen Sie sich am diesjährigen ZFF am meisten?
Auf den Abend, an dem wir dem Genfer Filmproduzenten Michel Merkt den Career Achievement Award verleihen. Michel ist von der Art her ein Seelenverwandter des ZFF: Er liebt das Kino, denkt gerne gross und handelt unternehmerisch. Er hat über hundert Filme produziert, etwa von Regisseuren wie David Cronenberg, Xavier Dolan oder Jacques Audiard. Nun stellt er seinen letzten Film, das Liebesdrama «Passages» mit Adèle Exarchopoulos, Ben Whishaw und Franz Rogowski, am ZFF vor. Und wir sagen ihm mit unserem Award Danke für seine inspirierende Karriere, die uns gezeigt hat, dass man aus der kleinen Schweiz heraus grossen Erfolg haben kann.



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